19. Kapitel

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Erstaunlicherweise war der Boden innerhalb des Steinkreises frei von Schnee. Was mich allerdings noch mehr erstaunte, waren die Wolldecken, die überall herumlagen und die Picknickkörbe mit Essen. Einige Schüler hatten es sich bereits mit Decken und Essen bequem gemacht, viele in der Nähe der acht Feuerstellen, die allerdings allesamt leer waren. Die einzige Lichtquelle waren die leuchtenden Zauberstäbe und ein paar Lichtreflektionen aus der Mitte des Steinkreises. Dort stand im schwachen Licht der Zauberstäbe erkennbar ein grosser Julbaum. Die Tanne war mit Strohsternen und roten Äpfeln geschmückt und mit Kerzen, die noch nicht entzündet waren. Die Lichtreflektionen kamen von den metallenen Kerzenhaltern, die die Kerzen an Ort und Stelle hielten.

«Komm hierherüber, Adrienne.» Xameria hielt mich am Ärmel fest und zog mich zu einer Gruppe von drei Personen, die sich bereits an einer der Feuerstellen eingerichtet hatten. Eine davon war Elaine, die mir zuwinkte und auf den Platz neben sich deutete, wo bereits eine Wolldecke ausgebreitet lag. Erleichtert setzte ich mich neben sie und kuschelte mich in die warme Decke. Die anderen beiden Personen der Dreiergruppe stellten sich als die Jungs aus 'unserem' Jahrgang heraus. Sie hiessen William und Kaspar und schauten mich ganz unverhohlen neugierig an, bis Elaine sie zurechtwies.

«Und was geschieht jetzt?», fragte ich, als wir es uns bequem gemacht hatten.

«Wir warten auf Mitternacht und futtern uns durch den Picknickkorb», erklärte William und schlug die Decke auf dem Korb zurück. «Was haben wir denn da ... Oh, wer möchte ein Käsesandwich?»

Irritiert starrte ich ihn an. «Das ist alles?»

Xameria sah mich verblüfft an. «Hast du etwa noch nie an einem Jul-Ritual teilgenommen?»

«Jetzt sei nicht so unhöflich», sagte Elaine und boxte Xameria in die Rippen. «Ich selbst hatte auch keine Ahnung von all dem bis ich nach Hogwarts kam.»

«Nun, es passiert schon etwas mehr beim Ritual als futtern», erbarmte sich Kaspar schliesslich. «Traditionell werden auch Geschichten erzählt, Balladen und Lieder gesungen und dann um Mitternacht beginnt das eigentliche Ritual. Wir entzünden dann alle gemeinsam die Feuer als Symbol für die Wiedergeburt des Lichts und den Neuanfang.»

Ich nickte. «Weiss ich. Meine Mutter hat das Ritual jedes Jahr mit mir abgehalten, allerdings waren wir da immer nur zu zweit.»

«Was ist denn mit deinem Vater?», fragte Xameria neugierig.

«Ich habe keinen», erklärte ich und ärgerte mich einmal mehr darüber, dass meine Ma mir diese Information vorenthielt. Wenn all das hier vorbei war und ich wieder zuhause in meiner eigenen Zeit war, dann musste ich dringend ein klärendes Gespräch mit meiner Mutter führen. Dann schauderte ich, als mir ihr Anblick, wie sie blutbefleckt bei uns im Flur gestanden hatte, und die drohenden Worte, die sie später am Abend zu mir gesagt hatte, wieder einfielen. Und trotzdem ... ich hätte eigentlich schon lange mit ihr sprechen sollen, gestand ich mir widerwillig ein.

«Geht mir ganz ähnlich mit meiner Mutter», erklärte William wobei er kaum zu verstehen war, da er die Worte um einen grossen Bissen Brot herum quetschte. Seine nächsten Worte waren besser zu verstehen, da er Merlin sei Dank endlich heruntergeschluckt hatte: «Sie ist eine Dryade und die sind bekanntlich nicht so gut geeignet, menschliche Kinder grosszuziehen. Sie hat mich zu meinem Vater gebracht. Meine Stiefmutter war gar nicht erfreut.»

Xameria kicherte. «Deswegen heisst er William, weil seine Mutter ein Birnbaum ist.»

«Sie ist kein Birnbaum! Sie ist eine Dryade, die in einem Birnbaum wohnt!», verteidigte sich William.

Xameria zuckte mit den Schultern. «Kommt doch aufs Gleiche raus», sagte sie wegwerfend, womit sie sich einen weiteren Schlag von Elaine einhandelte. Wahrscheinlich hatte Xameria regelmässig blaue Flecken, denn Elaine schlug nicht gerade sanft zu.

Unbequeme Wahrheiten - Adrienne Seanorth 2 (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt