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"Angeline, bitte ruf mich an. Du bist in Gefahr. Ich werde dir alles erklären, ich verspreche es dir, aber dazu musst du mich anrufen, also ruf an." Es war bestimmt schon die zwanzigste Nachricht die Cassian Angeline auf die Mailbox sprach, doch entweder sie hatte bei der überhasteten Flucht ihr Handy vergessen, oder sie ignorierte ihn. Cassian wusste, beides lag im Bereich des Möglichen. Trotzdem gab er nicht auf, und wählte wieder und wieder ihre Nummer. Schließlich war es das Beste was er tun konnte. Die Menschen gingen an ihm vorbei, manche unterhielten sich miteinander, andere eilten schweigend ihres Weges, manch einer war am Telefonieren, doch eines hatten sie alle gemein, keiner von ihnen achtete auf ihn. Für sie war er nichts weiter als einer von ihnen. Sie waren alle so unwissend. Hatten keine Ahnung, was ihnen bevorstand. Sie konnten sich nicht ansatzweise vorstellen welch verheerendes Ausmaß die Unsterblichen anrichten könnten. Kurz stieg Mitleid in ihm auf, Mitleid, für all die Menschen hier, die er zurück lassen würde. Er würde sich abwenden und sie ihrem Schicksal überlassen, wie auch immer es aussehen mag. Doch eines war ihm klar, all seine Brüder vereint unter Dorian in derselben Stadt? Dies konnte nicht gut ausgehen. Es ging noch nie gut aus, wenn sie alle vereint gewesen waren, insbesondere als Dorian das Sagen hatte. So wie damals, wo sie im Namen Gottes, im Auftrag der Kirche, unter Dorians Führung, so viel Unheil und Schrecken verbreitet hatten, im Kampf gegen einen Feind, der gar nicht existierte. Einem Übel, das bloß der Fantasie entsprungen war. Ein Mythos, der von den Menschen zum Leben erweckt wurde, und den damaligen Herrschern als Ausrede diente, jene abschlachten zu lassen, die nicht ihrer Meinung waren. Wenn er sich damals bloß abgewendet hätte, so wie er es jetzt vor hatte, dann wäre er nicht in sein Verderben geritten. Nur wegen Dorians persönlichen Rachefeldzug, gegen die Liebe.

Sie standen vor einer schäbigen, kleinen Hütte. Man hätte meinen können, sie wäre verlassen, wäre da nicht ein kleiner Rauchschwaden, der aus dem Kamin aufstieg und im tiefschwarzen Nachthimmel  verschwand. "Sind wir hier wirklich richtig?", fragte Cassian zweifelnd, und auch die anderen tauschten kritische Blicke aus, doch Dorian hatte bloß Augen für die unscheinbare Hütte vor ihnen. "Endlich habe ich dich gefunden.", flüsterte er zu niemand bestimmten, ehe er  elegant vom Pferd abstieg, die Zügel einfach achtlos fallen ließ und langsam auf die Hütte zuging. Die anderen sahen sich noch für einen Moment zweifelnd an, ehe Cedric den Anfang machte, und ebenfalls abstieg, um ihrem Kommandanten zu folgen. Nach und nach folgten die Anderen seinem Beispiel, bis nur noch Cassian und Jaques auf ihren Pferden saßen. "Irgendwas stimmt hier nicht.", flüsterte Cassian seinem Freund zu, dessen Blick unsicher zwischen ihm und den anderen hin und her glitt. Doch dann schwang auch er sich vom Pferd. "Dorian weiß was er tut. Unsere Brüder brauchen uns. Wir sind das Licht, welches die Dunkelheit besiegt." Mit diesen Worten zog er sein Schwert und folgte seinen Brüdern, die sich allesamt wachsam mit gezogenen Waffen der Hütte näherten. Nur Dorian hatte sein Schwert noch nicht gezogen, sondern ging zügig auf die vergilbte Holztür zu. Cassian seufzte leise ehe er ebenfalls seine Waffe zog, und Jaques folgte. "Wir sind das Licht.", flüsterte er sich selbst zu um sich Mut zu machen. In diesem Moment blieb Dorian knapp vor der Tür stehen. Einen Moment bewegte sich keiner, die Welt schien still zu stehen, als Dorian die Tür bloß anstarrte, schweigend, wie paralysiert. Doch dann erhob er die Stimme. "Adriana!  Komm heraus, ich weiß das du hier bist." Cassian sah im Blick seiner Brüder die selbe Irritation und den Unglauben den auch er verspürte. Doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnten öffnete sich quietschend  die Tür und offenbarte eine wunderschöne, junge Frau. Ihre langen blonden Haare hingen ihr lockig den Rücken herab und ihre blauen Augen musterten kalt die sie umzingelten Ritter. Sie trug ein bodenlanges blaues Seidenkleid, in dem sie eher wie eine Königin als eine Hexe der dunklen Religion wirkte. Ihr Blick blieb an Dorian hängen, der erhobenen Hauptes vor ihr stand, in seinen Augen lag ein tiefsitzender Hass auf diese Frau, doch da war noch etwas anderes. Tief verborgen, hinter der flammenden Wand des Zornes, war ein Funken Sehnsucht zu erkennen. "Ich habe euch schon erwartet.", flüsterte die Hexe ohne ihren Blick von Dorian abzuwenden. Unsicher was sie nun tun sollten, standen die Ritter einfach da, ihre Waffen hatten sie auf die hypnotische Hexe gerichtet, und sie warteten. Warteten auf einen Befehl ihres Kommandanten. Doch dieser hatte bloß Augen für SIE. "Du weißt nicht wie lange ich dich schon suche.", flüsterte er und ihr Blick wurde kalt. "Etwa so lange wie du bereits dabei bist, unschuldige Frauen zu verbrennen, unschuldige Männer abzuschlachten, ja selbst Kinder blieben vor deiner Grausamkeit nicht verschont.", fauchte sie, und nun lag ebenso viel Hass in ihrem Blick wie in Dorians. "Ich tat es im Auftrag Gottes! Die Schergen die du in die Welt gesandt hast, um dein dunkles Werk zu verrichten zu vernichten, war meine Mission, und ich bereue keine meiner Taten.", rief Dorian wütend. "Du einfältiger Narr. All diese Menschen waren unschuldig. Keiner von ihnen hätte sterben müssen. Du wurdest getäuscht, wurdest benutzt, damit Menschen die so tun als wären sie Gott, sich ihrer Feinde entledigen können, ohne sich selber die Hände schmutzig machen zu müssen. Du bist blind, wegen der Wut die du auf mich hast. Doch dein Hass gilt mir, mir alleine." Ihr Blick wanderte zu den Rittern um sie herum welche schweigend ihre Konversation gelauscht hatten. Verwirrung, Furcht und Zweifel vermischten sich mit dem eisernen Willen, ihrem Kommandanten beizustehen, ihre Mission zu beenden, koste es was es wolle. "Schick deine Männer weg, Dorian. Dies ist eine Sache zwischen dir und mir, sie haben nichts damit zu tun.", flüsterte sie leise. Der Hass war aus ihren Augen verschwunden, und in ihrem Blick lag nun eine tiefe Trauer. Cassian sah genau wie die anderen zu Dorian, der immer noch schweigend dastand, ohne eine Miene zu verziehen. Die Hexe trat einen weiteren Schritt an ihn heran, und sofort machten auch seine Brüder einen Schritt auf sie zu, bereit ihm zur Seite zu stehen. "So muss es nicht enden. Lass deinen Zorn auf mich nicht dein Urteilsvermögen trüben. Du weißt wozu ich in der Lage bin." Ihre Stimme klang beinahe flehendlich. Cassian sah in ihren Augen einen einzigen Wunsch. Sie wollte niemanden verletzten. Diese Regung verwirrte ihn, erschütterte seine Sicht auf die Dinge. Diese Frau solle die Quelle alles Übels sein? Da kam plötzlich Bewegung in Dorian und langsam schritt er auf die Frau zu. Er hob eine Hand und unter den überraschten Blicken seiner Brüder, strich er damit zärtlich über die Wange der Frau. "Oh Adriana, du weißt genauso gut wie ich das es so enden muss. Doch es wird bloß dein Ende sein, denn meine Brüder und ich, werden weitermachen, solange, bis jede einzelne deiner Kreaturen, deiner Verbündeten, deiner Gefolgsleute verbrannt ist. Wir werden die Erde reinigen, und niemals damit aufhören. Doch das wirst du nicht mehr erleben." Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, hatte er in einer einzigen fließenden Bewegung sein Schwert aus der Scheide gezogen und trieb es tief in die Brust der Hexe, die ihn überrascht ansah. Langsam sank sie auf die Knie, und während das Leben ihr entglitt, hob sie noch ein letztes Mal den Blick, um Dorian anzusehen, der mit triumphierend funkelnden Augen über ihr stand. "Niemals aufhören? Ja, dass sollt ihr, niemals aufhören. Niemals aufhören auf dieser Erde zu wandeln. Ihr sollt mit dem Wissen weiterleben, dass alles was ihr in Gottes Namen tatet, in Wahrheit das Werk des Teufels war. Ihr sollt niemals Erlösung finden, der Schmerz soll euer ständiger Begleiter sein. Und für dich habe ich noch etwas ganz Besonderes Dorian Grayson, denn so, wie ihr niemals den Tod finden werdet, werdet ihr auch niemals die Liebe finden. Sie soll euer Verderben sein, denn immer wenn die Liebe erblüht, soll sie verschlungen werden vom Hass." Mit diesen Worten brach sie zusammen und blieb reglos am Boden liegen, während ihr Blut  auf den Boden tropfte, und in der Erde einsickerte. Und an jener Stelle, erblühte wie aus dem Nichts eine blaue Rose, von deren Dornen stetig Blutstropfen auf die Erde fielen, wie eine Mahnung, die an den schrecklichen Fluch erinnern soll, der an diesem Ort, zu dieser Zeit, ausgesprochen wurde. Ein Fluch, der alles veränderte.

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