18. Kapitel

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Das Erwachen am nächsten Morgen war unangenehm. Mir tat alles weh, was wohl an der unbequemen Matratze lag, auf der ich geschlafen hatte. War die mir Stroh gefüllt? Und auch das Bettzeug war unangenehm: kratzige Leintücher und eine noch kratzigere, schwere Wolldecke. Wahrscheinlich eine geradezu luxuriöse Art zu nächtigen im 11. Jahrhundert, aber verglichen mit den Annehmlichkeiten, die ich aus dem 20. Jahrhundert kannte ...

Ich stieg aus dem Bett undsetzte meine Füsse auf einen dünnen Teppich, der dafür sorgen sollte, dass mansich auf den unbehandelten Brettern, die den Boden bildeten, keine Spriesseneintrat. Wage erinnerte ich mich daran, dass es in meiner Zeit hier Parkettgegeben hatte, auf dem man bedenkenlos barfuss laufen konnte – Wobei sich dieFrage stellte, wieso jemand einen Gemeinschaftsraum und Schlafsäle, die seitJahrhunderten nicht mehr gebraucht wurden, in Stand hielt. Seit Jahrhunderten ...Der Gedanke traf mich wie ein Schlag in den Magen. Jahrhunderte. Mehr noch:fast ein Jahrtausend. So viel Zeit lag zwischen meinem eigentlichen Leben und ...und diesem Zeitpunkt, an dem ich mich jetzt befand. Ein ganzes, verdammtesJahrtausend. Wimmernd liess ich mich zurück aufs Bett fallen, als mir die ganzeTragweite dessen begreiflich wurde. Ich befand mich in einer Zeit, in der ichvon Nichts eine Ahnung hatte, eine Realität, die sich drastisch von allemunterschied, dass ich je gekannt hatte. Ich befand mich im tiefstenMittelalter. Aber das schlimmste war, dass es keinen einzigen Menschen hiergab, den ich kannte.


«Geht es dir gut?»

Ich zuckte zusammen. Die Frage kam von einem Mädchen in langem, weissen Nachthemd, die sich soeben in dem Bett neben meinem aufgesetzt hatte und mich nun verschlafen anblinzelte. Ein kurzer Blick durch den Schlafsaal zeigte mir, dass noch ein drittes Himmelbett hier stand. Noch eine Mitbewohnerin.

«Es geht schon», log ich.

«Nein, tut es nicht», entgegnete das Mädchen und sah mich eindringlich an. «Weisst du, ich kann das spüren. Meine ganz spezielle Gabe, wegen der ich in Finjarelle gelandet bin.»

Bevor ich fragen konnte, was sie damit meinte, war sie schon aufgestanden und zu mir hinübergekommen. Ungefragt setzte sie sich neben mir aufs Bett und legte mir eine Hand auf den Rücken. Sofort wurde mir warm und ich entspannte mich. Alles würde gut werden.

«Besser?» fragte das Mädchen leise und zog die Hand zurück. Das warme Gefühl und meine Zuversicht wurden plötzlich schwächer, verschwanden aber nicht ganz.

Und dann wurde mir klar, dass es das Mädchen gewesen war, dass dafür gesorgt hatte, dass ich mich so fühlte und ich sprang auf, als wäre ich von einer Tarantel gestochen worden.

«Beruhige dich, du weckst noch Xameria auf und dann ist sie wieder den ganzen Tag unausstehlich.»

«Zu spät», klang eine muffelige Stimme zwischen den Vorhängen des dritten Himmelbetts hervor und einige Augenblicke später schob sich ein Kopf mit dichten, schwarzen Locken nach draussen. Es folgte der Körper eines für ihr Alter – und diese Zeit – ausgesprochen grossen, drahtigen Mädchens. Mit einer lässigen Handbewegung ihrerseits in Richtung Kamin flackerte dort ein Feuer auf und begann den Raum zu erwärmen. Dann setzte sich Xameria ebenfalls zu uns. Ich konnte nur verblüfft zwischen ihr und dem Feuer hin und her schauen und blickte dann zu dem anderen Mädchen hin. Sie war blond und zierlich und sah mich immer noch mit diesem beruhigenden Blick an, als habe sie Angst, ich würde gleich zusammenbrechen.

«Wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt», bemerkte sie mit ihrer leisen, sanften Stimme. «Das da ist Xameria Stormhold und ich bin Elaine Black.»

«Und du bist?», fragte Xameria unverhohlen neugierig.

«Adrienne. Adrienne Seanorth.»

«Und weshalb, Adrienne Seanorth, hat dich Professor Finjarelle mitten in der Nacht schlafend hierhergebracht?»

Unbequeme Wahrheiten - Adrienne Seanorth 2 (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt