Versagen

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Ich stehe hinter einer Mauer. Schleichend. Mein Puls steigt mir bis zum Hals. Meine Hände sind Schweißnass. Ich habe sie krampfhaft um den Griff meiner Waffe gelegt. Mein Brustpanzer liegt schwer auf meinen Schultern. Ich muss mich ermahnen leise und langsam zu atmen. Tränen steigen in mir auf. Ich schluck sie hinunter. Stattdessen setzte ich mich. Hole kurzerhand mein Handy aus der Hosentasche und hacke die Überwachungskameras in dem Gebäude. Es ist nicht sonderlich groß, hat aber drei Etagen. Ich entdecke ein paar Feinde vier Räume weiter. Schnell stecke ich mein Handy wieder weg. Gleich werden sie kommen. Sie werden kommen und mich holen. Und ich werde sterben. Diese Erkenntnis lässt mich erstarren. Weitere Tränen bahnen sich den Weg nach draußen. Ich ignoriere sie und fasse einen klaren Gedanken. Ich bin allein. Die zu zweit. Ich werde das irgendwie hinbekommen. Also schleiche ich hinter meiner Wand hervor. Meinen Zeigefinger immer am Abzug meines Maschinengewehrs. Ich schaue in eine große Küche. Keiner da. Ich atme einmal tief durch. Verstecke mich hinter dem großen Essenstisch. Langsam setzt meine Paraneuer ein. Ich blicke hinter mich. Keiner da. Ich dreh mich erneut um, mein Blick zum Ziel. Ich finde einen besseren Schutz in einer Ecke. Von da aus kann ich meine Gegner beobachten. 

Noch viel wichtiger. Ich sehe den Grund, weshalb ich überhaupt hier bin. Hilflos sitzt sie auf dem Boden. Ihr Mund ist mit einem Tape zugeklebt. Ihre Hände hinter ihrem Rücken an einen Billiardtisch. Sie wirkt verängstigt, sie hat Todesangst. Ihre Klamotten hängen schlapp an ihrem Körper. Sie wirkt ausgelaugt. Irgendwie muss ich sie so schnell wie möglich hier rausbekommen. 

Ich krame an meiner Weste herum. Irgendwo muss noch eine Rauchgranate sein. Ich kann mich von hinten anschleichen, die Granate hineinschmeißen, sie holen und so schnell es geht wieder abhauen. Das ist ein guter Plan. In dem Moment wo ich nachdenke entdeckt sie mich. Mit ihren glasigen Augen schaut sie mich an. Ein paar Strähnen hängen ihr nass im Gesicht. Ihr Anblick treibt mir schon wieder die Tränen in die Augen. Ich verliere meine Konzentration. Schnell forme ich meine Lippen lautlos zu einem 'Ich hol dich hier raus', in der Hoffnung, dass sie es verstanden hab. Dann schaue ich schnell weg. Atme noch einmal tief durch. Los geht's. 

In dem Moment stellt sich eine große dunkle Gestalt uns in den Weg. Ich wurde entdeckt. Schnell werfe ich die Granate und rolle mich zur Seite. Weg von meinem Versteck. Die Granate explodiert sofort und vernebelt meinem Angreifer die Sicht. Er schießt verrückt in der Gegend herum, in der Hoffnung, dass er mich trifft. Ich leg mich schnell auf den Boden, um dem zu entgehen. Dann gehe ich aus der Küche in den Flur zwischen meinem und dem Billardraum. Ich suche Schutz hinter der Treppe. Der Nebel verzieht sich. Mein Gegner ist nicht mehr da. Ich traue mich aus meinem Versteck. Schaue in die Küche, dann dreh ich mich schnell um. Die Treppe ist auch leer. Also widme ich mich dem Freizeitzimmer. keiner da. Ich renne zu dem Mädchen. 

"Es wird alles gut, ich hol dich hier raus, vertrau mir", flüstere ich ihr zu, während ich sie losbinde. 

Sie nickt nur stumm während sie eine Angstträne wegblinzelt. Ich helfe ihr aufzustehen. Dann begeben wir uns hinter einem zweiten Billardtisch in Sicherheit. Ich stelle mich kurz hin, um zu sehen, ob der Weg von unserem  Zimmer bis zur Haustür frei ist. Ich drehe mich zu dem Mädchen um. 

"Ich werfe eine Rauchgranate in den Flur. Dann rennen wir okay? Du rennst so schnell wie du kannst. Ich bin direkt hinter dir. Ich halte dir den Rücken frei. Und wenn ich weg bin, muss dir das egal sein. Hauptsache du bist in Sicherheit." 

Sie nickt wieder. Ich setzte unseren Plan in die Tat um. Wir rennen in den Rauch. Meine Hände haben meine Waffe fest im Griff. Ich sehe nichts mehr. Nicht mal die Hand vor meinen Augen. Sie habe ich auch verloren. Und dann. Rufe. Ein gequälter Schrei. Scheiße, Sie haben sie. Mein Plan war Müll. Wo ist sie? Was mach ich jetzt? Ich bleibe mitten im Raum stehen und drehe mich im Kreis. Meinen Zeigefinger habe ich wieder am Auslöser meiner Waffe. Der Rauch legt sich. Ich sehe einen großen breit gebauten Mann, der das kleine Mädchen in seinen muskulösen Armen hat und sie an der Kehle fixiert. Sie röchelt und weint. Er wird sie erwürgen. Ich schaue durch mein Visier. Ich zittere stark. Trotzdem schieße ich. Ich treffe sein Bein. Er sackt zu Boden. Hält sie aber immer noch fest. Ich schieße nochmal. Treffe seinen Arm. Er lässt den Griff lockerer. Das Mädchen sackt zu Boden. An ihrem Hals sieht man deutlich die Striemen seiner Armprotektoren. Ich muss zu ihr. Ich muss ihr helfen, sie wiederbeleben. Ich lasse meine Waffe fallen und will gerade losrennen. Plötzlich spüre ich einen festen Griff der mich von hinten packt und meinen rechten Arm nach hinten zieht. So weit, dass er ihn auskugelt. Ich schreie vor Schmerz auf. Aber noch will ich nicht aufgeben. Mit dem linken Fuß hole ich aus und trete mit voller Wucht nach hinten in der Hoffnung meinen Angreifer zu treffen und in die Knie zu zwingen. Allerdings treffe ich nicht. Ich höre nur ein leisen lachen an meinem Ohr. Mit einem mal erstarre ich. Das Lachen kommt mir irgendwie bekannt vor. 

"Süß", flüsterst du selbstsicher in mein Ohr. Dann nimmst du meinen linken Arm und fixierst ihn am Rücken neben meinem rechten. Ich flenne vor Schmerz und Verzweiflung. Dann bemerke ich, wie du mit einer Hand meine Fixierung löst und deinen Gürtel abtastest. Was kommt als nächstes? ich werde sterben. Fuck. Mit einem Mal spüre ich einen Dolch in meinem Rücken. Du lehnst dich zu mir vor. Ich kann deinen Atem an meinen Haaren spüren. 

"Irgendwelche letzten Worte?", fragst du mich mit säuselnder, tiefer Stimme. "Du hast meinen Bruder umgebracht, dafür wirst du büßen." 

Ich kenne diese Stimme. In diesem Moment weiß ich auch wieder woher. Ich erinnere mich. Vor meinem inneren Auge spielt sich meine Erinnerung ab, wie ein Film. 


Ich sitze in der letzten Reihe in einem großen Klassenzimmer. Mit meinem Stift male ich kleine Kreise auf ein leeres Blatt Papier. Ich schaue hoch. Alle schreiben. Die Stimmung ist angespannt. Mein Blick bleibt an dir hängen. Blonde lockige Haare, grüne Augen. Du schaust hoch. legst deinen Stift zur Seite. gehst nach vorne und gibst einen Zettel ab. 

"Samuel, du bist schon fertig. Hast du die Klausur nochmal durchgeschaut?", fragt die Lehrerin. 

"Nein ich bin mir sicher, dass alles richtig ist.", antwortest du mit einem sicheren Lächeln. Dann drehst du dich um und schaust mir direkt in die Augen. Ich bemerke, wie lang ich dich schon anstarre und schaue schnell weg. Du gehst wieder zu deinem Platz. Stille breitet sich im Raum aus. Ich schaue wieder auf mein leeres Blatt Papier. Nur die Aufgabenstellungen sind in schwarzen Buchstaben drauf gedruckt. Nach einigen Minuten meldest du dich. 

"Ich hab noch Olivias TipEx, kann ich ihn den wieder geben?", fragst du. Ich erstarre. 

Ich habe dir nie irgendwas geliehen, danke ich mir. Die Lehrerin nickt. Du gehst auf mich zu und lächelst mich an. Dann gibst du mir einen TipEx. Ich schaue dich fragend an, nehme ihn aber an mich. Dann fange ich an meine gemalten Kreise von dem Blatt zu entfernen. Mit einem Mal fällt mir was auf. Auf der Rückseite des Rollers, hast du einen Zettel befestigt. Dort steht in kleinen Zahlen die Nummern der Aufgabenstellungen und dahinter stichpunktartig die Lösungen. Ich bin geschockt. Das habe ich nicht erwartet. Schaue kurz zu dir rüber. Du drehst dich nur kurz um und zuckst grinsend mit den Schultern.



"Ach du hast keine letzten Worte? Auch gut!", reißt du mich wieder aus meinen Gedanken. 

Dann geht alles schnell. Deine Stiche durchbohren meinen inzwischen zitternden Körper. Ich schreie. Ein starker Schmerz durchdringt meinen Bauch. Meine Tränen laufen über mein ganzes Gesicht. Mit den Händen halte ich mir die brennende Stelle. Allerdings hilft mir das auch nichts mehr. Du lässt mich los. Ich sacke zu Boden. Ich kann mich nicht mal mehr auf meinen Knien halten. Und so liege ich da. Und du stehst über mir. Ich schaue dir direkt in die Augen. Und du mir. Dann kniest du dich zu mir herunter. Langsam verliere ich das Bewusstsein. Trotzdem versuche ich, meine Augen offen zu halten. Ich weiß es ist zu spät.  Ich wusste ich werde scheitern. Ich weiß ich hab versagt. Ich habe versagt. Und jetzt stehst du trotzig über mir und schaust mich wehleidig an. "Es tut mir leid", murmelst du durch deine Sturmhaube hindurch. Dann stichst du ein letztes Mal zu.  Direkt durch mein Herz. Sofort wird mir schwarz vor Augen. Ich höre nur noch ein lautes Rauschen auf den Ohren. Der Schmerz durchströmt meinen ganzen Körper. Dann ist alles vorbei.

long story shortWo Geschichten leben. Entdecke jetzt