2. Kapitel

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Ich lauschte auf die Geräusche im Haus. Das Letzte, das ich gehört hatte, war Mas Tür gewesen, die ins Schloss fiel. Das war vor einer Stunde gewesen. Doch ich traute der Stille nicht, meine Mutter bewegte sich so leise wie eine Raubkatze und hörte genauso gut. Wenn sie nicht schlief, würde sie sofort merken, was ich vorhatte. Schliesslich beschloss ich, es zu riskieren. Mühsam zog ich den schweren Schulkoffer unter meinem Bett hervor und öffnete ihn. Meine Hogwartsumhänge lagen bereits darin – nach dem Ma sie gewaschen hatte, hatte ich sie gleich wieder in den Koffer gelegt, da ich sie während der Ferien ja nicht brauchte. Nun packte ich die Schulbücher, Kessel, Teleskop und so weiter in den Koffer, warf meine Muggelkleider hinterher und auch meinen Walkman und die Kassetten und ein paar weitere Bücher als Freizeitlektüre. Meinen Zauberstab steckte ich in meine Hosentasche. Ich musste mich auf meinen Koffer setzen, um ihn zu schliessen, dann war ich fertig. Sachte öffnete ich die Tür und schlich leise den Flur entlang, den Koffer hinter mir her schleifend. Es war eine echte Herausforderung, das schwere Ding die Treppe hinab zu wuchten, ohne ein Geräusch zu machen. Nach zehn anstrengenden, nervenaufreibenden Minuten war ich endlich am Fuss der Treppe angekommen und schleifte meinen Koffer zur Haustür. Ich schlüpfte in meine Schuhe und streifte mir meine Jacke über – den warmen Wintermantel hatte ich im Koffer verstaut. Da fiel mein Blick auf die Umhängetasche, die ich immer dabeihatte, wenn ich mit Joanne unterwegs war. Ich nahm sie vom Haken und huschte dann zur Küche, wo ich ein paar Kleinigkeiten zu essen und eine Flasche Wasser hineinpackte – und noch etwas mehr zu essen und noch etwas mehr Wasser. Dann stopfte ich noch eine Packung Dörrfleisch für Theo dazu, der im Moment ausgeflogen war, und nach kurzem Zögern mein Sparschwein plus alles Bargeld aus Mas Portemonnaie. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, doch irgendwie musste ich ja zu meinen Freunden kommen und ich musste auch noch meine Schulsachen kaufen. Die Tasche voller Esswaren schlich ich zurück in den Flur, öffnete leise die Haustür, wuchtete meinen Koffer über die Türschwelle und war endlich draussen. Leise schloss ich die Tür hinter mir und huschte die Auffahrt hinab. Ich hatte es geschafft: Ich war aus dem Haus entkommen.

Doch bereits am Strassenrand hielt ich inne. Wo sollte ich hin? Mein Blick fiel auf Joannes Haus, doch zu ihr konnte ich nicht gehen. Ganz bestimmt würde Ma dort als allererstes suchen. Dann zu einem meiner Freunde aus Hogwarts. Jessie wohnte am nächsten bei London, doch sie war mit ihrer Familie über die Ferien nach Frankreich gefahren. Dann entweder zu den Weasleys oder zu Cedric. Ich wusste, dass beide in der Nähe eines kleinen Nests irgendwo in Devon lebten, das den Namen Ottery St. Catchpole trug. Also auf zum Bahnhof. Je schneller ich von hier wegkam und je mehr Abstand ich zwischen mich und dieses Haus legte, desto besser. Damit würde es schwerer für Ma werden, mich zu finden. Ich machte mich auf zur nächsten U-Bahn-Station und fuhr nach King's Cross. Die Dame am Nachtschalter schlief fast und war sichtlich genervt, dass ich sie störte. Ich musste ihr dreimal erklären, wo Ottery St. Catchpole ungefähr lag, bis sie die kleine Ortschaft fand, und dann dauerte es nochmals eine halbe Stunde, bis sie endlich eine Verbindung herausgesucht hatte. Der erste Zug ging um halb sieben ab dem Bahnhof Paddington und auch wenn ich erst noch dorthin kommen musste, hatte ich noch ewig Zeit.

Etwa um acht Uhr hatte mein Zug Devon erreicht, doch es dauerte noch fast zwei Stunden, bis ich nach mehrmaligem Umsteigen in Ottery St. Catchpole angekommen war.

Und wohin jetzt? Auf der Strasse vor dem Bahnhof, fragte ich eine alte Dame, wo denn der Fuchsbau sei, das Haus der Familie Weasley, doch sie konnte mir keine Antwort geben. Auch wo die Diggorys wohnten, wusste sie nicht. Ich fragte mich weiter durch, doch keiner der Angesprochenen wusste etwas. Schliesslich endete ich auf einer Bank an einer Strassenecke knapp ausserhalb des Dorfes.

Ein schrilles Kreischen ausstossend stiess Theo aus dem Himmel herab und landete elegant auf der Banklehne. An sein Bein war ein Brief gebunden. Er war von Jessie, die von ihren Ferien schrieb. Ich steckte den Brief ein und wollte schon Feder, Tinte und Pergament hervorkramen, um Charlie zu schreiben, ob er mich hier abholen konnte, doch da kam mir eine bessere Idee.

Unbequeme Wahrheiten - Adrienne Seanorth 2 (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt