Break away - sich lösen (Zickzack)

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Zeit stoppt nicht, niemals. Sie hält nie an, ganz egal, wie sehr man es bräuchte. Jede Sekunde verstreicht im selber Geschwindigtkeit wie die Sekunde davor und die vor eben dieser und abermillionen Sekunden zuvor und irgendwann endet jeder Moment.
Egal was es ist, man kann es nicht für immer halten, es vergeht irgendwann wie das Leben selbst. Nichts und niemand verweilt für immer auf der Erde, der Tod rückt unaufhaltsam näher an jeden heran mit jedem Tag an dem er aufsteht - für manche bleibt ein ganzes Jahrhundert, manche haben noch zehn vielleicht mehr Jahre und für abertausende ist es schon vorbei.

Warum hatte er einer dieser Tausenden sein müssen? Wieso war ihm nicht mehr Zeit geblieben, er war noch so jung gewesen, wo also waren seine Jahrzehnte? 27 Jahre Lebenszeit waren nichts im Vergleich zu dem, was andere hatten!

Leise, kaum hörbar, tickte die Uhr an seinem schmalen Handgelenk, während sich die blassen Finger um den Stängel der Rose zu klammern schienen. Dumpf prasselten Regentropfen auf ihn herab, vermischten sich mit den salzigen Tränen, die tonlos seine Wangen hinabliefen.
Er spürte eine Hand, die sich auf seine Schulter legte und ging langsam in die Knie, ehe er die Rose vor sich auf die nasse Erde legte und den Blick langsam hob. Die grünen Augen hefteten sich auf die Inschrift des Grabsteins, es bildete sich ein Kloß in seinem Hals und kurz versagte ihm der Atem.

'Schmockyy
geboren am: 16.04.1989
gestorben am: 23.03.2017
'

27 Jahre. 17 Jahre lang hatten sie sich gekannt, 16 waren sie befreundet und in den letzten 4 Monaten waren sie ein paar gewesen.
Es hatte nichts gebeben, was sie voneinander lösen konnte, bis zu diesem einen Moment. Der Moment, in dem Schmockyyy plötzlich zur Seite gekippt und nur von Bastis Griff etwas gebremst zu Boden gesunken war. Tot.
Als die Ärzte eintrafen, versuchten sie noch, den jungen Mann wiederzubeleben, aber Schmockyyys Herz begann nie wieder zu schlagen.

Jedes mal, wenn er die Augen schloss, sah er sich wieder dort stehen. Betäubt vom Schock, wie gelähmt vor Angst und Schmockyyys kalte Hand fest umgriffen neben den Ärzten. Er hatte keine Ahnung, was sie sprachen, er verstand immer nur Wortfetzen.
"Weiter!"
"Nützt nichts."
"Tot!"
Bis zum Krankenhaus versuchten die es weiter und sobald sie ankamen, zogen sie Basti von Schmockyyy weg.
Jeder Versuch sich zu wehren hatte nichts gebracht, Schmockyyy wurde auf eine andere Liege umgelegt und davongeschoben, eine Schwester sagte ihm, er solle sich beruhigen, alles würde gut werden. Der hoffnungslose Blick und das traurige Lächeln aber, mit dem der Arzt ihn kurz musterte und dann neben der Liege Schmockyyys hereilte, verkündete ihm das Gegenteil.

Er sah sich noch die Hand an die Wand legen und wie er in sich zusammen sank, dann wurde es schwarz und die Erinnerung riss ab.

Das nächste an das er sich erinnerte war sein Erwachen im Krankenhaus. Neben ihm piepte eines der Geräte leise, er fühlte sich schwach, sein ganzer Körper schmerzte und die Erinnerungen waren eher schwammig als klare Bilder.
"Basti, bist du wach?"
Unfähig zu sprechen nickte er und blinzelte mühsam gegen das helle Licht der Deckenlampe.
Veni saß neben dem Bett, wirkte fast ebenso müde wie er selbst.

Nur Minuten später hatte er tränenüberströmt in Venis Armen gelegen und dessen Herzschlag gelauscht. Rafael hatte versucht, stark für ihn zu sein, aber Basti hatte die Tränen gespürt, die vereinzelt auf seine tropften und das Zittern von Venis Hand, die ihm immer wieder über den Rücken strich.

Es war nun drei Wochen her, dass Schmockyyy verstorben war, aber für Basti fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Er dachte jeden einzelnen Tag an seinen verstorbenen Freund, jede einzeone Stunde, ganz egal, was er tat oder wo er sich befand.
"Basti, komm. Wir sollten gehen, du erkältest dich."
Er warf einen Blick nach hinten. Rafael hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und sah ihn eindringlich an, bis Basti sich mit gesenktem Kopf langsam erhob.
Irgendwo hatte Veni Recht. Er konnte nicht ewig um Schmockyyy trauern, denn er selbst hatte keine Ewigkeit. Alles verging und irgendwann würde auch er selbst sterben, dann würde er Schmockyyy endlich wiedersehen.

Ein leichtes, trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen und er bedankte sich tonlos bei Rafael, der sein Lächeln erwiderte. Es zeigte ihm, dass er nicht allein war. Dass er Menschen hatte, die ihn schätzten, ihn sogar liebten und die nicht von seiner Seite wichen, egal was passierte. Nicht einmal seine wochenlange Trauer und Ignoranz hatte sie von ihm wegtreiben können und er war ihnen dafür mehr als dankbar, auch wenn er es noch nicht ausdrücken konnte.
Er zog sich die Kapuze seiner Jacke über, die Veni ihm in die Hand gedrückt hatte. Der Stoff fühlte sich unangenehm auf seiner nassen Haut an, aber die Wärme tat seinen durchgefrorenen Gliedern gut und sie lenkte ihn etwas von dem kalten Schmerz in seiner Brust ab.

Sekunden später spürte er eine warme große Hand um seine eigene und hob den, um Veni in die Augen sehen zu können. Er beugte sich vor, hauchte Rafael einen Kuss auf die Lippen und hauchte ein leises: "Danke". Dann gingen sie gemeinsam vom Friedhof und sie beide wussten, dass sie morgen erneut herkämen, um eine Rose abzulegen, wie sie es jeden Tag seit drei Wochen taten.
Vielleicht würden die Besuche irgebdwann einmal kürzer werden, weniger emotional und weniger bedrückend. Vielleicht wurden die schrecklichen Bilder in Bastis Kopf irgendwann blasser und verschwanden in die tiefe Erinnerung, wo sie durch die vielen schönen Momente, die sie mit Schmockyyy erlebt hatten, zurückgedrängt wurden. Vielleicht würde sich Bastis Leben wieder normalisieren und er lernen, wie er mit dem Verlust umgehen konnte und vielleicht würde Veni der Grund dafür sein, dass ihm all das gelang.

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