Ich wusste nicht, wie spät es gewesen war, als ich in den Gemeinschaftsraum der Finjarelles zurückgekehrt und ins Bett gekrochen war, jedenfalls hatte ich nicht lange geschlafen bevor Xameria mir wenig zimperlich die Bettdecke wegzog und mich damit aufweckte.
«Aufstehen, Siebenschläfer, wir sollen uns im Gemeinschaftsraum einfinden und zwar in zehn Minuten.»
Müde grummelnd versuchte ich mir die Decke zurück zu angeln, doch sie war in Xamerias Händen definitiv ausser Reichweite.
«Was soll das?», stöhnte ich verschlafen und versuchte mich so zusammenzurollen, dass mir auch ohne Decke einigermassen warm sein würde. Doch daraus wurde leider nichts, denn kaum hatte ich eine einigermassen angenehme Position gefunden, traf mich aus dem Nichts ein Schwall Wasser mitten ins Gesicht. Ich fuhr hoch wie von der Tarantel gestochen. Xameria lehnte breit grinsend an einem der Bettpfosten meines Himmelbetts und sogar Elaine schien gegen ihren Willen amüsiert.
«Xameria musste das sein?», beklagte ich mich bei meiner Zimmergenossin und mühte mich nun doch noch aus dem Bett.
«Auf jeden Fall», bestätigte diese und sah mir noch kurz dabei zu, wie ich tapsend über die kalten Fliesen ging, bevor sie mir einer Handbewegung das Bett trocknete. Wie ich in den letzten Wochen herausgefunden hatte, besass Xameria eine spezielle Gabe, die es ihr einfach machte, mit ihrer Magie die Elemente zu kontrollieren, doch wie sie immer betonte, sie beherrschte nicht mehr als ein paar praktische Alltagstricks wie zum Beispiel Feuer machen. «Nichts im Vergleich zu dem, was eine ausgebildete Hexe mir ihrer Magie vollbringen kann. Oder gar eine ausgebildete Fey», hatte Xameria mir erklärt.
Schliesslich war ich angezogen und so weit wach, dass ich den Weg den Flur hinab und zur Treppe, die in den Gemeinschaftsraum führte, fand. Kaum war ich aus dem Korridor auf den Treppenabsatz getreten, sah ich auf die versammelten Schüler des Hauses Finjarelle hinab. Mein Herz krampfte sich zusammen, als ich sah, dass dort, wo Finëa sonst immer gestanden hatte, jetzt Professor Hufflepuff stand.
Helga Hufflepuff war eine schöne Frau: gross, mit blonden Locken und ebenmässigen Zügen, um ihre Handgelenke trug sie immer mehrere schmale Goldringe, die ein leises Klingen von sich gaben, wenn sie aneinander stiessen. Sie war sanft und sehr geduldig und verstand sich wunderbar darauf, Streit zu schlichten und Kompromisse auszuhandeln. Genau das war auch der Grund, weshalb die anderen Gründer sie zur ersten Schulleiterin von Hogwarts bestimmt hatten.
Dass es kein gutes Zeichen war, wenn die Schulleiterin von Hogwarts anstatt ihrer Hauslehrerin die Finjarelles zusammen rief, das war allen Anwesenden klar, weshalb Professor Hufflepuff auch, als alle versammelt waren, sofort mit Fragen bestürmt wurde, ob es Professor Finjarelle gut ginge. Ich schluckte, wenn es doch so einfach wäre und sie sich nur eine Grippe zugezogen hätte, wie manche der Schüler vermuteten – oder eine Influenza, wie sie es nannten.
«Seien Sie jetzt bitte ruhig, damit ich Ihnen schildern kann, weshalb ich hier bin», mahnte Hufflepuff die Schüler. Endlich verstummten die Fragen. «Na dann, leider gibt es einen sehr ernsten Grund, weshalb ich Sie heute Morgen begrüsse.» Professor Hufflepuff verstummte und sah uns alle eindringlich an. Ich hatte das Gefühl, sie rang um Worte. «Zu meinem grossen Bedauern und in tiefer Trauer muss ich euch mitteilen, dass Professor Finëa di Finjarelle gestern Abend ... ermordet wurde.» Sie hatte sich dazu durchringen müssen, die letzten Worte auszusprechen und nicht einfach Finëas Tod zu verkünden. Doch auch dann hätten es sich alle denken können. Fey sind unsterblich, erinnerte ich mich wieder einmal an Xamerias Worte, wenn keiner sie umbringt, leben sie ewig.
Eine Berührung an meiner Schulter liess mich zusammen zucken, doch es war nur Elaine, die den Arm um mich legte. Dankbar lehnte ich mich an sie, während Hufflepuff weitersprach.
«Professor Finjarelle wurde gestern Abend von einem Dolch durchbohrt in ihrem Studierzimmer gefunden. Wir sind bereits dabei den Mord an ihr aufzuklären. Aus Respekt ihr gegenüber, einer guten Frau, hervorragenden Lehrerin, einem angesehenen Mitglied des Lehrerkollegiums und natürlich einer Gründerin von Hogwarts, werden die Kurse heute entfallen, damit wir alle Zeit haben, gebührend um sie zu trauern.» Die Schulleiterin hielt inne und liess ihren Blick wieder über jeden einzelnen von uns schweifen. In ihren Augen erkannte ich Trauer und Liebe gleichermassen. Trauer über den Verlust einer guten Freundin und Liebe zu all diesen Schülern, den Schützlingen ihrer Freundin, die ihre Mentorin verloren hatten. Diese bedingungslose Liebe zu Schülern anderer Häuser war etwas, das Helga Hufflepuff ganz besonders auszeichnete und das ich sehr an ihr schätzte.
Ein kleines Lächeln zuckte kurz in ihren Mundwinkeln, als sie weiter sprach: «Allerdings werden wir ab morgen den Unterricht wieder aufnehmen, auch wenn ich weiss, dass euch das nicht gefällt. Finëas– ich meine Professor Finjarelles Kurse werden vorerst entfallen.»
Auch lange nachdem Hufflepuff unseren Gemeinschaftsraum verlassen hatte, herrschte unter den Finjarelles immer noch Stille. Einige waren mittlerweile zum Frühstück in die grosse Halle gegangen, aber die meisten sassen oder standen noch immer im Gemeinschaftsraum, zu fassungslos über alles, was geschehen war und unfähig zu begreifen, dass die unsterbliche Finëa di Finjarelle gestorben war.
«Das wird vieles ändern», murmelte Xameria, die sich neben Elaine und mir auf ein Sofa gequetscht hatte. «Es war noch nie einfach, die verschiedenen magischen Arten zusammenzuhalten. Jetzt, wo Professor Finjarelle als einzige Lehrerin, die nicht von Zaubererblut ist, nicht mehr da ist – jetzt, wo eine von uns hier ermordet wurde, werden sich viele unserer Eltern nochmals überlegen, ob sie wirklich wollen, dass wir in Hogwarts unterrichtet werden.»
«Du glaubst, die Fey-Schüler werden nach den Ferien nicht mehr zurückkommen?», fragte Kaspar mit belegter Stimme. «Aber was geschieht dann mit dem Rest von uns Finjarelles?»
Xameria zuckte mit den Schultern. «Einige werden wahrscheinlich ebenfalls nicht zurückkommen. Ihr wisst ja, wie wenig tolerant manche Zauberer gegenüber anderen magischen Wesen sind und auch wenn die anderen Gründer diese Vorurteile nicht teilen ...»
«Ich hoffe nur, sie finden Professor Finjarelles Mörder und ziehen ihn zur Rechenschaft», sagte William und seine Augen leuchteten dabei in dem hellen giftgrün, dass sie immer hatten, wenn er seine Dryadengestalt annahm.
«Wir werden es versuchen», sagte ich entschlossen und fing mir damit die Blicke meiner Klassenkameraden ein.
«Wie meinst du das? Wir?», fragte Elaine vorsichtig. «Schlägst du vor, wir sollen uns gemeinsam auf die Suche nach dem Mörder machen?»
Ihre Frage erinnerte mich an meine Freunde zuhause und unsere Suche nach dem Grimm und eine plötzliche Welle des Heimwehs überkam mich. Ich musste mich mehrmals räuspern, bevor ich wieder sprechen konnte: «Professor Slytherin hat mich gefragt, ob ich ihm helfen wolle. Scheinbar hat Finë- Professor Finjarelle etwas in die Richtung gesagt kurz bevor sie gestorben ist.»
«Das ist aber nicht alles», bemerkte William und sah mich eindringlich an. Seine Augen waren dabei immer noch giftgrün und ich hatte das Gefühl, er könne direkt in mich hineinsehen.
«Du kannst uns vertrauen, Adrienne. Wir werden nichts weitererzählen, versprochen. Du musst uns nicht belügen.» Elaines beruhigende Stimme und die Hand, die sie auf meine Schulter legte, sagten mir, dass sie wieder einmal meine Gefühle gelesen hatte, doch diesmal machte es mir nichts aus.
«Schwört ihr es? Schwört ihr, dass ihr nichts von dem, wasich euch sagen werde, jemals weitererzählt?», fragte ich die vier ernst und sieschworen. Dann begann ich, ihnen meine Geschichte zu erzählen.
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Unbequeme Wahrheiten - Adrienne Seanorth 2 (HP FF)
FanfictionEine Harry Potter Fanfiction Adriennes erstes Jahr ist um und hat eine Menge ungeklärter Fragen bei ihr aufgeworfen. Sie weiss immer noch nicht, wer ihr Vater ist, und dann ist da noch die Frage, weshalb der Grimm sie nicht angegriffen hat. Was hat...