"Weißt du, John..." "Hm?" Ich blickte von meinem Buch auf. Es war schon relativ spät; Sherlock hatte sich eingerollt und bei mir eingekuschelt und genoss nun schon den ganzen Abend Streicheleinheiten wie eine verwöhnte Katze. Jetzt allerdings schien ihm das zu langweilig geworden zu sein... "Wusstest du, dass nicht nur Wunden sondern auch Narben viel Platz zum Deduzieren geben? Nehmen wir diese zum Beispiel..." Ich zuckte zusammen als er nach meiner Hand griff und den Ärmel meines Nachtgewands weiter nach oben schob. Mit einem langen, dünnen Zeigefinger fuhr er über die schmalen, linienförmigen Narben auf meinem Unterarm; erklärte mir, wie wichtig Farbton, Beschaffenheit und andere Dinge für die Bestimmung des Alters und der Art der Narbe war und was sie über einen Menschen aussagen können... "Diese Narben sind schon relativ alt; da sie noch immer vorhanden sind, heißt das, dass sie wohl einmal ziemlich tief waren. Die auffälligste ist ziemlich nah an der Pulsschlagader...und sie ist selbst..." Mitten im Satz hielt er inne und blickte zu mir auf, die Augen vor Schock größer als normal. Noch immer hielt er meine Hand fest und ich spürte den Drang, sie seinem Griff zu entreißen. "John...warum?" Ich wusste was er gelesen hatte. Diese alten Wunden waren einmal selbstverschuldet. Er wusste, dass ich sie mir selbst zugefügt hatte... "Deduzier weiter..." "Die Narbe ist gefährlich nahe an der Pulsschlagader...aber nicht nahe genug um dich töten zu können... Du als Arzt wusstest das...es war nur ein halbherziger Versuch...um..." "...um mir Linderung zu schaffen." Ich setzte mich vollständig auf; blickte ausdruckslos auf die Decke vor mir, während die alten Erinnerungen ebenso wie der alte Schmerz erneut aufflammten; spürte Sherlocks Blick in meinem Rücken. "Damals im Lazarett...zwischen Tod und Leben...und als ich das Messer eines anderen Soldaten sah...da dachte ich mir... Warum sich nicht endlich für eines entscheiden? Es wäre so leicht...aber..." "...du hingst zu sehr an deinen Leben...und tust es auch nach wie vor..." Ein leichtes Nicken meinerseits. "Ich weiß nicht, was damals alles durch meinen Kopf schoss, Sherlock. Ich habe mich selbst für meine Entscheidung verflucht , aber wirklich mit den Gedanken gespielt, mir das Leben zu nehmen, habe ich nie. Das damals, direkt nach meiner Verwundung war eine Kurzschlussreaktion... Ich habe meine Entscheidung bereut der Armee beigetreten zu sein und meine Dummheit als bestraft gesehen. Mit dem Krieg ist das so eine Sache...er verschwindet nie völlig aus dem Leben eines Soldaten, egal wie viel Zeit auch vergehen mag. Durch die Verwundung wusste ich, dass nie wieder etwas so sein wird, wie es einmal war. Du hast Recht mit dem was, du über Narben sagst. Sie geben mehr über einen Mann und seinen Zustand preis als man denken mag. Und wenn sie dich wie in meinem Beispiel nur als Narr brandmarken..." "Du bist kein Narr, John. Mir erzählen diese Narben so viel mehr..." Er nahm meine Hand in seine, küsste sanft meine Fingerspitzen, meinen Handrücken und schließlich die blassen Narben. "Sie erzählen mir die Geschichte eines Mannes, der unfassbar stark ist und nicht so einfach aufgibt. Du machst dich nur selbst zu einem Narr, in Wahrheit erzählen deine Narben aber die Geschichte eines Kämpfers." Seine Hände tasteten sich meinen Arm hoch zu meiner Schulter. Mit einem Ruck hatte er das Nachtgewand an dieser Stelle heruntergerissen. Sherlock hatte damit keine sexuellen Absichten... Neugierige Finger wanderten meinen Rücken entlang, an einer bestimmten Stelle jedoch zögerten sie einen Moment, schwebten über meiner Haut wie die Finger eines Pianisten... Scharf sog ich die Luft ein als ich an der alten Kriegsnarbe nicht seine Finger sondern seine Lippen spürte. Er küsste die sternenförmige Narbe voller Hingabe und Liebe, mit Zärtlichkeit und gleichzeitig seltsamer Bestimmtheit, seine Arme schlangen sich um mich, Hände schoben sich unter die Kleidung und legten sich warm auf meinen Oberkörper. "Ich möchte den Schmerz von dir nehmen, zumindest für eine Weile. Aber nur mit deiner Einverständnis..." Seine Lippen waren an meinem Nacken angekommen. "Ich möchte dir helfen zu heilen. Ich weiß das es ein langer Prozess ist, aber ich werde dabei immer an deiner Seite bleiben. Wenn du mich lässt..."
Weitere Worte wurden nicht benötigt...
Als wir uns in dieser Nacht liebten, schenkte Sherlock meinen Narben besondere Aufmerksamkeit. Immer wieder küsste er sie, streichelte sie...und mir wurde klar, dass er schon seit unserer ersten Begegnung an diesem Heilungsprozess beteiligt war...
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JohnLock OTP challenge
RomanceEin neues Projekt von mir, 30 kleine OneShots für mein OTP. Kein BBC JohnLock, nur husbands im guten alten viktorianischen England... OneShots hängen nicht immer zusammen