6. Kapitel

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Tage und Wochen vergingen. Die Zwillinge hatten mir die Karte der Rumtreiber geliehen und jetzt streifte ich durchs Schloss, während sie abends beim Quidditchtraining waren oder machte zusammen mit Lee, Jessie und Cedric Hausaufgaben. Lee verbrachte fast seine ganze Freizeit damit, die Namen der Spieler der vier Hausmannschaften und ihre Positionen auswendig zu lernen und las Unmengen an Büchern über Quidditch, damit er auch sicher jedes Manöver kannte, wenn er das Spiel kommentieren würde. Er würde gleich das erste Spiel kommentieren müssen – Gryffindor gegen Slytherin. Insgesamt hatten sich fünf Schüler um das Amt als Stadionsprecher beworben, vier davon waren Gryffindor, weshalb es nicht möglich war, dass alle Kandidaten ein hausfremdes Spiel kommentierten. Also hatten sie Lose ziehen müssen, hatte Lee erzählt, und er hatte dabei eben das erste Spiel gezogen. Die anderen Bewerber würden die Spiele 2 bis 5 kommentieren und der endgültige Stadionsprecher dann das letzte Spiel dieses Schuljahrs.

«Also gut, nochmal, Adrienne, frag mich ab», sagte Lee und drückte mir seine Karteikarten in die Hand. Auf jede hatte er ein Quidditchmanöver geschrieben, dass er auswendig lernen wollte, weil es ja vielleicht im Spiel vorkam.

Lustlos nahm ich die Karten entgegen und las den ersten Begriff vor: «Faultierrolle.»

«Die Faultierrolle. Ähm ja genau, die Faultierrolle. Also bei der Faultierrolle ... die braucht man, um einem Klatscher auszuweichen. Man klammert sich mit Händen und Füssen an den Besen und lässt sich dann Kopfüber baumeln. So wird man nicht vom Klatscher getroffen. Richtig?»

Ich drehte die Karte um und las die Antwort. «Richtig», bestätigte ich Lee. «He Lee, du könntest doch auch allein üben. Ich hab' noch anderes zu tun», sagte ich und drückte Lee seine Karten in die Hand.

Lee verdrehte die Augen. «Suchst du etwa immer noch nach irgendeinem Hinweis auf diese fünfte Gründerin? Das ist Zeitverschwendung, Adrienne. Du hast Binns doch gehört: Wenn es eine fünfte Gründerin gegeben hätte, dann wäre das bekannt.»

«Bis später Lee», war alles, was ich darauf erwiderte, bevor ich aus dem Gemeinschaftsraum verschwand.

In den vergangenen Tagen und Wochen hatte ich systematisch das Schloss durchkämmt auf der Suche nach wirklich irgendeinem Hinweis. Gefunden hatte ich bisher nichts – also zumindest keinen Hinweis, dafür jede Menge anderer interessanter Dinge. Da ich mich mithilfe der Karte der Rumtreiber durchs Schloss bewegte, war ich auf jede Menge versteckter Nischen und Räume wie auch auf unzählige Geheimgänge und Geheimtreppen gestossen. Den grössten Teil des Schlosses hatte ich schon abgesucht, nur die Kerker noch nicht. Wenn ich ehrlich war, dann hatte ich nur deshalb mit den Türmen begonnen, damit ich in den Kerkern als letztes suchen musste, also hoffentlich gar nicht. Ich mochte die Kerker nicht. Sie waren dunkel und kalt und irgendwie bedrückend.

Auf der Treppe nach unten kam mir Jessie entgegen, die sich meiner Suche anschloss und voller Interesse immer wieder auf die Karte schaute.

«He, schau mal», sagte sie plötzlich und deutete auf die Karte. «Da sind einige ganz grosse Räume, die ich noch nie gesehen habe.»

Ich betrachtete die Räume. «Könnten doch der Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs und die Schlafsäle sein», mutmasste ich.

Jessie schüttelte den Kopf. «Nein, die Hufflepuffs kommen immer von viel weiter hinten zum Frühstück. Das da ist etwas anderes.» Plötzlich begannen ihre Augen zu leuchten. «Aber du könntest trotzdem Recht haben, Adrienne. Wenn es eine fünfte Gründerin gab, dann muss es doch auch ein fünftes Haus gegeben haben, nicht? Vielleicht sind diese Räume da ja deren Schlafsäle und Gemeinschaftraum.»

Auch in meine Augen trat jetzt ein Funkeln. «Natürlich, Jessie! Du könntest Recht haben. Los komm!»

Wir eilten die Gänge entlang zu den Räumen und blieben schliesslich vor einem Gemälde stehen.

Unbequeme Wahrheiten - Adrienne Seanorth 2 (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt