- Teil 3

10 1 0
                                    

Es war schon spät am Abend. Das trübe Tischlampenlicht fiel auf das Handydisplay. Daichi saß schon Stunden nachdenklich vor seinem Handy und überlegte, ob er Angie Bescheid geben sollte. Er fühlte sich wie das Stellgleis, das den Zug in die falsche oder richtige Richtung lenkte. Traf er die falsche Entscheidung entschied das über die Entwicklung von Karasuno und vorallem über die Teilnahme an den Nationalen Wettkampf. Da arbeiteten sie gemeinsam hin und es hatte oberste Priorität.
Sollte er es wagen? Er sah auf den Planer in denen er wichtige Dinge einschrieb, um Struktur beizubehalten und seinen Tag gut zu organisieren. Angie hatte ihm ihren Dienstplan gleich zu Anfang ihres Einsatzes gegeben, den er sich sorgfältig eingetragen hat. Für Notfälle oder wichtige Gespräche, wie diesem. Sein Blick wanderte zur Uhr, die über seiner Zimmertür hing. Es war nach 22 Uhr. Laut Dienstplanung hatte sie Spätschicht und müsste bald raus sein. Er überlegte inzwischen wie er ihr das am schonensten beibringen könnte ohne sie großartig in Panik oder in Schuldgefühle zu versetzen. Dass ihr Libero Gefühle für sie empfand, würde er hundertprozentig für sich behalten. Das musste Noya schon selbst schaukeln. In so etwas mischte sich Daichi nicht ein. Nicht, wenn es um tiefgreifende Emotionen und Gedanken ging.
Er griff nach seinem Handy. Die Lampe spendete neben den seichten einfallenden Licht der Straßenlaternen durch sein Fenster als einziges eine gute Sicht. Sein restlicher Körper war in kompletter Dunkelheit gehüllt. Auch er war etwas angespannt ihr von dem Einsatz zu erzählen. Schließlich musste sie schon von der Niedelage erfahren. Da hatte sie per Videocall angerufen und den anderen Mut zugesprochen und dass sie niemals aufgeben sollten. Er lächelte bei dem Gedanken und war etwas glücklich darüber, dass sie ihren Weg in die Karasuno gefunden hatte. Wer weiß, wer ansonsten gekommen wäre. Sie passte gruseligerweise wie die Faust auf's Auge in diese Oberschule.
Daichi kratzte sich an seinen Kopf und schaute noch einmal auf die Uhr. Sollte er?
Der Bildschirm leuchtete hell auf. Er ging in seiner Kontaktliste auf ihren Namen und zögerte einen Moment bevor er sie anrief. Es klingelte ein paar Mal. Dann hob sie endlich ab: „Ja? Daichi?" - „Ja, hi. Bist du schon raus?", fragte er und klang nervöser als sonst.
„Gerade eben. Bin jetzt auf'n Weg in die Unterkunft. Was ist denn?", entgegnete sie. Daichi suchte die passenden Worte in seinem Kopf zusammen.
„Ich muss dir etwas erzählen. Versprichst du mir nicht sauer oder sowas zu sein?"
„Ähm, wieso sollte ich denn sauer sein?"
„Versprochen?", fragte er mit Nachdruck.
„Ja, versprochen. Und jetzt sag, los." Sie forderte sich gern einige Dinge ein. Besonders wenn man sie so auf die Folter spannte.
„Es geht um Noya.", fing er an und wurde gleich von ihr unterbrochen.
„Und? Ist etwas passiert?"
„Ja, er liegt im Krankenhaus."
„Was?!" Sie wurde am Handy lauter und schnaufte einmal tief. Er hatte mit dieser Reaktion gerechnet, aber wusste nicht wie er antworten sollte. Nachdem Noya ihr damals geschrieben hatte, erzählte er ihm regelmäßig, dass sie ab und zu schrieben, aber er nicht wusste wie er eine Konversation aufrecht halten sollte. Ihm fehlte die Erfahrung. Daichi konnte es ihm schlecht beibringen, denn er dachte schon erwachsener und reifer und ließ nichts über ein Mädchen kommen, die er mochte. Da würde Noya nur überfordert sein und sich lächerlich machen. Aber vielleicht sollten sie genau deswegen öfters etwas miteinander machen. Nicht nur die zwei sondern als Team. Das feierliche Essen bei Coach Ukai fand ein reges Ende. Daichi war wie Sugawara ziemlich angeschwipst gewesen. Aus irgendeinem Grund konnte Kageyama nicht mehr gerade aus laufen, weshalb Hinata seine Eltern anrufen musste und er die Nacht bei ihm verbrachte. Die reizvolle Pose, die Sugawara gewollt hatte, war Daichi ebenso wenig entgangen wie dem kleinen Libero. Nur ließ sich Daichi durch den Anblick nichts anmerken. Er wusste, wie Frauen von hinten aussahen. Nishinoya nicht und Sugawara tat immer so als wüsste er wie sie zu handeln waren. Beide keine weitgreifenden Erfahrungen außer Suga, der versehentlich von einem Mädchen geküsst worden war. Den anderen war es relativ egal. Sie wollten nur gute Noten und Volleyball spielen. Er und Suga wollten mehr. Azumane nur, wenn er die Richtige traf und da war er wählerisch.
„Es ist nichts schlimmes. Er hatte wohl einen Schwächeanfall. Daraufhin haben wir ihn ins Krankenhaus fahren lassen. Ich war noch bis vor kurzen da. Er muss über Nacht zur Überwachung bleiben.", erklärte er ruhig und wartete geduldig auf eine Antwort.
„Okay, dann ist gut.", sagte sie und klang beruhigter. „Da ist man einmal weg und dann kommt sowas."
Sie lachten gleichzeitig.
„Danke, dass du mir das erzählst."
„Kein Problem. Wir sind doch ein Team.", sagte Daichi.
„Stimmt." Am anderen Ende wurde es kurz still.
„Daichi?"
„Ja?"
„Ich muss dir mal sagen, dass du echt ein cooler Typ bist und finde es wirklich sehr sehr nett von dir, dass du mich so in die Gruppe mit einbeziehst. Klar, Coach Ukai macht das auch. Aber der ist alt.", lachte Angie. „Und der will sich das Gejammer einer Jungen doch wirklich nicht mehr anhören. Außer sie jammert an dem richtigen Ort... wenn du verstehst, was ich meine."
Daichi musste verlegen lachen und fasste sich an den Hals. Es fühlte sich wie ein Kloß an, der im Rachen steckte, weil sie so direkt mit ihm sprach.
„Ja, ich verstehe schon, was du sagen willst. Ich glaube, weitere Details müssen nicht besprochen werden.", sagte er.
„Nein nein, das war auch nur ein Spaß.", entgegnete sie und musste dabei an Noya denken. Sie fragte sich ernsthaft, ob sie es sich mit ihm vorstellen könnte. Mit einem Libero, der wie ein Wirbelwind durch die Gegend fegte und total unromantisch und unerfahren schien.
„Das ist okay. Ich mag das, wenn Mädchen so locker sind wie du. Und du bist schon älter als die anderen.", sagte er und starrte vor sich auf den Tisch. Solche intimen Gespräche warfen ihn zurück in die Vergangenheit als er über solche Dinge mit seiner Freundin sprach, die dann immer auf das eine hinaus liefen.
„Na gut. Ich bin jetzt am Wohnheim angekommen. Ich werde mal schauen, ob ich Noya noch eine Nachricht schreibe."
„Ja, klar mach das."
„Wenn es weiter nichts gibt.", fing sie an.
„N-Nein, denke nicht.", stammelte Daichi und wurde nervös. Wieso eigentlich? Er hatte verlernt zu flirten.
„Okay. Dann-...", sie wurde von ihm unterbrochen.
„Ich wollte noch danke für deine netten Worte sagen und...", murmelte er und hielt einen Moment inne, „du kannst zu mir kommen, wenn dich etwas bedrückt. Und du bist auch toll." Er schluckte schwer. Was machte er da gerade?
„Okay. Gute Nacht." Keine Sekunde später hatte sie aufgelegt und ließ Daichi mit seinen wirrenden Gedanken im Regen stehen. Sein Kopf knallte auf die Tischplatte. Er brummte kurz. Okay, gute Nacht. Wow, hast du toll gemacht, du Idiot!, mahnte er sich selbst und knipste das Licht an seinem Schreibtisch aus. Er stand auf und stellte sich an sein Bettende, wo er sich sein T-Shirt über den Kopf zog. Sein Körper spiegelte sich in den dunklen Fenstern des Zimmers. Er hielt an sich fest und betrachtete eine Weile seinen muskulösen Körper für den er hart trainierte. Eigentlich war ihm das Äußere semiwichtig. Viel mehr zählte der Charakter. Denn er brauchte eine Frau, die ihn in seiner Leidenschaft zum Volleyball unterstützte und ihn die nötige Kraft schenkte. Genauso wollte er auf die Bedürfnisse seiner Freundin eingehen, die er in seiner alten Beziehung vernachlässigt hatte. Wütend über seine begangene Dummheit ließ er sich wie ein nasser Sack ins Bett fallen. Er legte sich auf seinen Rücken und starrte die dunkel Decke an.
Seit langen hatte er nicht mehr so intensiv über Mädchen nachgedacht, dass er gar nicht mehr wusste wie es sich anfühlte. Wie sich Liebe, Vertrauen und Geborgenheit anfühlten. Wie sich heiße Küsse auf der von purer Leidenschaft verschwitzten Haut anfühlten, der Austausch zärtlicher Berührungen an allen körperlich erogenen Zonen und die ins Ohr in warmen Atem gehüllt hauchten Worte. Spüren wie der eigene Körper bei dem Anblick des anderen bebte, wie die Lust aufflammte und einem nichts mehr hielt, wenn sich die glühenden Körper berührten. Außer sie jammern an einem anderen Ort, dachte er und erinnerte sich an das Gespräch von eben. Vor Scham verdeckte er sein Gesicht. Sie meinte genau das, was wie Musik in seinen Ohren klang. Nicht nur das wünschte er sich in jene Nacht zurück. Er fand es äußerst reizend, wie sie ihre Anspielungen umschrieb und hätte alles auf eine Karte gesetzt, wenn sie nicht Sie wäre, sondern ein NoNameGirl, das er nie wieder sehen wird. Einfach nur etwas Spaß haben. Er erinnerte sich daran wie gern er es hatte seine Freundin zu schmecken und ihr alles zu geben, was er nur konnte. Egal an welchen Ort, egal zu welcher Uhrzeit. Das turnte ihn an und das war es auch, was er vermisste.
Jetzt sollte jemand Noya diese Gefühle erklären. Es war unmöglich. Man musste es hautnah miterleben... im wahrsten Sinne.

RED EYES - HQ!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt