- Teil 2

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Ich kniete nieder und presste meine Hände an mein Gesicht, das ganz nass geweint war. Wie konnte ich mich nur so sehr verlieren? War ich wirklich Herr meiner Sinne gewesen? Mir ging Daichi's verzweifelter Blick nicht mehr aus dem Kopf, das vergleichbar mit Oikawa's damaliger Situation gewesen ist, der glücklicherweise durch Silver gerettet wurde. In dieser misslichen Situation konnte ich ihn nicht retten und auch hier hatte ich keine Chance gehabt. War ich die Richtige für diese große und aussichtslose Aufgabe mich Ushijima und den anderen zu stellen? Ich fragte mich, wieso alle Kapitäne, die ich bisher traf, über mächtige Fähigkeiten verfügten außer Daichi nicht. Und fast hätte ich ihn umgebracht.
„Was ist nur in dir gefahren?!", schimpfte Ukai, der mit maßenden Zeigefinger über die Türschwelle trat und sich vor mich stellte. Ich traute mich nicht zu ihm hinauf zu blicken, da ich mich für mein Verhalten zu tiefst schämte. Es war mir unangenehm, dass die ganze Schule zugesehen hatte und ich sicherlich mit strengen Konsequenzen rechnen musste.
„Angie, ich habe dir eine Frage gestellt.", sagte er laut und wartete auf meine Reaktion, die sehr schmächtig ausfiel.
„Ich will nicht.", der Kloß in meinem Hals und die endlosen Tränen schnürten mir die Kehle zu.
„Was willst du nicht?"
Ich schluchzte und legte meine feuchten Hände auf meine Oberschenkel in denen ich meine Fingerspitzen drückte. Wie konnte ich es nur am Besten ausdrucken ohne es als Vorwurf klingen zu lassen.
„Das alles! Ich kann nicht mehr.", brachte ich durch zusammen gebissenden Zähnen hervor und zog meine Nase hoch. Jeden Abend, wenn ich allein im dunklen in meinem Apartment lag und genug Zeit hatte über die Situationen nachzudenken, fragte ich mich wieso es mich getroffen hatte. Anfangs war das nur eine dümmliche Spielerei, die Sarah und ich gar nicht ernst genommen hatten und nun saß ich weinend auf den glänzenden Hallenboden der Karasuno-Oberschule und musste zu sehen, dass ich heil nach Hause kam. Nein, ich wollte jetzt schon nach Hause fliegen. Jetzt, sofort!
Der Coach ging in die Hocke und musterte mein in Tränen getränktes Gesicht.
„Willst du das Jahr abbrechen?", fragte er ruhig und schien Mitleid mit mir zu haben. Ich wagte einen kurzen Blick in seine Augen und zuckte die Schultern.
„Ich will nach Hause.", murmelte ich und heulte wieder los als ich einen Gedanken an meiner Familie verlor mit denen ich kaum Kontakt hatte, da das mit den Zeitzonen so schwierig war.
„Hast du Heimweh?"
„J-Ja.", erwiderte ich leise und spielte nervös mit meinen Fingern. Ich fühlte mich unter Druck gesetzt und als würde eine große Last auf meinen Schultern liegen, die ich um jeden Preis loswerden musste. Auch den Gefühlen musste ich offen entgegen treten, denn ich wusste von Anfang an, dass mich viele Dinge erwarten würden, die in mir ein Chaos auslösen würden. Erst mischte sich Nishinoya ein, dann Daichi und Bokuto. Seit ich Ushijima kennengelernt hatte und mich mit Kuroo auseinandersetzte, wollte ich nicht voreingenommen an die Sache gehen, doch sie bewiesen, dass sie die größten Arschlöcher waren.
„Jeder hat einmal Heimweh, aber deswegen musst du doch nicht das Jahr abbrechen, Angie.", erklärte Ukai, der mich am Oberarm packte, „Und dass du gerade eine große Hürde meistern musst, kannst du nicht mehr ändern. Da musst du dich einfach durchbeißen und ganz allein bist du nicht." Er zog mich mit einem Ruck zu sich ran während er sich auf seinen Hintern fallen ließ. Ich dachte einen Moment über seine Worte nach, doch bevor ich etwas erwidern konnte, wollte er mich nicht zu Wort kommen lassen.
„Trotzdem entschuldigt sich die Sache mit Daichi nicht. Was hast du dir nur dabei gedacht, mh?", seine Stimme erhob sich und ich wurde umso fester an seine Brust gedrückt.
„Er hat mich so unglaublich verletzt.", murmelte ich gegen seine dunkle Trainingsjacke und krallte mich fest. Diese Art von Umarmung brauchte ich wie Luft zum Atmen. Sonst nahm mich niemand in den Arm, das bisher nur er und Daichi machten. Ihre Umarmungen waren so barmherzig und echt, dass ich diese Momente in Dauerschleife erleben wollte. Ich fühlte mich in seinen Armen auch nicht falsch. Nein, genau richtig.
Der Coach seufzte: „So sehr, dass du ihn hättest sterben lassen?"
Ich zuckte die Schultern. Die Erinnerungen an den Abend im Wohnheim als ich die beiden erwischt hatte oder die Sache im Bus als es zum Strand ging. Am Schlimmsten war seine so echt wirkende unechte Zuneigung.
„Du kennst die Story mit Sophia. Und als er mit mir allein im Zimmer nach dem Strandbesuch war, küsste er mich und gestand mir seine Liebe. Doch er trifft sich mit ihr, das hat mit Bokuto erzählt und von sich aus kommt ebenso wenig.", erklärte ich und löste mich aus seinem Griff, „Das ist im Moment alles zu viel."
„Verstehe.", meinte er und kratzte sich nachdenklich am Kinn.
„Es tut mir auch unfassbar Leid. Ich weiß, dass das total doof von mir war und ich würde ihn nie umbringen wollen. Lieber würde ich sterben.", brachte ich laut hervor und verdeckte wieder meine Augen mit meinen Händen.
„Sag' so etwas nicht, klar? Ich denke, wenn du das Daichi erklärst, versteht er es. Ihr solltet euch aussprechen.", sagte Ukai und lächelte mir aufmunternd zu. Er nahm meine Hände weg damit ich sein Lächeln erwidern konnte, was mir ziemlich schwer fiel.
„Stimmt. Dann haben wir Gewissheit.", bestätigte ich zuversichtlich und schniefte ein letztes Mal, „Danke, dass du so ein offenes Ohr hast und dir das Gejammer anhörst."
Der Coach lachte herzhaft und wischte meine feuchten Wangen trocken. Ich genoss seine Zuneigung.
„Und jetzt hör' auf zu heulen. Deine Augen sind schon ganz rot und seine Haare haben auch was abgekriegt.", sagte er und schaute mir noch lang in die Augen, was mich etwas einschüchterte.
„Ich frage mich wieso du noch keine Freundin hast. Du bist so lieb und zuvorkommend. Außerdem kannst du richtig gut kochen." Ich musste breit grinsen als ich merkte, dass sich seine Wangen leicht rot färbten. Jetzt hatte ich ihn in Verlegenheit gebracht.
Er sah weg: „Ich habe noch nicht die Richtige getroffen. Aber das wird schon. Ich mache mir da nicht so einen Stress."
„Ja, es kommt, wenn die Zeit reif dafür ist.", meinte ich lieb und stand vom Hallenboden auf.
„Du hast auch noch niemanden getroffen, der dein Herz gewonnen hat, stimmt's?", fragte er neckisch.
„Nö. Also, bis auf Daichi, aber der steht auf Sophia. Kann ich auch verstehen."
Plötzlich legte er seinen Arm um meine Schulter und meinte ernst: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn du dich selbst bemitleidest. Das steht dir nicht. Also lass' das mal sein." Ich war etwas erschrocken und blickte zu ihm rauf, der mich nur schief angrinste.
„Aber das stimmt doch. Weißt du wie fies Oikawa und Kuroo zu mir sind? Das ist nicht fair."
„Nein, fair ist es nicht. Du musst da drüber stehen, Angie.", sagte er und gab mir einen kleinen Klaps auf meinem Hinterkopf. Ich zuckte unwillig zusammen. Wofür war das jetzt?
„Sagt sich so leicht.", gab ich traurig zurück und schaute bedrückt zu Boden. Das war ein unangenehmes Thema, das ich nicht so offen ansprach, weil mich niemand verstand. Aber mit ihm konnte ich über alles reden.
„Das sind Jungs.", er zwinkerte mich vielsagend an.

RED EYES - HQ!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt