KAPITEL 33 | AUDEN

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»Du ignorierst mich«, ist meine Begrüßung an Maya, die sich schweigend neben mich setzt und nach vorne sieht, obwohl der Schreibkurs noch nicht einmal begonnen hat. Bei meinen Worten zuckt sie nicht zusammen. Eigentlich zeigt sie überhaupt keine Reaktion, sondern sieht stur an die leere Tafel.

Das Einzige, was sie sagt, ist: »Jetzt weißt du wenigstens, wie sich das anfühlt.«

Ich seufze und würde ihr am liebsten an den Kopf werfen, dass ich seit fast einer Woche mit ihr sprechen will, sie mich aber immer abblockt. Wenn ich sie wäre, würde ich auch Wut in mir verspüren, aber ich wünsche mir wirklich, sie würde mit mir reden. Richtig reden. So wie davor, als ich noch nicht alles kaputt gemacht habe.

»Es tut mir leid«, sage ich, obwohl ich mir sicher bin, dass sie das jetzt nicht hören will.

Wie erwartet seufzt sie nur.

»Vertraust du mir?«, fragt sie aus dem Nichts und dreht prüfend den Kopf zu mir.

Ihr rotes, kurzes Haar ist heute leicht gewellt und schmiegt sich wunderschön an ihr rundliches Gesicht. Ihre blauen Augen sprühen Funken und ihre vollen Lippen sind fest aufeinandergepresst. Ich sollte damit aufhören, sie so anzusehen, auch wenn ich sowieso nichts anderes mehr tue. Da ist nur noch Maya für mich und doch behandle ich sie nicht so.

Traurig sieht sie wieder nach vorne, weil ich nichts von mir gebe. Am liebsten hätte ich es ihr gesagt — hätte ihr gesagt, dass sie mit Porter die Einzige ist, der ich am liebsten vertrauen würde, aber es trotzdem einfach nicht kann. Ich habe Angst, dass ich sie mit diesen Worten noch mehr verschrecke, wobei das wahrscheinlich nicht mehr möglich ist.

»Ich will dir ja von allem erzählen«, flüstere ich, als der Schreibkurs längst angefangen und Maya bereits eifrig in ihr Notizbuch schreibt. Jetzt sieht sie auf und hört mir erstaunlicherweise zu. »Ich will dir von meiner Zeit bei Roamer erzählen oder wie ich es bei Alkoholikern Zuhause ausgehalten habe, aber ... es ist nicht so einfach für mich mir Dinge von der Seele zu reden.«

Meine Hände zittern leicht, weshalb der Stift aus meinen Fingern gleitet. Ich habe noch nicht einmal angefangen irgendetwas preiszugeben und trotzdem wird mir schwindelig und schlecht. Maya bemerkt es, zieht die Augenbrauen besorgt zusammen und versteht, dass ich mich nicht gerne so zeige.

Verwundbar.

Schwach.

Und vielleicht auch ein bisschen gebrochen.

Schluckend halte ich mich an der Tischkante fest und sehe sie an. »Es ist sowieso zu viel für dich. Es wäre zu viel für jeden, wenn ich anfangen würde zu erzählen.«

Sie schüttelt bloß stur mit dem Kopf, während ihre Lippen immer noch fest aufeinandergepresst sind. Als ich denke, dass sie etwas sagen wird, entspannt sich ihr Gesicht und hellt sich gleich darauf auf, als hätte sie eine Idee bekommen. Schnell schlägt sie ihr Notizbuch auf, reißt ein Blatt Papier mit ihrem angefangenen Text heraus und fängt noch einmal neu an.

Ich schaue ihr dabei beinahe die ganze restliche Stunde zu, weil mein Kopf so leer ist, dass ich ebenfalls nur Leere auf mein Blockblatt bringen kann. Kurz bevor es klingelt, reißt Maya erneut eine Seite heraus — diesmal ist es ein vollgeschriebenes Papier — und lässt es auf ihrem Tisch liegen.

Verwirrt lege ich die Stirn in Falten.

Ich würde niemals irgendetwas lesen, was anscheinend so persönlich ist, dass sie ihren Arm die ganze Stunde lang damit verdeckt hat. Tief durchatmend falte ich es zusammen und laufe mit den anderen Schülern aus dem Klassenraum. Auf dem Schulkorridor warten Daniel und Kyler, die auf mich zukommen und das Papier in meinen Händen neugierig beäugen.

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