- Teil 2

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Es ging einige Minuten so. Ich hatte mitbekommen, dass es Kuroo's Lippen waren, die sich um meinen Mund legten. Ich wollte ihn nicht spüren, nicht ihn. Wieso tat er das überhaupt? Er hatte mich doch die ganze Zeit ignoriert und machte nicht den Anschein als würde es ihm kümmern wie es mir ginge. Die Müdigkeit verflog für einen Moment, bis sie immer stärker wurde. Auch der Schmerz wurde unerträglich, sodass ich diesmal Ukai die Luft sofort entgegen blies und ihm fast auf die Lippe biss, weil ich am ganzen Körper verkrampfte. Für einen Moment glaubte ich, dass mir etwas ungeheuerlich großes aus dem Rücken kroch. Es fühlte sich an als würde man mit einem stumpfen großen Keil zwischen meinen Schulterblättern herum stochern und ihn stecken lassen.
„Was ist?", fragte Kuroo.
„Weiß ich nicht.", sagte der Coach und sah dem Nekoma-Kapitän in die Augen. Er wusste ganz genau, dass er rausgefunden hatte, was Angie war und bald sein wird. Umsonst bot er seine Hilfe natürlich nicht an. Hoffentlich waren das nicht ihre letzten Minuten um sich vollständig zu verwandeln, das eigentlich schon letzte Nacht passieren sollte. Es fehlte wohl etwas wichtiges, aber der Coach wusste nicht, was es sein konnte. Er tastete unbeherzt über ihren Körper entlang ihrer Arme bis zu ihren kleinen Händen. Sie fühlte sich eisigkalt an, obwohl das Meerwasser nicht so frisch an diesem heißen Tag war. Er wühlte sich durch den Sand, den er unwillkürlich aufwirbelte. Es musste etwas geben sie vom Boden lösen zu können. Wie sollte er es seinen Vorgesetzten erklären, wenn sie vor seinen Augen ertrank?
Ich konnte plötzlich meine Arme und Beine wieder bewegen, doch klebte mit den Schultern weiterhin im Sand. Unkontrolliert schlug ich um mich und traf dabei die beiden. Meine Beine schlugen aus dem Wasser. Ukai's Hände verschwanden sofort aus dem Wasser, die mir für einige Sekunden das Gefühl gaben nicht allein zu sein. Ich wusste nicht, dass man so einsam sein konnte, obwohl einer die ganze Zeit über da ist.
„Alle weg!", rief Ukai und schob seine Schützlinge in Strandrichtung. Oikawa schnappte sich Sarah, die er an sich zog. Auch die anderen nahmen Abstand und blickten schweigend ins Wasser, das plötzlich keine Wellen mehr schlug. Es war still, wurde ganz seicht und spiegelte im einen die grellen Sonnenstrahlen wider, weshalb die Sicht auf Angie versperrt wurde. Ich konnte den kurzen Augenblick nicht beschreiben als ich mich vom Boden löste. Ich schwebte zwischen Himmel und Hölle. Unter mir der Sand, der mich nicht mehr hergeben wollte und oben die Luft, die ich zum Überleben brauchte und sich gut von mir trennen konnte. Wofür sollte ich mich entscheiden? Wie konnte ich so etwas nur bestimmen? Warum? Gib' mir doch nur ein Zeichen., dachte ich und wurde mit einem Ruck in das offene Meer gezogen als zöge jemand an einem Band, das fest um mich gewickelt war. Ich musste meine Augen zusammen kneifen und presste die Lippen aufeinander. Es fühlte sich wie Fliegen an. Flog ich? Die Wasseroberfläche schien wie dickes Eis, das ich nicht durchbrechen konnte während der Sand eine Wand war, die ich ebenso wenig durchdringen konnte. War ich nun gefangen? War das mein Weg in den Tod? Es fühlte sich so leicht an. Meine Arme hatte ich dicht an meinen Körper gelegt, meine Beine streckten sich bis in meine Zehenspitzen. Ich wusste nicht wie weit ich mich entfernt hatte, aber nachdem ich ein bisschen meine Augen öffnete, sah ich nichts außer endlose schwarze Tiefsee. Wenige Meter über mir die Oberfläche. Ich stoppte abrupt als stieß ich gegen eine Wand. Wieder schwebte ich schwerelos im Medium, das mich fast ganz verschluckt hatte. Meine Muskeln entspannten sich, ich stand senkrecht unter der Oberfläche und hatte immer noch den Willen nach oben in die Freiheit zu greifen. Ich streckte meinen Arm hinauf und spürte wie dünn doch das Wasser wurde umso näher ich der Luft war, die mir wieder ausging. Hier werde ich nicht unter gehen!, dachte ich entschlossen und setzte meine Beine in strampelnde Bewegungen.
„Nein!", riefen fast alle im Chor als sich mein Körper wegbewegte. Fast zeitgleich versuchten Ukai, Kuroo, Bokuto, Noya und auch Tanaka mir hinterher zu eifern, doch waren viel zu langsam. Der Coach wusste keinen Ausweg mehr als sich in seiner wahren Gestalt zu zeigen und schoss seine rabenschwarzen schmalen Flügel in die Höhe mit denen er durch einen kräftigen Schlag unter Wasser tauchte und mir folgte. Seine Augen glühten rot auf und seine Flügel, die er eng an den Körper angelegt hatte, halfen dabei schnell zu gleiten. Er streckte die Arme nach mir aus als er mir näher kam.
„Alter, habt ihr das grad gesehen?!?", fragte Tanaka aufgeregt.
„Krass, unser Coach ist eine Krähe!", rief Noya und blickte in unsere Richtung.
„Süß, dass ihr das noch nicht wusstet.", bemerkte Kuroo, der sich relaxt treiben ließ. Er musste an die kurzen Küsse denken. Ihre Lippen waren eiskalt, aber immer noch so weich gewesen.
„Hä?" Tanaka sah verwirrt zu ihm.
„Tja, nicht jeder bekommt Flügel.", erwiderte er und ließ vor allen die Bombe platzen. In den Gesichtern der Lehrer als auch Managerinnen standen große Fragezeichen. „Sieh' hin!" In diesem Moment stieß ich mit meinem Kopf voran aus dem Wasser einige Meter in die Luft. Der strahlenden Sonne entgegen, die meine schwarzen, großen und majestätischen Flügel preisgab. Sie erstreckten sich über einige Meter von meinem Körper und hielten mich für wenige Sekunden in der Luft. Der schmerzfreie Übergang in die endlose Freiheit, die ich nun wieder hatte, zauberte mir ein Lächeln auf den Lippen. Noch immer hatte ich nicht bemerkt, dass ich nun zwei große Flügel am Körper trug. Ich genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meinem feuchten Gesicht und atmete tief ein. War es das, wonach ich gesucht hatte? Ich öffnete meine Augen und sah die große glühende Scheibe direkt vor mir, die im schimmernden Blau eingebettet war. Die quälenden Schmerzen waren nun auch verschwunden. Ich fühlte mich gut.
Der Coach konnte seinen Blick nicht trauen als er meine entgültige Verwandlung zu Gesicht bekommen hatte, denn mit so großen Flügeln hätte er niemals gerechnet. Als ich meinen Blick nach unten richtete, sah in große glühendrote Augen, die mich erschrocken ansahen. Er hatte seinen Arm nach mir ausgestreckt und packte mich am Fußknöchel. Bevor ich reagieren konnte, traten wir unseren Rückflug an und spürte wie mich der Coach an sich drückte. Ich vergrub mein Gesicht in seine nackte Schulter und erhaschte einen letzten Blick auf die Wasseroberfläche, die uns verzerrt spiegelte. Was ich sah, trieb mir die Schwärze vor den Augen.
Die anderen standen perplex im und am Wasser. Sie konnten nicht glauben, was sie gerade am Himmel gesehen hatten.
„A-Angie?", fragte Noya, der so fasziniert von ihrem Anblick war, dass er bewegungsunfähig war und sich nicht vom Fleck bewegte. Stattdessen eilten Tanaka und die anderen aus der Karasuno dem Coach zur Hilfe, außer Daichi, der nach ihrer Erscheinung kehrt gemacht hatte.
„Also hat sie es geschafft.", knurrte Kuroo böse, der mit ansah wie der regungslose Körper an Land geschleift wurde. Er musterte ihre großen Flügel, die halb begraben im Sand lagen.
„Verpiss' dich!", fauchte Noya und entflammte seine roten Augen. Er stellte sich ihm in den Weg, damit er kein zweites Mal an sie heran kam. Die Vorstellung, dass sich deren Lippen berührt hatten, jagte ihm einen stechenden Schmerz ins Herz. So gern würde er ihre auch mal spüren wollen.
„Genau, hau' ab!", rief Tanaka, der auf Kuroo zustampfte.
„Schon gut." Er verließ lachend mit Bokuto, der die Zeit über still geblieben war, die Show. Auch der Rest entfernte sich als Ukai sie aufforderte. Bokuto blickte noch einmal in Sorge zurück zu der Kleinen, denn er hatte jetzt die eine Pflicht, die er zu gern aus dem Weg gehen wollen würde. Während der restlichen Tage hatte er sie doch ein wenig in sein Herz geschlossen. Ukai war überrascht, dass niemand in Panik ausgebrochen war. Vielleicht wussten die anderen Schulen von dem Fluch, denn auch sie hatten ihre Spezialitäten, die ebenso viel mit Gerüchten geschmückt waren.
Er ließ seinen Blick über Angie schweben und bewunderte ihre riesigen Flügel, die durch den Sand stark verunreinigt wurden. Ihr Gesicht war entspannt und frei von jeglichen blauen Flecken. Sie waren verschwunden. Ihr Haar war noch ein bisschen heller geworden, aber lag verschmutzt und zerzaust über ihren Schultern. Er konnte seinen Blick einfach nicht abwenden.
„U-Und jetzt?", fragte Noya, der mit Tränen in den Augen neben ihrem Gesicht kniete.
„Wir fahren zurück ins Trainingscamp.", beschloss der Trainer, der selbst nicht wusste, wie er auf diese Situation reagieren sollte.
„Wow, sie sieht aus wie ein gefallender Engel.", bemerkte Hinata, der sanft über einer ihrer Federn strich. Auch er wurde in ihren Bann gezogen.
„Ein gefallender Engel?", fragte Tsuki und betrachtete ebenfalls ihre Flügel.
„Ja, schau' doch mal richtig hin.", wiederholte Hinata und seufzte, „Hättest du aufgepasst wüsstest du, dass ihr richtiger Name sogar Engel bedeutet."
„Dann sollte sie wenigstens weiße bekommen.", erwiderte Tsuki monoton.
„Haltet die Klappe!!", brüllte Nishinoya und wischte sich über die Augen. Er konnte nicht verstehen wie man in so einer Lage über den Namen und das Aussehen diskutieren konnte. „Habt ihr nichts besseres zu sagen?!"
„Noya, es ist in Ordnung. Sie sagen, was sie denken und es ist nichts schlimmes.", meinte Suga einfühlsam und legte seinen Arm um die Schulter des Libero, der immer noch in ihr Gesicht starrte.
„Ja, aber-.", fing er an und brach in Tränen aus. Er ging mit Suga schon zu seinen Sachen und packte diese mühseelig zusammen. Auch an dem grauhaarigen ging das ganze nicht spurlos vorbei, wedhalb er aus den Augenwinkeln die anderen beobachtete.
„Los, die anderen helfen mir.", sagte der Coach und nahm Angie auf seine Arme, die er mühsam über den Strand trug. Die Jungs nahmen ihre Flügel, die nicht gerade leicht waren, über den Strand während sie von den anderen mit großen und neugierigen Augen beobachtet wurden.

RED EYES - HQ!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt