1. Schlummerlied (Getting lost somewhere)

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Seit ich vor ein paar Jahren Bekanntschaft mit Sherlock Holmes gemacht habe, habe ich wohl schon so einiges erlebt. Zahlreiche Fälle haben wir bereits gemeinsam gelöst und mein Freund findet für jedes noch so komplizierte Problem stets eine Lösung. Aber nach einem Fall war uns etwas passiert, was bisher noch nie vorgekommen war:

Wir hatten uns hoffnungslos verlaufen... Normalerweise suchte Holmes' Orientierungssinn nur seinesgleichen... im alkoholisierten Zustand jedoch... Nun, für alles gibt es schließlich ein erstes Mal.

 So kam es, dass wir den Erfolg unseres letzten Falles ein wenig feiern wollten und uns gegen Abend in ein Inn setzten bevor wir nach Hause fuhren. Viel tranken wir nicht; der Alkohol schaffte es dennoch, uns die Sinne zu vernebeln als wir aus der Wirtschaft taumelten...und die Dunkelheit half unserer Orientierung auch nicht wirklich auf die Sprünge. Auf dem Weg zankten wir uns, was unsere Situation nur verschlimmerte, und so fanden wir uns schließlich mitten in der Nacht auf einer kleinen Waldlichtung wieder, schlugen dort ein notdürftiges Lager auf. Zwar war es eine Frühlingsnacht, doch sobald ich mich schlafen legen wollte, wurde es unangenehm frisch. Es war ewig her seitdem ich das letzte Mal unter freiem Himmel geschlafen hatte...und nun merkte ich, dass ich diese Erfahrung nicht wirklich vermisst hatte. Unbequem lag ich im Schutz eines großen Baumes, das einzige Kissen war meine Schiebermütze. Durch meine Zeit in Afghanistan war ich zwar abgehärtet, dennoch wollte ich in dieser Nacht keine Ruhe finden. Dank dem Alkohol drehte sich alles in meinem Kopf...

 Von meinem Platz aus blickte ich rüber zu Holmes. Unter einem Baum, etwas entfernt von mir, saß er gegen den Stamm gelehnt da, die grauen Augen hielten das fahle Mondlicht gefangen. Seitlich aus dem Mund ragte die Pfeife heraus wie ein seltsam geformter Schnabel. In diesem Licht hatte er mehr Ähnlichkeit mit einem etwas abgemagerten Adler als je zuvor. Der Mond gab ihm eine Art Anmut, den die Sonne nicht so recht zu verstehen schien, geschweige denn zum Ausdruck zu bringen wusste. Er saß da, wie so oft in seinem Lehnstuhl in der Bakerstreet ( nur das er nun etwas schwankte) und es kam mir, dass es ihn vermutlich nicht viel kümmerte wo er war wenn er nachdachte. Er bemerkte nicht, wie ich ihn beobachtete, genauso wenig wie er manchmal meine Anwesenheit bemerkte wenn er über einen Fall nachgrübelte. Irgendwann begann er zu summen und dann zu singen. Nicht laut, aber dennoch hörbar. Es war ein angenehmer Gesang, der für meine brennenden Augen und müden Glieder beinahe wie ein wohltuendes Schlummerlied wirkte. Warum er wohl sang? War es der Alkohol? Oder war es weil er seine Geige nicht zur Hand hatte? 

Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, döste ich schließlich ein. Mehrmals während der Nacht hörte ich seine ruhigen, federnden Schritte an mir vorbeiziehen, und es war beinahe wirklich so als wären wir in der Bakerstreet. Einmal spürte ich mitten in der Nacht, wie sich etwas Schweres auf mich legte; einen leichten Druck gegen meine Stirn, die plötzliche Wärme...und wieder war ich weg, und diesmal schlief ich durch bis zum Morgen...

Als ich erwachte, saß Holmes genau wie in der vergangenen Nacht an seinem Platz, als hätte er sich überhaupt nicht bewegt. Nur etwas fehlte in diesem Bild. Sein Mantel... Ich hatte ihn auf dem Schoß... Gähnend setzte ich mich auf und rieb mir die Augen. "Morgen, Holmes!" Stumm nickte er mir zu und paffte eine Rauchwolke in den frischen Morgen. "Gut geschlafen?", fragte er nur nachdem ich ein wenig wacher geworden war. "War schonmal besser, aber hätte schlimmer sein können..." Lächelte er etwa? "Sie haben mir ihren Mantel als Decke gegeben, nicht wahr?" "Unfassbar gut deduziert, Watson." "Warum?" "Is doch offensichtlich. Beim Schlafen kühlt der Körper schneller aus, außerdem haben sie gezittert. Ich dachte, sie bräuchten ihn dringender als ich... Schließlich war ich wach und bin die meiste Zeit rumgelaufen. Sie wissen doch..." Bei den nächsten Worten drehten er sich weg, als wären sie ihm peinlich. "...ohne meinen Boswell wäre ich verloren..." Ich lächelte wegen dieser Worte, die so ungewohnt aus Holmes' Mund waren. Über die weiteren Gedanken die ihn in diesem Moment zu plagen schienen, schwieg er und ich... ich schwieg über die Tatsache, dass ich wusste, dass er mich geküsst hatte nachdem er mich mit seinen Mantel zugedeckt hatte. "Danke dafür...und für mein Schlaflied", flüsterte ich und der Rosaton der sich in Holmes' bleiche Wangen schlich verriet mir, dass er mich gehört hatte...

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