36. Auge um Auge

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Unaufhörlich hackte ich auf die Erde vor mir ein, um sie aufzulockern. Der Schweiß rann mir inzwischen Tropfenweise über die Stirn und den Körper. Zusammen mit Moskau kamen wir sogar ein gutes Stück voran, was mir sehr entgegen kam.
Ich wollte aus dieser Mausefalle einfach nur noch verschwinden. Es müsste jetzt kurz vor Mitternacht sein, den Durchsagen im Radio nach zu urteilen.

Irgendwann schleppte ich mich aus dem staubigen Tunnel und ergriff dankbar Moskaus Hand, die er mir hinhielt, um mich hochzuziehen.
"Ich habe dir doch gesagt, etwas harte Arbeit schadet nie", meinte er lächelnd und hielt mir eine Flasche Wasser hin.
In einem Zug leerte ich diese und warf sie achtlos neben mich.

Ich setzte mich neben den älteren Mann auf den Boden und wischte mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
"Du solltest mit Berlin reden", murmelte mein Kollege plötzlich und ich schaute perplex zu ihm.
Nachdem wir angefangen hatten zu arbeiten, habe ich ihm von Anfang an alles erzählt, was zwischen meinem Verlobten und mir vorgefallen war und Moskau hatte mir aufmerksam zugehört.

"Wie sollt ihr denn ein Problem lösen, wenn ihr nicht darüber sprecht? Außerdem kannst du dich nicht ewig hier unten verstecken, auch wenn ich deine Anwesenheit und deine Hilfe sehr schätze."
Ich schüttelte seufzend mit dem Kopf.
"Es geht alles den Bach runter, seitdem wir hier drin sind", meinte ich matt, doch Moskau lachte nur, weswegen ich ihm einen verwirrten Blick zuwarf.

"Wir sind mitten in einem Raubüberfall, da ist das normal. Aber wenn ihr das hier zusammen meistert", sagte er und schaute mir direkt in die Augen, während er meine Hand drückte, "Dann kann nichts und niemand euch mehr auseinanderbringen."
Von diesem Blickwinkel hatte ich das noch gar nicht betrachtet. Aus diesem Grund schätzte ich Moskaus Rat so sehr: Er sah die Dinge oft etwas anders und einfacher.

Für eine Weile saßen wir einfach nur nebeneinander und quatschten. Das Radio spielte im Hintergrund irgendwelche Volkslieder, doch ich achtete nicht darauf.
Moskau hatte es tatsächlich geschafft, mit seiner Art und seinen Gesprächsthemen, mich von meinen Problemen, zumindest für eine gewisse Zeit, abzulenken.
Die Auszeit war jedoch nicht so lang, wie ich es mir gewünscht hätte.

Ich hörte Stiefel auf dem Gang und schließlich steckte Nairobi ihren Kopf durch die Tür.
Ihre Augen huschten kurz zu mir, doch sie gab vorerst keinen Kommentar dazu ab.
"In einer halben Stunde ist Teambesprechung, danach Schichtwechsel", erklärte sie uns und verabschiedete sich keine Minute später.

Ächzend erhob sich unser Schweißer und zog mich mit auf die Beine.
"Na los, du solltest dich vorher waschen gehen und einen frischen Overall anziehen. Schließlich kannst du so nicht vor deinen Geliebten treten", neckte er mich mit einem Grinsen auf den Lippen, bevor er mich leicht aber bestimmt aus dem Tresor stieß.
Während ich den Weg nach oben antrat, konnte ich in einiger Entfernung hören, dass er noch ein Wenig aufräumte, so gut es ging.

Aus unserem reichlichen Vorrat hatte ich mir neue Kleidung geschnappt und knallte sie seufzend auf das Waschbecken, sobald ich die Toiletten erreicht hatte.
Mit dem Wasser und meinen alten Sachen wusch ich mir den Schweiß vom Körper und aus dem Gesicht.
Da klopfte es an der Tür.

Ich schreckte auf und entdeckte Denver dort stehen, der anscheinend eine Geisel zur Toilette bringen wollte, Mercedes.
"Kann ich sie kurz bei dir lassen? Ich muss wieder zu den anderen", erläuterte er hektisch und ich nickte bloß wortlos. Mit ihr würde ich im Ernstfall fertig werden.
Intuitiv glitt mein Blick zu der Pistole auf dem Waschbecken.

"Ach, denkst du, ich würde dich angreifen?", ertönte die Stimme meiner ehemaligen Kollegin hinter mir. Schnaubend drehte ich mich um, während ich meinen Oberkörper mit dem alten Overall abtrocknete.
"Geh' einfach auf die Toilette, dann bringe ich dich zurück."
Doch sie dachte nicht daran.

Nothing to Lose (Berlin - La Casa de Papel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt