34. Telefon

699 43 1
                                    

Stumm stand ich hinter Berlin und musste dabei zusehen, wie der bewusstlose Junge von Helsinki davongeschleift wurde.
Ich musterte das Seitenprofil meines Verlobten, doch er hatte noch immer seine Maske aufgesetzt, die keine Gefühle durchließ.

Er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als wir Tokio ausgeliefert hatten oder er Rio die Spritze in den Hals gestoßen hatte.
Ich unterdrückte ein Seufzen und folgte dem Braunhaarigen auf sein Handzeichen hin.
"Helsinki, zur Verladerampe", befahl er und ich sah, dass Berlin den Revolver in der Halterung lockerte.

Als wir außer Sichtweite der Geiseln waren, griff ich nach seinem Arm und brachte ihn zum Stehen.
"Was hast du vor? Willst du ihn umbringen?!" Ich hoffte irgendwo ein Fünkchen von Mitleid in seinen Augen zu erkennen, doch er ließ nichts durchblicken.
"Er hat uns verraten, Valencia. Es ist die einzige Lösung."
Ohne mir auch nur noch einen Blick zuzuwerfen, drehte er sich wieder weg und ging mit zügigen Schritten dem Serben hinterher.

Ich wusste, dass ich nichts mehr an seiner Entscheidung ändern konnte, zumindest ohne Hilfe. Auf der Stelle umdrehend, eilte ich den Gang zurück, aus dem wir gekommen waren.
Hektisch versuchte ich irgendjemanden zu finden, doch niemand hatte gerade Wache.
"Verdammte Scheiße!", fluchte ich und schlug den Weg zum Gemeinschaftsraum ein.

Meine Stiefel polterten über den Boden und als ich an der Haupthalle vorbeilief, zogen die Geiseln ängstlich den Kopf ein.
Endlich entdeckte ich Nairobis Gesicht auf der Galerie.
"Was ist los?", rief sie von oben, doch ich musste zuerst ein paar Mal durchatmen, bevor ich sprechen konnte.

"Berlin will Rio exekutieren", brachte ich keuchend hervor, doch meine Freundin schaltete sofort.
"Denver! Beweg' deinen Arsch hier her, ansonsten verlieren wir gleich den Nächsten!"
Hinter ihr entdeckte ich den anderen Braunhaarigen, der bereits Nairobis Waffe dabei hatte.

Ohne weiter Zeit zu verlieren, schlossen sich die beiden mir an und im Eiltempo sprinteten wir zum Verladeraum.
Bereits einige Gänge davor konnte man bereits Berlins Stimme hören.

Inzwischen hatten Denver und Nairobi mich überholt, da ich durch den Sprint zuvor bereits deutlich an Kräften eingebüßt hatte.
"Nimm die Waffe runter Berlin!", hörte ich den Befehl von Nairobi und über ihre Schulter hinweg konnte ich das Gesicht meines Verlobten sehen, der für einen kurzen Moment die Augen schloss und dann wieder die Waffe hob.

Ich vermutete, dass Rio vor den Rollen unter mir stand, doch ich konnte ihn durch den schlechten Winkel nicht sehen.
Meine Aufmerksamkeit lag bei der Pistole in Berlins Hand, die unaufhörlich zitterte.
"Hör auf mit dem Scheiß", mischte sich nun auch Denver ein, der seine M16, ebenso wie Nairobi, auf Berlin gerichtet hatte.
Die Stimmung war bis zum Zerreisen angespannt.

In diesem Moment ertönte ein Laut, der uns alle zusammenzucken ließ. Das Telefon klingelte. Mein Kopf schoss in die Richtung, aus der der Ton kam.
Mit einem letzten Blick zu den anderen, holte ich noch einmal tief Luft und sprintete zurück. Er war der Einzige, der diese Situation entschärfen konnte.
So schnell wie ich konnte, lief ich dem Klingeln entgegen. Jede verstreichende Sekunde konnte den Tod einer meiner Kameraden bedeuten.

Schnaufend erreichte ich den Raum und hechtete hinüber zu dem roten Gerät auf dem Tisch. Ich hielt mir den Hörer an den Kopf, während ich mich vor Seitenstichen hinsetzen musste.
"Valencia, was zum Teufel ist da unten los?", war die erste Frage, die mir entgegenschoss.

"Wir haben Tokio ausgeliefert und Rio hat den Geiseln unseren Fluchtplan verraten", erklärte ich hastig, "Und da wir niemanden hatten, den wir um Rat fragen konnten und es nur noch eine Stunde bis Tschernobyl war, wurde Berlin einigem Stress ausgesetzt. Mal ganz von dem russischen Roulette abgesehen."
Für einen kurzen Moment schwieg der Professor.
"Es tut mir Leid."

Nothing to Lose (Berlin - La Casa de Papel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt