16. Kapitel

444 21 0
                                    

Pov. Elaisa

Ich sitze seit einer Ewigkeit auf meinem Bett, die Vorhänge zugezogen und mit der Decke über dem Kopf. Alle denken, dass ich mich von dem Schreck erholen muss, was teilweise auch der Wahrheit entspricht, aber mein Wissensdurst ist nicht mehr zu bändigen, weshalb die Dokumente quer über das Bett verstreut sind. Hektisch gehe ich die Mappen durch und tatsächlich werde ich nach der achten Mappe fündig. Neugierig gehe ich die Notizen durch, die von mehreren Entführungen berichten. Ausnahmslos alle Entführungsopfer sind Töchter oder Ehefrauen wichtiger Persönlichkeiten im Shadow-Pack, allerdings liegen die Entführungen schon fast ein Jahrzehnt zurück und sind nicht aufgeklärt worden. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, wollte das sich der Konflikt zwischen den Rudeln verschärft und hatte damit auch Erfolg. Wahrscheinlich ist die Liste der Entführungen auch im Moon-Pack gigantisch, alleine in dieser Mappe lese ich von 15 Entführungen in den letzten zehn Jahren. Angewidert will ich die Mappe beiseite legen, als mir eine Randnotiz auffällt. Es gibt einen Verdächtigen, George Lancester. Mir stockt der Atem und mir wird übel. Mein Großvater ist ein Verdächtiger in Entführungsfällen. Noch Minuten später starre ich die Notiz an und kann meine Augen nicht vom Namen meines Großvaters nehmen. Naserümpfend lege ich die Mappe heftig beiseite. Ich kenne meinen Großvater, er wäre gar nicht zu so etwas fähig, ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang und werde der Notiz keine Beachtung schenken. Die nächste Stunde beschäftige ich mich mit anderen Akten ohne etwas interessantes zu finden, bis mir eine Mappe auffällt. Der Titel lässt mich stocken und mit angehaltenem Atem streiche ich die Buchstaben nach. Yvaine Lancester. Die Antworten liegen in dieser Mappe, alles, was ich jemals wissen wollte. Die Tür wird wortwörtlich aufgetreten und Hauptmann Leroy tritt ein. Ich will die Akten noch verstecken, doch er hat sie schon gesehen. Schnell packe ich die Mappe über meine Mutter. Mit einem grimmigen Lächeln packt er mich am Oberarm und schleift mich durch die Flure, während ich um mich strample und schreie. Wie ein Sack Kartoffeln zieht er mich hinter sich her und ich stoße mir an tausend Ecken den Kopf. Er zerrt mich die breite Marmortreppe herunter und wirft mich dann vor ein paar Füße. Als ich keuchend hochsehe, entdecke ich Derek, der Leroy mit dunklen Augen mustert. ,,Was geht hier vor? Ich hoffe, ihr habt eine gute Erklärung für euer Handeln. Miss Bennet ist mein Gast", knurrt er Leroy an und zieht mich auf die Füße, doch ich traue mich nicht ihn anzusehen. ,,Miss Bennet hatte die vermissten Unterlagen bei sich." Leroys Stimme ist emotionslos und halte durch den Saal. ,,Du hast meine Mutter entführen lassen!", zische ich voller Zorn und er sieht mich überrascht an. ,,Wo ist sie? Was habt ihr elenden Bastarde mit ihr gemacht?!" Ich habe noch nie geflucht oder jemanden beleidigt, aber es fühlt sich gut an, endlich jemandem die Schuld für das Verschwinden meiner Mutter zuweisen zu können. Er tritt einen Schritt zurück, verschränkt dann aber wütend die Arme vor der Brust. ,,Wie kommst du darauf?", verlangt er zu wissen und ich hebe die Mappe hoch. ,,Wage es nicht, es zu leugnen. Diese Mappe lag in deinem Arbeitszimmer und darauf steht ihr Name!" ,,Und wie kommt es, dass du im Besitz dieser Mappe bist?", fragt er mit zusammengezogenen Augenbrauen und entfacht einen neuen Wutanfall. ,,Dein Rudel hat meine Mutter entführt und du fragst, woher ich diese beschissene Mappe habe? Ist das dein Ernst?!", schreie ich ihn an, trete an ihn heran und fange an, auf seine Brust einzuschlagen. Die Wachen wollen näherkommen, doch ich bemerke aus den Augenwinkeln, wie Derek sie zurückzieht. Ich weiß, dass ihm meine Schläge nicht weh tun, noch nicht Mal ansatzweise und das ich für mein Handeln noch bestraft werde, doch ich lasse meine Wut an ihn heraus. Derek zieht mich in seine Arme, aus der ich mich befreien will, doch er drückt mich nur fester an seine Brust. Die Tränen treten in meine Augen und ich weine an seiner Brust, während er mir über den Kopf streicht. Ich weiß nicht, wieso ich seine Berührungen zulasse, aber ich kann einfach nicht glauben, dass alles was ich über ihn zu wissen glaubte, falsch ist. Er hält mich, als würde er mir Sicherheit geben wollen und selbst unter enormen Schmerzen leiden. Nach einer Weile legt er mir seine Hände auf die Wangen und ich sehe zu ihm hoch. Er sieht mir tief in die Augen. ,,Weder mein Vater, noch ich haben einer Entführung zugestimmt. Elaisa, das musst du mir glauben." ,,Aber die Mappe", setze ich an, doch er legt mir einen Finger auf die Lippen und ich verstumme. ,,Dafür gibt es ganz sicher eine logische Erklärung, aber wir haben deine Mutter ganz sicher nicht entführt." Ich glaube ihm. Vielleicht lässt mein Verstand gerade nach, doch ich glaube ihm. ,,Vertraust du mir?", haucht er und ich nicke ohne zu zögern. In dem Moment tritt Eric zu uns und sieht sich die Szene mit gerunzelter Stirn an. ,,Leute, was ist denn los? Mein Onkel und meine Tante müssten jeden Moment-", wird er unterbrochen, denn plötzlich öffnen die Wachen die riesige Eingangstür und jemand tritt ein. Noch immer habe ich das Gesicht an Dereks Brust vergraben, deshalb sehe ich Erics Familie nicht. ,,Hallo Eric, wie geht es dir?", fragt eine männliche Stimme und Eric lacht. ,,Immernoch Single, keine Ahnung, wieso. Tante!", ruft er erfreut aus und im nächsten Moment stehe ich unter Strom, denn ich vernehme eine vertraute weibliche Stimme. ,,Eric! Wie schön dich zu sehen! Wer hat denn die Ehre mit dem Alpha zu kuscheln?", fragt die Stimme belustigt und mit aufgerissenen Augen starre ich Derek an, der mich nur verwirrt ansieht. ,,Was ist denn los, Elaisa?", fragt er besorgt und die Stimme keucht auf. ,,Elaisa?", wispert die Frau und ich drehe mich ganz langsam um, bete zur Mondgöttin, dass mir mein Verstand einen Streich spielt. Doch ich wende mich der Frau zu und sehe vertraut in die großen, grünen Augen, die mich entsetzt anstarren. ,,Elaisa", haucht sie fassungslos. Die langen blonden Haare fallen ihr über die Brust und sie trägt ein rotes Kleid, welches ihre natürlichen roten Lippen zur Geltung bringt, um die ich sie immer beneidet habe. ,,Mama", flüstere ich tränenerstickt und alle keuchen auf. Derek beachtet mich mit erschrocken Blick, doch ich kann nur die Frau anstarren, die vor so langer Zeit für tot erklärt wurde. Ich weiß nicht, ob ich ihr näherkommen oder weglaufen will, weshalb ich wie festgefroren an meiner Stelle bleibe. Eric sieht mich mit offenem Mund an. ,,Das ist deine Mutter?", haucht er es nicht wahr haben wollend. So egoistisch es auch klingt, lieber hätte ich meine Mutter entführt vorgefunden oder tot, als sie hier glücklich und perfekt mit einem anderen Mann zu sehen. Wütend trete ich auf den Mann zu, der die Szene nur mit verschränkten Armen beobachtet. ,,Sie! Sie haben meine Mutter entführt und sie zu eurer Anstandsdame gemacht, nicht wahr?", zische ich und Eric keucht auf . ,,Elaisa!", protestiert er und ich will dem Mann vor Zorn an die Kehle springen, doch meine Mutter tritt zwischen uns. ,,Hale kann gar nichts dafür. Er ist mein...", setzt sie an, doch ich lasse sie nicht aussprechen. ,,Dein Entführer?", hoffe ich beinahe, doch sie schüttelt nervös den Kopf. ,,Er ist mein Mate, Elaisa." Ich starre sie an, diese Fremde, die meine Mutter sein soll. ,,Aber... aber Papa ist", gestikuliere ich stotternd, doch sie schüttelt den Kopf. ,,Nein, dein Vater ist nicht mein Mate", flüstert sie und will mich berühren, doch ich trete weiter zurück mit einem unangenehmen Knoten im Magen. Hektisch schüttle ich den Kopf, bis die Wut über die Verwirrtheit siegt. ,,Du hast meinen Vater, meinen Bruder und mich zurückgelassen! Ich war noch ein Kind verdammt, Landon und ich hätten dich gebraucht!", schreie ich aufgewühlt und sie sieht mich schuldbewusst an. ,,Es war nicht richtig einfach zu verschwinden, dass ist mir durchaus bewusst, aber die Situation der Rudel war damals noch angespannter als jetzt und... Wenn die anderen es gewusst hätten, hätten Mike und ich niemals eine Chance gehabt", flüstert sie betroffen, doch ich lache kalt auf. ,,Wäre auch besser so gewesen", überspiele ich die Situation trocken. Der Mann an ihrer Seite, Mike, tritt vor, nimmt die mittlerweile schluchzende Frau in den Arm und sieht mich tadelnd an, als wäre ich für das Chaos verantwortlich, was mich umso wütender macht. ,,Wagen Sie es ja nicht, mich zu verurteilen. Entweder haben Sie ihr eine Gehirnwäsche verpasst oder sie ist ein billiges Flittchen!" Stille. Keiner sagt etwas dazu. Derek zieht mich langsam zurück, in seine Arme und ich kralle mich hilfesuchend in den Stoff seines Ärmels. Meine Mutter schließt erschöpft die Augen. ,,Elaisa", bittet sie mich mit heiserer Stimme, doch ich denke nicht Mal daran, sie zu bemitleiden. ,,Nimm meinen Namen nicht in deinen Mund! Du hast kein Recht mehr dazu, du hast es verloren, an dem Tag als du uns verlassen hast!" Sie wimmert auf und Mike sieht mich aus dunklen Augen an, aber ich bin noch lange nicht fertig. ,,Papa hat dir vertraut, er hat dich geliebt und du bist einfach abgehauen, um mit dem da durchzubrennen! All die Jahre hatte ich keine Gewissheit, dufte wegen der Paranoidität meines Vaters das Anwesen nicht verlassen. Wir haben alle wegen dir getrauert und du machst dir ein schönes Leben mit deinem Liebhaber!", schleudere ich ihr entgegen, blind vor Wut ignoriere ich meine Außenwelt, jetzt sind es nur meine hinterhältige Mutter und ich. ,,Du bist nicht mehr meine Mutter und ich werde nie wieder mit dir reden! Wenn ich wieder Zuhasue bin, werde ich vergessen, dass du jemals existiert hast!", fauche ich verächtlich und sie sieht mich verletzt an, was ich jedoch ausblende. Ich konzentriere mich auf meine Wut. ,,Aber das wolltest du ja sowieso. Werde glücklich mit Mike und deinem perfekten Leben", flüstere ich noch, reiße mich von Derek los und renne mit zusammengeballten Fäusten den Flur hinunter. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie meine Mutter auf den Boden sinkt und herzergreifend schluchzt. ,,Sie hasst mich", weint sie in den Armen ihres Mates. Wenn ich das doch nur könnte. Denn wenn ich ehrlich bin, kann ich sie gar nicht hassen. Sie ist meine Mutter, war für eine lange Zeit Teil meines Lebens und hat größtenteils dazu beigetragen ,wer ich heute bin. Ich renne auf die Tür zur Bibliothek zu, versuche der Verräterin zu entkommen. Die Wachen sehen sich verdutzt an, öffnen dann aber die Tür. Kaum bin ich im Saal, schlägt die Tür hinter mir zu. Erschöpft wanke ich zu einer dunklen Ecke und werfe mich in die großen Kissen. Dort lasse ich alles raus. Die Tränen fließen in Strömen und ich kann mich auch Stunden später nicht beruhigen. Meine Mutter soll die Mate eines Mitglied des Shadow-Packs sein, nicht meines Vaters. Das wird er nicht verkraften. Wie soll ich ihm das begreiflich machen? Ihm und Landon? Trotz meines Schluchzen höre ich wie sich die Tür öffnet und jemand eintritt. Zuerst denke ich, dass es meine Mutter, Eric oder Derek ist, doch dann tritt die Person neben mich und schaltet das kleine Licht ein, das somit die einzige Lichtquelle in der ansonsten stockdunklen Bibliothek darstellt. Ich erkenne Xavier, der mit mitfühlender Miene zu mir runtersieht und sich dann neben mir auf die Kissen setzt. Mit traurigen Augen sehe ich zu ihm rauf, doch er starrt nur auf die gegenüberliegende Wand. ,,War es so schlimm?", vernehme ich seine emotionsvolle Stimme, doch ich kann mir nicht erklären, wieso er so aufgebracht ist. ,,Haben Sie es mitbekommen?", frage ich erschöpft und drehe mich auf den Rücken. Xavier lächelt, ein trauriges Lächeln, wie ich finde. ,,Man konnte es im ganzen Schloss hören, es gab keine Möglichkeit, es nicht zu hören." Nickend schließe ich die Augen und seufze dann. ,,Ja, es war schlimm. Meine Mutter. Ich kann es immer noch nicht fassen", flüstere ich in die Stille hinein und diesmal ist Xavier derjenige, der seufzt. ,,Aber sie ist doch eure Mutter, habt ihr euch denn kein bisschen gefreut?" Darüber muss ich nachdenken. ,,Im ersten Augenblick schon, aber dann habe ich sie in dem schönen Kleid gesehen und sie sah genauso perfekt aus, wie ich sie in Erinnerung hatte", flüstere ich heiser und verzweifelt. ,,Ich bin die Möglichkeiten durchgegangen, warum sie verschwunden ist, da sie ja augenscheinlich nicht entführt wurde." Xavier hört mir zu und sieht auf seine Hände. Es tut gut, mit jemanden darüber sprechen zu können. ,,Als sie gesagt hat, dass dieser Mike ihr Mate ist... Ich bin durchgedreht, anstelle meines Vaters. Wenn er das wüsste... Es würde ihm das Herz brechen." Wieder tritt Stille ein. ,,Für sie ist das bestimmt auch nicht so einfach. Vielleicht könntet ihr euch aussprechen", murmelt er, doch ich gebe ein klägliches Lachen von mir. ,,Das glaube ich kaum. Ich denke nicht, dass ihr das verzeihen kann." Plötzlich setzt sich mein Verstand wieder in Bewegung und ich öffne abrupt die Augen. Xavier sieht zu mir herunter und ich begreife. Schnell setze ich mich auf, rutsche zur Wand und zeige zitternd mit dem Finger auf ihn. ,,Du bist... Du", stottere ich und er seufzt geschlagen. ,,Ich bin der Sohn von Mike", gibt er zu verstehen und ich schlage mir die Hand vor den Mund. Ein paar Sekunden später habe ich meine Gedanken sortiert und nehme die Hand wieder fort. ,,Und meiner Mutter", gebe ich leise von mir und Xavier nickt zögerlich.

You will forever be my alwaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt