19. Kapitel

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Pov. Elaisa

Die Stimmung ist zwar noch immer angespannt, aber alle wirken etwas erleichtert, dass ich zustimme, reinzukommen. Ich bin doch kein Monster. Ich bedenke Derek noch mit einem Blick, der so viel sagt wie ,,Wir beide reden noch" und er schenkt mir nur ein entschuldigendes Lächeln. Bevor ich eintrete, straffe ich noch meine Schultern und schreite in den Raum. Nervös stehe ich auf der Stelle und knete meine Hände. Argwöhnisch beobachte ich meine Halbgeschwister, Xavier, der mir ein aufmunterndes Lächeln schnenkt und Katie, die es sich auf dem Sofa bequem macht und dann neben sich auf die Stelle deutet. Fragend sehe ich sie an, doch sie nickt nur mit einem breiten Lächeln und mit einem zittrigen Ausatmen lasse ich mich neben ihr nieder. Alle beobachten mich genau, selbst Derek, als würde ich jeden Moment explodieren, weshalb ich kurz davor bin, die Augen zu verdrehen. Es ist Xavier, der die unangenehme Stille unterbricht. ,,Wer hat Hunger?", ruft er enthusiastisch und ich nicke lächelnd. Auch die anderen scheinen erleichtert. ,,Ich helfe dir", sagt Mike noch und folgt seinem Sohn in die kleine Küche. Es handelt sich hierbei nur um eine der wenigen Wohnungen, die Gäste besetzen, solange sie sich im Palast aufhalten. ,,Ich wollte schon immer eine Schwester haben", reißt mich Katie aus meinen Gedanken und hüpft auf der Stelle vor sich hin. ,,Xavier kann keine Zöpfe flechten und Mama will das nicht machen." Vorsichtig sehe ich zu meiner Mutter, die nur beschämt das Gesicht abwendet. Bevor sie verschwunden ist, hat sie mir immer Zöpfe geflochten, es war wie ein Ritual für uns. Dabei haben wir gesungen und gelacht. Eine der vielen Dinge, die ich seither vermisst habe. Gespielt lächlend wende ich mich Katie zu. ,,Ich kann auch gut Zöpfe flechten, soll ich es Mal probieren?", frage ich und sie nickt wild. Sie setzt sich mit dem Rücken zu mir und ich greife nach ihren Haaren. Katie hat langes, gesundes und dunkelbraunes Haar. Jetzt wo ich weiß wer sie ist, erkenne ich auch die typischen grünen Augen, die Landon, Katie und ich von unserer Mutter geerbt haben. Sie ist eine kleine Schönheit. Xavier kommt viel mehr nach seinem Vater, braunes Haar und braune Augen. Während ich meiner Schwester die Haare flechte, setzt sich Derek auf den Sessel neben mich. Als ich fertig bin, bilden sich plötzlich kleine Blüten zwischen ihren Haaren, in lilanen Tönen vervollständigen sie die Frisur. Erstaunt sehe ich meine Mutter an, doch die schüttelt lächelnd den Kopf. ,,Ich übe schon seit Jahren, aber die Blumen lassen noch viel zu früh die Köpfe hängen", beschwert sich Katie und ich realisiere, dass Katie die Blumen in ihr Haar gezaubert hat, wozu nur eine Fee imstande ist. ,,Wie lange halten sie bei dir?", fragt mich Katie und ich seufze laut auf. ,,Bedauerlicherweise verfüge ich über solche Fähigkeiten nicht. Ich bin wirklich halb Werwolf und halb Fee, aber zu wenig Werwolf, um mich in einen solchen zu verwandeln und zu wenig Fee, um eins mit der Natur zu sein." Ein ewiges Dilemma. Ich bin bloß ein Mädchen, dass sich gut um Blumen kümmern kann und besser hören und sehen kann, als ein normaler Mensch, am Ende aber mehr Mensch als ein übernatürliches Wesen. Scheinbar haben es meinen Geschwister besser, Landon und Xavier sind mehr Werwolf und Katie mehr Fee. Katie sieht mich bedauernd an. ,,Das tut mir leid", murmelt sie, doch ich kneife ihr bloß in die Wange. ,,Halb so schlimm, es war nie anders, also trauere ich auch nichts hinterher." In diesem Moment kommen Xavier und Mike zu uns, mit vielen Kleinigkeiten. Katie deutet auf Xavier. ,,Xavi kann zwar nicht Zöpfe flechten, aber er ist ein begnadeter Koch", erklärt Katie aufgeregt und Xavier verbeugt sich dramatisch. Ich lache und meine Mutter runzelt die Stirn. ,,Seit wann nennst du deinen Bruder Xavi?", fragt sie Katie und die deutet auf mich. ,,Xavier hat mir erzählt, dass Elaisa ihn so genannt hat. Das wird ein Schwesternding." Ich werde rot und streichle ihr über den Kopf. Ich wünschte wirklich, ich könnte meine Geschwister hassen, damit ich mit dieser Wut nach Hause zurückkehren und nur mit Verachtung und nicht mit Sehnsucht an sie denken würde. Nur stimmt das nicht. Alle setzen sich, essen und erzählen sich Witze. Es erinnert mich an die Zeit, in der meine Mutter noch Zuhause war und mit ihrer Fröhlichkeit das Anwesen zum Leben erweckt hat. Nach einer Weile steht sie auf und verschwindet in einem der Zimmer. Nachdenklich sehe ich ihr nach, entschuldige mich dann bei den anderen und folge ihr. Zaghaft klopfe ich und stocke, als ich ein herzzerreißendes Schluchzen höre. Mein Herz verkrampft sich und mit schlechtem Gewissen öffne ich die Tür und betrete das Zimmer. Es ist ein Schlafzimmer und meine Mutter sitzt auf dem Bett und weint in ein Stück Stoff. Als ich näher herantrete, erkenne ich den Stoff. Es ist ein Kleid, das Kleid, dass Landon und ich ihr zu ihrem neunten Hochzeitstag mit Papa geschenkt haben. Ich hatte es nicht mehr gesehen, hatte aber nicht erwartet, dass sie es mit sich genommen hat. ,,Mama", flüstere ich leise und sie sieht benommen auf, da sie mich nicht bemerkt hat. Schnell streicht sie die Tränen beiseite und lächelt bemüht fröhlich an. ,,Elaisa, hallo." Ich stehe vor ihr, nach all den Jahren und habe so viele Fragen. ,,Setz dich doch", bietet sie mir an und vorsichtig lasse ich mich neben ihr nieder. Ich unfasse das Kleid ebenfalls und sie lächelt traurig. ,,Ich wollte etwas von euch bei mir haben. Als ich über die Grenze gegangen bin, ich weiß nicht, es war, als wärt ihr bei mir. Der Gedanke an euch hat mir jahrelang das Herz zerrissen, aber die Situation der Rudel war noch schlimmer als heute. Ich musste mich entscheiden und ich hoffe, dass du verstehst, dass ich mich für meinen Mate entschieden habe." So hart es auch sein mag, ich verstehe ihre Entscheidung. Ein Mate steht über allem, sogar über der eigenen Familie. Er ist ein Geschenk der Mondgöttin und ein Teil der eigenen Seele. Deshalb nicke ich und seufze. ,,Es ist alles so einsam und trist geworden. Papa hat sich in seine Arbeit gestürzt, Landon wollte erst gar nicht darüber reden und ich, naja, ich konnte mit niemandem über meine Gefühle reden." Ich stocke, denn das ist nur halb richtig. ,,Irgendwann konnte ich mich meiner Zofe anvertrauen. Alle anderen halten dich für tot und versuchen das Thema zu vermeiden, aber ich wollte darüber, über dich sprechen, damit man dich nicht vergisst." Es ist still für eine Weile, bis sie wieder nervös zu mir sieht. ,,Elaisa, es gibt einige Dinge, die ich dir nicht erzählt habe. Dinge, die nur die Mondgöttin, dein Vater, dein Großvater und ich wissen." Verwirrt sehe ich sie an und sie atmet flach aus. ,,Landon, er... Er ist nicht mein Sohn." Wie bitte?! Mit offenem Mund starre ich sie an und sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Landon soll nicht mein Bruder sein? Was redet sie denn da? ,,Wie meinst du das? Natürlich ist Landon mein Bruder, wir haben die gleichen Augen wie du, selbst das Haar ist dasselbe!", protestiere ich energisch, doch meine Mutter seufzt. ,,Ich bin nicht die Mate deines Vaters, ich war zuvor seine... Schwägerin." Ich rappele mich auf und schüttle wild den Kopf. Sie ist verrückt geworden, eindeutig. ,,Du kannst nie seine Schwägerin gewesen sein, das ist unmöglich!" Meine Mutter nimmt meine Hand in ihre und zieht mich wieder neben sich. ,,Elaisa, bitte lasse es mich dir erklären." Mit zusammengepressten Lippen nicke ich. Auf die Erklärung bin ich sehr gespannt. ,,Ich hatte eine Schwester, Jane. Wir haben dich nach ihr benannt, Elaisa Jane Bennet." Mit großen Augen sehe ich sie an. ,,Sie war die Mate deines Vaters und ist ebenso die Mutter von Landon." ,,Wieso sprichst du in der Vergangenheit, was ist mit ihr passiert", frage ich ungeduldig und mit zittriger Stimme. Meine Mutter seufzt schwer. ,,Jane war schon seit ihrer Geburt schwer krank, wir wussten nicht einmal, ob sie das Kindesalter erreicht. Sie traf ihren Mate, Harry, mit sechszehn. Die beiden haben sich sehr geliebt, Elaisa, aber der Tod stand immer hinter ihr, als würde er auf den passenden Moment warten." Sie machte eine Pause und sieht mich dann traurig an. ,,Ich hatte meinen Mate auch getroffen, bin schwanger geworden, bis der Krieg plötzlich ausbrach. Mein Mate war inmitten der Schlacht und ich gebar ohne ihn Xavier. Als Heilerin wollte ich natürlich helfen, habe Xavier bei der Schwester meines Mates gelassen und bin zur Grenze gereist. Mehrmals musste ich mitanhören, wie andere sagten, dass mein Mate tot aufgefunden worden sein und weil ich mich so sehr in meinen Trauer reingesteigert habe, dachte ich tatsächlich, er wäre tot. Dann hat mich auch noch die Nachricht ereilt, dass die Familie des Betas angegriffen worden ist und niemand das Massaker überlebt hat. Xavier war tot, Elaisa. Mein Mate ebenso. Nach Ende des Krieges bin ich zu meiner Schwester und Harry, habe dort Zuflucht gesucht. Sie haben mich aufgenommen und ich habe mich nützlich gemacht. Nach einem Jahr wurde klar, dass Jane schwanger ist. Wir wussten nicht, ob sie die Geburt übersteht und vor allem Harry war ein Nervenbündel. Das Rudel war beinahe völlig zerstört und das Volk hatte besseres zu tun, als auf eine Geburt zu achten. Am Tag der Geburt ging es Jane schlechter als jemals zuvor, doch Landon wurde geboren und gerade als wir dachten, dass alles überstanden sei, hat sich ihr Zustand rapide verschlechtert. In ihren letzten Stunden waren Harry und ich bei ihr, während sie Landon in ihren Armen hielt und seinen Kopf streichelte. Sie hat Tränen in den Augen gehabt, sie aber nicht von seinem kleinen Gesicht abwenden können. Kurz bevor es mit ihr zu Ende ging, hat sie uns das Versprechen abgenommen, zusammen für Landon zu sorgen, Harry und ich. Deshalb stehen auch Harry und ich auf der Geburtsurkunde als Eltern." ,,Ist das der Grund, warum Großvater Landon hasst?", frage ich vorsichtig und meine Mutter nickt seufzend. ,,Für ihn ist Landon kein Teil seiner Familie, da er angeblich für den Tod seiner Tochter verantwortlich ist. Außer George hat auch niemand wirklich mitbekommen, dass Landon eigentlich der Sohn von Jane ist. Nachdem wir ein Jahr zusammen gelebt, uns als Eltern um Landon gekümmert und unsere Mates verloren haben, haben wir versucht uns gegenseitig getröstet und ich weiß nicht, plötzlich war ich schwanger, was natürlich nicht geplant war. Jedenfalls haben wir uns ineinander verliebt und allen eine Lüge vorgespielt. Das Rudel hat unsere Geschichte geglaubt und keine Fragen gestellt, bis irgendwann jeder meine Schwester vergessen hat, bis auf deinen Großvater, Harry und ich." Sprachlos sehe ich sie an und habe das Gefühl, dass mein Kopf beinahe explodiert. Das kann doch nicht wahr sein. Meine Mutter sieht aus dem Fenster und wirkt wie in einer anderen Welt. ,,Alles war wie geplant verlaufen, bis mich jemand aufsuchte, ein junger Mann von der Grenze. Er erzählte mir, dass ein gewisser Xavier nach seiner Mutter suche und das ich seiner Beschreibung entspreche. Selbstvertrauen war ich schockiert und habe es erst nicht wahrhaben wollen, bis ich selber an die Grenze gereist bin. Dort habe ich Xavier getroffen und später auch Mike. Das war ein großer Schock, schließlich hielt ich beide jahrelang für tot." Es entsteht eine kurze Stille, in der jeder von uns seinen Gedanken nachgeht. ,,Das heißt, du hast einfach deine Sachen gepackt und verschwunden? Ohne jemandem Bescheid zu sagen? Papa, zum Beispiel?", bringe ich hervor und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie gebrochen er sein muss, verletzter, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Doch meine Mutter schüttelt den Kopf. ,,Nein, ich habe... mit deinem Vater gesprochen. Er hat gemerkt, dass sich etwas geändert hatte und fragte mich, was passiert ist. Also habe ich ihm erzählt, dass Mike und Xavier am Leben sind und ich sie getroffen habe. Er selbst hat mir gesagt, dass ich gehen soll. Das ich bei meinem Mate und immerhin einer von uns glücklich sein sollte. Er hat mir gesagt, dass er sich um alles kümmern würde und ich soweit weg von der Grenze wie möglich leben sollte. Er hat mich gehen gelassen, ohne zu Zögern. Aber glaube mir, euch zu verlassen war beinahe noch schlimmer als seinen Mate und seinen Sohn zu verlieren", flüstert sie und ich versuche alles zu begreifen. Mein Vater wusste also die ganze Zeit, dass meine Mutter noch am Leben ist. Er hat alles eingefädelt, damit sie bei ihrer Familie sein kann. Dennoch schließe ich erschöpft die Augen. Wie... Wie soll ich das Landon begreiflich machen?", flüstere ich verzweifelt, schließlich hat auch mein Bruder um sie getrauert. Meine Mutter seufzt und wirkt genauso ahnungslos. ,,Ich habe keine Ahnung, ehrlich." Vorsichtig sehe ich sie an und lege ihre Hand in meine. ,,Danke, dass du es mir erzählt hast", flüstere ich aufgewühlt und im nächsten Moment liegen wir und weinend in den Armen.

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