- Teil 5

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Ich schlug benommen die Augen auf und blickte die weiße Decke über mich an. Die Bettdecke war mir bis zum Kinn gezogen und die kleine Nachttischlampe an dem Bett war an, sodass ich meinen Blick durch's Zimmer schweifen lassen konnte. Ich bemerkte sofort, dass es nicht meines war, das ich mit Kiyoko teilte, sondern das des Trainers.
„Mist.", murmelte ich und richtete mich ein Stück auf. Etwas war nicht so wie immer, etwas fehlte. Mich verwirrte der direkte Hautkontakt mit der dünnen weichen Decke, weshalb ich noch etwas verwirrt über die Situation meinen Körper abtastete und mich auf meinen Rücken zurück fallen ließ, als ich spürte, dass ich nichts an meinem Körper trug. Mir fehlte der Pyjama, den ich doch noch angehabt hatte. Was zur Hölle war passiert?!
„Scheiße.", fluchte ich und dachte angestrengt über alles nach, doch mehr als nur Kopfschmerzen bekam ich nicht rein. Wie spät war es eigentlich? Wie lang habe ich geschlafen?
Ich sah neben das Bett, wo auf einem Stuhl, der in meine Richtung gedreht war, zusammen gelegte Klamotten lagen. Anscheinend ein schwarzer Trainingsanzug und noch vieles mehr, das mich auf die Beine zwung. Ich hielt die Decke vor meinem
Körper und watschelte zum Stuhl. Es war mein Trainingsanzug mit Unterwäsche. Wie peinlich war das denn?! Ohne groß zu zögern schlüpfte ich in meine Sachen und zog den Reißverschluss der Jacke hoch als mein Blick auf die Uhr über der Zimmertür fiel. Es war kurz vor 7, in der Früh. Vielleicht hatte ich nicht lang geschlafen? Vielleicht schaffte ich es noch zum Frühstück? Ich schlürfte zu meinem Zimmer, in dem ich meinen Kamm aus der Tasche holte und mich durch meine verzausten Haare kämpfte.
„Ich glaube, die anderen merken etwas.", flüsterte Suga am Tisch und setzte seinen Scanner-Blick auf, der jeden in diesem Raum abcheckte während er sein Frühstück vorbereitete. Heute war der vorletzte Tag des Camps und bei dem schönen sonnigen Wetter hatten man für die Teams einen tollen Nachmittag geplant.
„Meinste?", fragte Daichi und folgte Suga's Blicken. Ihm sahen einige entgegen, die dann tuschelten oder vor Schreck schnell wegsahen.
„Wir müssen positiv denken.", mischte sich Noya ein, der mit dem Rücken zu den anderen Jungs saß und vom Starren nichts bemerkte.
„Noya hat Recht.", sagte Hinata, der die Kekse schleckerte, die er von Angie das erste Mal probiert hatte. Sie hatten es ihm richtig angetan.
Ich zog mir nochmal meine Trainingshose hoch und schnürrte das Band im Bund fester. Die Tür zum Esssaal war geschlossen, doch Eintreten konnte man bis spätestens um 9 Uhr, aber hier waren etliche frühe (dumme) Vögel, die ihren Wurm höchstpersönlich fangen wollten. Ich gähnte einmal und hatte nicht einmal Zähne geputzt oder mich im Spiegel angesehen. Abgesehen vom Zähneputzen, das ich definitiv nachholen würde, war mir nicht bewusst, wie ich aussah, da ich mich an nichts mehr erinnern konnte. Hallo, Filmriss.
Ich stieß die große schwere Holztür auf und betrat den Saal. Bisher hatte mich noch keiner bemerkt, bis ich mir ein Tablett nahm und mir wieder das Übliche an Essen nahm, was ich sonst auch aß. Die Tischreihen am Büfett musterten mich und blickten sofort weg als ich in ihre Augen sah.
„Wie die aussieht.", flüsterte einer aus dem Team
der Shiratorizawa. Doch von Ushikovski fehlte weit und breit jede Spur. Ich sah doch in Ordnung aus, oder? Mit meinem vollgestellten Tablett und müden Augen schlängelte ich mich in die hinterste Ecke zur Karasuno an all den anderen Teams vorbei. Sobald ich vorbei lief, hörten sie auf zu essen und flüsterten merkwürdige Dinge wie blaue Flecken oder blutige Lippen. Ich wusste nichts damit anzufangen, weil ich mich gut fühlte. Auch wenn ich hundemüde war. Kaum ein Team war vollständig. Meine Sarah war nicht mit ihrem Oikawa am Tisch, auch Bokuto und Kuroo waren nicht aufzufinden. Was war denn heute los?
„Guckt mal, da kommt Angie. Sie sieht ja schrecklich aus.", bemerkte Hinata erstaunt und starrte ihr halb demoliertes Gesicht an. Ich setzte mich gegenüber vom Rotschopf und hatte seinen Satz nicht mitbekommen.
„Morgen.", murmelte ich verschlafen und biss von meinem Keks ab. Die anderen starrten mich stumm
an. „Was ist denn los? Wieso guckt ihr alle so komisch?"
„Ähm.", began Suga, der sich durch sein Haar fuhr. Zu wissen, dass er sie die Nacht noch splitternackt gesehen hatte, machte ihn nervös.
„Du-Du siehst aus als hättest du dich geprügelt.", sagte Daichi und wandte seinen Blick nicht ab. Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen und nahm den Löffel, den ich zum Müsliessen verwenden wollte. Ich blickte mein verzerrtes Spiegelbild an und erkannte komische Farbflecke auf meiner Stirn, unter meinem Auge und am Kinn. Meine Unterlippe war dunkelrot, weshalb ich sie berührte und ein bisschen Blut auf den Fingern vernahm. Anscheinend war der Schorf aufgeplatzt vom
Gähnen.
„Was zur Hölle?", fragte ich mich selbst.
„Du weißt anscheinend gar nichts mehr.", brummte Tsuki wütend. Ich schaute zu ihm.
„Was denn?! Wieso sehe ich so aus? Was ist passiert?", fragte ich außer mich und legte den Löffel wieder hin. Jetzt wusste ich wieso mich alle so komisch ansahen und lästerten.
„Beruhig' dich und esse dein Frühstück. Wir erzählen dir danach alles.", erklärte Daichi und lächelte mir sanft zu. Ich begegnete Hinata's Blick, der sofort wegsah. Konnte man mich also nicht mehr angucken so entstellt war ich?!
Ich ließ den Keks liegen, der etwas blutig von meiner Lippe war und tupfte mit einer Servierte das Blut weg. Sah nicht besonders appetitlich aus, aber ich wusste mir sonst nicht zu helfen. Die anderen schnappten sich ihr Tablett und verließen den Tisch. Sie ließen mich deutlich spüren, dass sie angewidert waren und gingen dann auch aus dem Esssaal. Nur Suga und Daichi hielten die Stellung. Selbst Noya, der immer an meiner Seite blieb, verschwand tonlos. Ich wusste nicht genau, was falsch mit mir war.
„Du kannst ruhig weiter essen.", sagte Suga leise und sah zu mir. Ich nahm den Löffel in die Hand und rührte nur in dem Müsli.
„Sagt mir jetzt, was passiert ist!", knurrte ich wütend und knallte den Löffel auf das Tablett. Ich sah zwischen den beiden hin und her. Sie hatten sich kurz erschrocken und blickten sich an als wüsste keiner so Recht wie er beginnen sollte.
Daichi holte Luft zum Erzählen: „In der Nacht wurden wir aus dem Schlaf gerissen, weil-."
„Weil was?", ich war wütend darüber, dass mich keiner geweckt hatte und mich auf diese Situation vorbereitete. Genauso war ich sauer auf mich, dass ich keinen Blick in den Spiegel geworfen hatte.
„Du bist einfach durch die Luft geflogen. Als wärst du besessen oder sowas.", sagte Suga und stützte seinen Kopf. Plötzlich wurde er total nervös. „Und dadurch hast du dir die Verletzungen im Gesicht zugezogen."
„Du hast komische Geräusche von dir gegeben und hast Tsuki als hässlich beleidigt.", schloss sich Daichi an und sah zu mir. Ich machte große Augen und erinnerte mich an rein gar nichts.
„E-Echt?"
„Ja, und dann bist du bewusstlos geworden.", sagte Suga. Ich schaute nachdenklich weg. Eines wollte ich noch wissen.
„Und wie bin ich in Ukai's Zimmer gekommen... nackt?", fragte ich beschämend nach und merkte, wie sich die Jungs verlegen durch die Haare fuhren.
Daichi räusperte sich ein wenig.
„Wir, also Suga und Noya und ich, sind mit dir in die Mädchendusche und, ähm, haben dich geduscht, weil du nassgeschwitzt und voller Blut warst. So wollten wir dich nicht in das Bett legen.", erklärte unser Kapitän ruhig, weshalb ich auf mein Tablett sah und knallrot anlief. Also hatten mich die drei nackt gesehen ohne dass ich etwas davon wusste.
„Du brauchst dich nicht im Nachhinein schämen. Wir-.", wollte Suga sagen, doch ich erhob mich schweigend vom Stuhl und brachte mein Tablett weg. Mir war die Situation so unangenehm, dass ich dieser so schnell wie möglich entkommen wollte.
„Oh, das ging wohl in die Hose.", bemerkte Daichi traurig.
„Vielleicht hätten wir uns eine andere Story ausdenken sollen. Sie schämt sich jetzt.", sagte Suga und seufzte nachdenklich. Es war neben den schmuddeligen Heftchen als auch die nächtlichen Abendsendungen das erste Mal, dass er ein nacktes Mädchen vor sich zu liegen hatte. So ein erstes Mal hatte er sich anders vorgestellt und nicht kniend auf kalten Fliesen mit den Händen in den Haaren, die er wusch und in ihrem Gesicht, das er vom dunklen Blut befreien musste. Aber auch ihm war die Unvollständigkeit der anderen Schulen aufgefallen, besonders die fehlten, die sowieso einen verruchten Ruf hatten. Ob es etwas mit Angie zu tun hatte? Er blickte ihr nach wie sie mit roten Wangen den Saal durch den winzigen Türspalt verließ.
„Sie wird das verstehen.", murmelte Daichi, der dann auch aufstand. Er und die anderen mussten noch zum Training, bevor am frühen Nachmittag der kleine Ausflug losgehen sollte.
Ich beeilte mich das Zimmer zu erreichen und wurde meine rote Gesichtsfarbe nicht los. Es war so unangenehm zu wissen, dass sie mich wie eine platte Flunder auf den nackten Fliesenboden ungekleidet gesäubert hatten. Ich musste bei dem Gedanken schlucken, wenn ich daran dachte, dass sie mir dahin gefasst hatten, wo sie es nicht sollten. Aber so schätzte ich sie eigentlich nicht ein. Sie waren so unerfahren, außer Daichi. Als ich den Karasunoflur erreichte, kam Kiyoko aus dem Zimmer. Stumm zwang ich mich an ihr vorbei und schloss die Tür laut.
„Oh, Angie, aber...", sagte sie und schob sich die Brille rauf. Ich ignorierte unsere Managerin und fiel über meine Tasche her in der ich einen kleinen Spiegel suchte. Mir standen Tränen in den Augen, weil ich hier einfach so entstellt wurde und noch hässlicher war als vorher. Jetzt war ich das Lästerthema und Sophia konnte wieder über mich lachen. Ich zog den kleinen Kosmetikspiegel aus einem kleinen Beutel und setzte mich auf dem Bett, wo ich mein Spiegelbild lang betrachtete. Mich zierte ein großer blauer Fleck, der über meiner linken Augenbraue bis rauf zu meinem Haaransatz ging. Ein weiterer war am Kinn zu sehen, der glücklicherweise kleiner und schwacher war doch da war noch einer unter meinem rechten Auge, direkt auf meinem Wangenknochen. Ich fuhr vorsichtig mit meinem Finger über diese Stellen. Meine Nase war noch rot und meine Unterlippe, die vorhin noch blutete, zierte ein bisschen Schorf. So scheiße demoliert konnte wirklich nur ich aussehen. Ich brach in Tränen aus und schmiss den doofen Spiegel in die Ecke. Wieso? Wieso ich? Was zur Hölle war nur los mit mir?!

RED EYES - HQ!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt