2. Toledo

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Bevor ich die Umgebung genauer betrachten wollte, ging ich hinauf zu unseren Zimmern. Der Professor hatte uns erklärt, dass wir uns jeder ein Zimmer aussuchen konnten. Da die Anderen bereits fast alle oben gewesen sind, blieben nur noch ein par Zimmer übrig. Ich wählte eins mit Blick hinunter auf das Dorf.
Links neben mir befanden sich anscheinend die Zimmer von Tokio und Nairobi. Zu meiner Rechten war noch ein Zimmer frei, das andere bewohnte Rio. Die restlichen Zimmer befanden sich weiter hinten im Gang.

Nachdem ich das Zimmer in Augenschein genommen und die ersten Sachen aus meinem Koffer geräumt hatte, erkundete ich das riesige Anwesen.
Im zweiten Stock befanden sich anscheinend nur Schlafzimmer und drei Bäder. Eins für die Frauen, zwei für die Männer. Wie ich bereits wusste, befand sich auf dem Dachboden nur das Klassenzimmer, weswegen ich nach unten ging. Den Eingang hatte ich nur kurz bei der Ankunft betrachten können. Auf der untersten Etage fand ich ein Wohn- und Esszimmer, daneben auch die große und helle Küche. Diese Villa ist wunderschön, schoss es mir durch den Kopf. Nicht das Hauptquartier, welches man sich bei einem Überfall dieser Größe vorstellen würde. Alles war edel eingerichtet und perfekt aufeinander abgestimmt. Da hatte jemand einen guten Geschmack.

Ich stöberte die Schränke durch und fand allerlei Dosen, Nudeln und Getränke. Auch der Kühlschrank ist prall gefüllt, also werden wir wenigstens schonmal nicht verhungern.
Ich trat durch die Glastür hinaus auf die Terasse. Der Ausblick ist beeindruckend. Man konnte alles überblicken: Wiesen, Felder, kleine und größere Baumgruppen und auch in der Ferne einen See.
"Im Umkreis von mehreren Meilen wohnt hier niemand. Wir haben also unsere Ruhe, um uns mit aller Sorgfältigkeit vorzubereiten." Der Professor trat neben mich an die lauwarme Luft. In seiner Hand schwenkte er ein Glas Wasser und ein schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen, welches ich gerne erwiderte. "Um ehrlich zu sein Professor, Sie machen mir nicht den Eindruck eines Superschurken, eher wie ein... nun ja, Lehrer halt", lachte ich und sah ihn von der Seite an. Sein Lächeln verzog sich für einen Moment, bevor er antwortete. "Wir sind in dem Sinne auch keine Schurken: Es wird niemandem etwas weggenommen und, im Idealfall, auch niemand verletzt. Wir vermischen Gut und Böse zu einer Grauzone, in der wir ein wenig Spielraum haben." Der Professor nahm einen Schluck Wasser zu sich, doch ich ließ seine Worte von eben in meinem Kopf wiederhallen. "Aber wo endet diese Grauzone? Ab wann ist jemand Gut oder Böse?" Der Braunhaarige wendete sich wieder mir zu. "Es ist wahrlich ein schmaler Grad, Valencia. Und ehrlich gesagt müssen wir verdammt aufpassen, dass wir die Grenze nicht übertreten. Jedoch bin ich zuversichtlich, wir werden das schaffen, wir müssen es einfach..." Er schaute über die Wiesen und ein trauriger Ausdruck huschte über sein Gesicht. Einige Momente des Schweigens später ging er wieder in das Haus und ich war erneut allein auf der hölzernen Terasse.

Am Abend veranstalteten wir draußen ein kleines Festessen. Dafür haben wir extra Essen bestellt und auch einen Tisch samt zehn Stühlen in den Garten geschleppt. Der Tisch war gesäumt von Essen und Alkohol, viel Bier und ein paar Flaschen Wein.

Ich stellte fest, dass wir alle ziemlich verschieden zu sein schienen. Aber das hieß nicht, dass wir kein gutes Team abgeben würden. Zum einen hätten wir unter anderem Tokio und Nairobi, welche mit Rio und Denver herumalberten, Moskau, der sich mit Helsinki und Olso über den Krieg unterhielt und den Professor, Berlin und mich, welche die ersten groben Abläufe des Plans durchgingen. Doch die kleinen Gesprächsgruppen wurden bald aufgelöst und wir alle zusammen redeten, lachten und feierten.

Etwas später war das Bier schon deutlich weniger geworden und die Zungen loser. So bestätigte sich zum Beispiel meine Vermutung, dass Denver und Moskau verwandt sind. Auch Berlin, der schon das ein oder andere Glas Wein getrunken hatte, flirtete inzwischen mit Tokio und Nairobi. Ich schaute diesem Schauspiel amüsiert und mit zum Glück klarem Kopf zu, ein Vorteil den man hatte, wenn man keinen Alkohol trinkt.
So einer ist Berlin also...
Doch auch ich blieb nicht verschont und wurde schon bald in den Gruppenflirt mit eingebunden, denn auch Denver und Rio waren mit von der Partie. Je mehr Alkohol floss, desto seltsamer und anzüglicher wurden die Fragen und Bemerkungen, wobei ich sagen muss, dass es gewissermaßen Spaß machte, einfach mal mit ein paar Männern und Frauen, die so speziell sind wie man selbst, dämlich über Gott und die Welt zu quatschen.
Gegen halb zwölf unterbrach der Professor, welcher sich bis Dato mehr oder weniger zurückgehalten hatte, allerdings das Schauspiel und schickte uns auf unsere Zimmer, da es morgen mit dem Plan weitergehen würde.
Die Jungs, Rio und Denver, torkelten ein wenig, während sie die kleine Treppe zum Haus hochstiegen. Die restliche Bande half noch mit beim Aufräumen. Zwar war es uns nicht verboten Alkohol zu trinken, dennoch hatte der Professor stets darauf geachtet, dass niemand sturzbetrunken sein würde, weswegen es deutlich leichter war, sich mit den Leuten zu unterhalten.

Nothing to Lose (Berlin - La Casa de Papel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt