29. Tschernobyl

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Mein Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Berlins Kiefer mahlte unablässig und sein gesamter Körper war bis in die Fingerspitzen angespannt. Langsam ließ ich meinen Blick über die Gesichter des Teams wandern, doch jeder von ihnen sah uns fragend an.
In ihren Gesichtern stand geschrieben, was sie von dem Ganzen hielten.

"Ist das wahr?", flüsterte Nairobi und schaute mich aus ungläubigen Augen an. Ich hatte die Hoffnung, dass Berlin zuerst seine Sprache wiederfinden würde und sich aus allem rauslügen würde, wie er es immer tat, doch mein Verlobter hatte zum ersten Mal, seitdem ich ihn kenne, keine Antwort parat.

Wie in Zeitlupe drehte Berlin seinen Kopf zu mir und sah mich ebenso überrumpelt an. Ich überlegte verzweifelt eine Möglichkeit, mit der wir aus der Sache herauskämen, doch mir fiel nichts ein.
Unser Zögern war den anderen schließlich Antwort genug.
Schnauben drehte sich Nairobi um und schüttelte angeekelt den Kopf.

"Wie könnt ihr nur!", brüllte die Braunhaarige und ich zuckte zusammen.
"Es reicht doch schon, wenn uns eine Beziehung hier drin Probleme macht!" Mit einem erzürnten Seitenblick schaute sie zu Tokio und Rio.
"Außerdem gab es Regeln, Berlin!", rief sie weiter.

"Hör mir auf mit den verdammten Regeln! Als würde es etwas daran ändern, dass wir hier nicht mehr rauskommen, wenn der Professor nicht bald anruft!", ertönte plötzlich die aufgebrachte Stimme Berlins. Er war so sauer, dass sogar die Ader an seinem Hals begann zu pulsieren.
Er hatte die Wahrheit ausgesprochen, die sich niemand hier eingestehen wollte, aber Berlin war noch nicht fertig.
Sein Blick huschte zu Moskau.

"Mir ist es scheißegal, woher du davon weißt, aber hast du kein Ehrgefühl? Wenn man so etwas herausfindet, dann hält man zum Teufel noch mal die Schnauze!", blaffte unser Anführer den älteren Mann an.
Dieser sah schweigend auf seine Finger, doch ich konnte die Schamesröte in seinem Gesicht sehen.

Nachdem Berlin geendet hatte, legte sich ein bedrückendes Schweigen über den Raum und niemand traute sich, etwas zu sagen.
Sogar Tokio mischte sich diesmal nicht ein, denn sie war ebenso schuldig wie Berlin und ich in dem Punkt.

Ich stand hinter unserem Anführer, doch konnte ich den stechenden Blick von Nairobi auf mir spüren. Schließlich ertönte vor mir ein Schnauben und Berlin griff abermals nach dem Alkohol auf dem Tresen.
"Wenn ihr mich entschuldigen würdet, ich möchte mich jetzt gerne betrinken."
Mit großen Schritten durchquerte er den Raum, wobei der Ärger ihm deutlich ins Gesicht geschrieben war. Bevor jemand von uns ihn aufhalten konnte, fiel die Tür bereits mit lautem Knall ins Schloss.

Unschlüssig stand jeder nach wie vor herum.
"Wie kam es dazu?" Nairobis Stimme klang viel weicher als zuvor, als sie die Frage an mich richtete.
Seufzend setzte ich mich an den Tisch. Ich schaute meiner Kollegin in die Augen.
"Es hat sich von Anfang an gut angefühlt, in seiner Nähe zu sein", setzte ich an und wählte meine Worte mit Bedacht, "Irgendwann hatte ich das Gefühl, das das mit uns einfach passt und ich glaube, er hatte den gleichen Gedanken gehabt."

Die anderen ließen meine Worte für einen Moment im Raum stehen.
"Aber du hast trotzdem über Rio und mich geurteilt?", fuhr mich Tokio an und ich schnaubte bloß.
"Im Gegensatz zu euch haben wir nicht dafür gesorgt, dass der ganze Plan beinahe gescheitert wäre", meinte ich kühl.
Sie wendete sich beleidigt ab.

In diesem Moment ergriff, zum ersten Mal in diesem Gespräch, Denver das Wort.
"Aber wieso habt ihr alle etwas dagegen, hier drinnen Beziehungen aufzubauen? Es muss doch nicht gleich den Plan zerstören. Vor allem dann nicht, wenn es um Liebe geht!" Seine Augen huschten über unsere Gesichter hinweg, doch er hatte nun die gesamte Aufmerksamkeit auf sich liegen.

"Denver, bitte sag mir nicht-", stöhnte Nairobi genervt auf, doch der Braunhaarige zog verteidigend die Hände empor.
"Was denn, wenn beide es wollen", murmelte er und hatte es somit geschafft, die Stimmung hier noch ein Wenig weiter in die Tiefe zu reißen. Selbst Moskau wirkte schockiert.

Nothing to Lose (Berlin - La Casa de Papel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt