- Teil 4

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Ich hatte ein altes großes T-Shirt von Ukai an, das er mir geliehen hatte und es extra kaputt geschnitten damit ich hinein passte. Wir standen uns entfernter gegenüber und das dunkle Sternenzelt hatte sich über unseren Köpfen aufgeschlagen. Kalte Winde umspielten unsere Körper auf der freien großen Wiese, die außerhalb der Kleinstadt lag. Hier konnte uns niemand sehen oder hören, wenn wir übten.
„Man, es ist kalt.", jammerte ich und verschränkte meine Arme, weil nach dem sechsten Versuch meine Flügel sich weder ausbreiteten noch mich in die Lüfte trug.
„Hör' auf zu flennen. Konzentriere dich und schaue mir genau zu.", rief er mir zu und schloss die Augen bevor er wie ein mystisches Wesen mit wenigen, aber kräftigen Schlägen in die Höhe stieg. Ich wusste nicht, dass er auch Schwingen besaß, doch seine waren deutlich kleiner, aber dafür schmal und dynamisch sodass er blitzschnelle Wendungen machen konnte. Dafür bräuchte ich ja ewig.
„Jetzt du." Er zeigte auf mich während er einige Meter über den Rasen schwebte. Ich atmete einmal tief durch und schloss die Augen während ich an die unendliche Freiheit dachte, die ich unbedingt wieder erreichen wollte. Ich dachte an den Ausflug, an den Moment unter Wasser als ich einen starken Willen hatte die Oberfläche zu durchbrechen und mir die Freiheit zu greifen.
„Los, streng' dich an!", befahl Ukai als es nach wenigen Minuten nicht klappte. Aber der Gedanke an die Freiheit beflügelte mich nicht bis mir Daichi in den Sinn kam und mich das Gefühl von Liebe und Erfolg im ganzen Körper erfüllte. Plötzlich breiteten sich meine majestätischen pechschwarzen Flügel aus. Ich öffnete grinsend die Augen.
„Und jetzt musst du nur noch fliegen.", meinte er und erwiderte mein Lächeln.
„Also einfach drauf los?", fragte ich nach und war verwundert, dass mich der Wille nach Liebe anstatt nach greifbarer Freiheit die Möglichkeit gab hinauf zu steigen. Stimmt, ich musste vorher etwas haben, womit ich die Freiheit erreichen konnte.
Coach Ukai nickte nur.
Unsicher sah ich zu meinen Schwingen und ging ein bisschen in die Hocke bevor ich mich kräftig vom Boden abstieß mit Armen gen Himmel gerichtet. Für einen Moment dachte ich, ich würde wieder hinunter fallen, doch sie bewegten sich mit kräftigen Schlägen, die mich noch höher als es Ukai war in die Luft trugen. Vor Freude musste ich loslachen und jubelte ein wenig.
„Warte, nicht zu hoch. Ey!", rief er und versucht mir zu folgen doch ich hörte nicht auf ihn und flog immer höher. So fühlte sich also Freiheit an. Ich schaute nur nach oben. Noch ein kleines Stück, nur noch ein bisschen bis ich schwebend in der Luft auf der Position stoppte. Hier wurde es nur noch kälter und zitterte ein wenig, obwohl mein Körper ein Haufen an Adrenalin durch meine Adern schoss. Keine Sekunde später tauchte der Coach neben mir auf und wollte mich vollschnauzen, aber ich schüttelte den Kopf.
„Oke, tut mir Leid, aber siehst du nicht wie schön es hier oben ist?", fragte ich ruhig und blickte auf die in der Ferne liegende Stadt. Er folgte meinem Blick und nickte nur.
„Ja, das stimmt.", flüsterter er. Als ich mich satt gesehen hatte, sah ich nach unten und bekam Schnappatmung, weil der Boden soweit entfernt war.
„Und-Und wie komme ich wieder runter?", fragte ich ängstlich und ärgerte mich, dass ich doch so hoch geflogen bin.
„Sturzflug.", antwortete er und schnappte sich meine Hand. Er hatte wieder dieses doofe Grinsen auf den Lippen und beugte sich nach vorne, dabei zog er mich mit. Wir schwebten kopfüber in der Luft.
„U-Und jetzt?"
„Auf nach uuuuuunten!", rief er und schoss los. Er ließ meine Hand nicht los und brachte mich mit meinen Flügeln, die auf den Landeflug vorbereitet waren wieder nach unten bis er meine Hand wegschüttelte und in der Luft stoppte.
„Du musst jetzt stoppen!"
Ich wusste das gut selbst, doch wusste nicht wie ich das anstellen sollte. Der Boden kam mir immer näher und meine Flügel legten sich enger an meinen Körper. Ich hasste es und bekam es mit der Angst zu tun.
„St-Stopp!", sagte ich.
„STTOOPPP! STOPPP! HALT! Nein, fuck!", fluchte ich voller Angst und wirbelte in der Luft herum. Ich kniff meine Augen zusammen und bereitete mich auf eine sehr unsanfte und sicherlich schmerzhafte Landung vor. Was hatte sich der Trainer nur dabei gedachg mich einfach den Schicksal zu überlassen, aber selbst Schuld war ich auch.
Jetzt sterbe ich., dachte ich als ich nur noch wenige Meter entfernt war und spürte einen heftigen Schlag, der von meinen Flügeln ausging. Sie hielten mich vor einem Zusammenstoß ab und setzten mich sanft auf den grünen Rasen ab. Mit schlotternden Knien fiel ich auf meinen Po und musste das erstmal verdauen.
„Interessant.", sagt Ukai, der neben mir landete, „Sie handeln als hätten sie ihren eigenen Willen."
„Du hast doch' ne Macke, also echt. Ich wäre fast gestorben.", knurrte ich wütend und zeigte ihm den Vogel. Doch er lachte nur amüsiert.
„Nein, das wärst du nicht. Ich bin noch da.", sagte er und sah zu mir runter.
„Können wir morgen bitte weiter machen? Mir ist so kalt und ich bin hundemüde.", gähnte ich und rieb mir die Augen. Die heutige Fahrt nach Hause war anstrengend gewesen und ich hatte die letzten Nächte nicht richtig geschlafen. Der Coach half mir auf die Beine.
„Mh, dann morgen. Sei' pünktlich und verschlafe nicht.", warnte er und schleppte mich zum Auto. Ich war hinten eingestiegen und legte mich quer über den Rücksitz komplett in meinen Flügeln eingewickelt, weil ich sonst nicht hinein passte. Während der Fahrt sah ich in den dunklen Himmel und fühlte mich wie eine zuckersüße fette Frühlingsrolle und so schaute ich sicherlich auch aus. Ich wusste, dass ich besser werden musste und mir keine Fehler erlauben durfte. Das könnte mein Ende sein. Vorallem ein deftiger Schlag ins Gesicht von Ushijima und ich würde leblos nach hinten umkippen und das wollte ich unbedingt vermeiden. Die Fahrt dauerte nicht lang und Ukai versuchte mich dümmlich aus dem engen Auto zu zerren.
„Ich fühle mich wie ein Tampon, der nicht raus will.", sagte ich angestrengt und rutschte hin und her.
„Was?", fragte er geschockt.
„Nichts.", lachte ich amüsiert und landete etwas unsanft auf meinen Po als er mit einem Ruck an meinen Beinen zog.
„Danke.", sagte ich und rieb mir den Arsch. Selbst mit so viel Sitzfleisch war ein freier Fall nicht schmerzfrei. Wir verabschiedeten uns und als er ins Auto stieg, sah er über's Dach zu mir rüber.
„Wenn du das nächste Mal Hilfe brauchst, rufe mich an.", witzelte er und grinste schief, „Schließlich habe ich dich auch aus dem Auto bekommen." Ich schüttelte den Kopf. Sein Humor war manchmal echt grenzwertig.
„Ach, hau' ab.", sagte ich grinsend und winkte ab. Für einen Augenblick sah ich seinem Auto hinterher, dessen roten Rücklichter in der Dunkelheit genauso scheisse hell leuchteten wie meine Augen, wenn ich stinksauer war. Ich huschte schnell in mein Apartment und musste extrem mit meinen Flügeln aufpassen, wo ich hintrat und wohin ich mich drehte. Ich wollte nicht unnötig Krach machen, sodass die Nachbarn etwas mitbekamen. Als ich mich ins Bett fallen ließ und ich meine verdammt gute Schlafposition fand, bimmelte mein Handy, das neben meinem Kopfkissen lag. Genervt schlug ich die Augen auf und laß eine Nachricht von einer mir fremden Nummer.

RED EYES - HQ!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt