Der Kloß in meinem Hals wurde groß und ich traute mich nicht, Gefühle aus einem Gemisch von Trauer, Angst, Verzweiflung und Ungewissheit herunterzuschlucken. Und ich traute mich nicht in Liams Augen zu blicken. Denn ich wollte viel lieber wegrennen, mit der bitteren Realität nicht noch deutlicher und erschreckender konfrontiert werden.
Ich war mir sicher, dass ich den Zustand seiner Seele, der sich ganz sicher in dem flüssigen Schokoladenbraun seiner Augen widerspiegeln würde, nicht verkraften könnte. Nein, ich würde ihn nicht ertragen können.
Denn sie suchten nach Antworten. Lösungen. Vielleicht waren sie gefüllt mit bitterer Hoffnung, die an einem seidenen Faden hing, und den ich mit einem einzigen Blick hätte zerschneiden können. Ich wusste, dass wenn ich ihn nur berührte, er brechen würde wie das Glas Wasser in meiner Hand. Vielleicht sollte ich nicht mehr aus Gläsern trinken, sondern nur noch aus Pappbechern, weil ich mich an ihnen nicht verletzen konnte.
Aber in diesem Moment war ich das Glas, das unsicher am Rande des Tisches stand und nicht mehr viel brauchte, bis es die Tischkante hinabstürzte. Und selbst wenn er es noch rechtzeitig auffangen würde, so hätte er sich schon an den scharfen Einkerbungen geschnitten, die keine Chance mehr auf Heilung vorwiesen.
Dabei hatte der Tag doch so gut angefangen.
»Hey Mom, wir sind heute Abend bei Ellie. Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit die Schule wieder angefangen hat.« Ich band um meinen kleinen roten Rucksack eine hellgraue, dünne Jacke, strich mir, während ich in den Spiegel im Flur sah, eine kurze, dunkelbraune Haarsträhne hinter mein Ohr und spielte mit dem Anhänger meiner goldenen Kette, auf dem das H und das L eingraviert war. Ein Lächeln umspielte meine Lippen.
Und dann dachte ich wieder zurück an den ersten Schultag, als mich Liam nach dem Sportunterricht abholte und wir in seinem schwarzen Auto sofort die Fenster herunterfuhren und die frische Spätsommerbrise sich auf meinem Gesicht verteilte, ich genießerisch seufzte und dabei die Augen schloss. Liam setzte sich seine schicke Sonnenbrille auf, als wir zusammen an dem Feldweg vorbeifuhren. Diesen waren wir vor einer ganzen Weile mit den Fahrrädern entlanggefahren und kletterten schließlich auf das Dach eines alten Fachwerkhauses, während wir dabei zusahen, wie Kalifornien in dem Gold der Sonne troff.
Und ich seine Narbe oberhalb seiner rechten Augenbraue zum ersten Mal sah. Der Tag war unvergesslich, als ich ganz sanft über diese Stelle strich und als wir dann noch diesen Moment mit einem Kuss besiegelten, war es um mich geschehen. Ich fühlte mich wie im Himmel, und war ihm so furchtbar nah, denn seitdem wusste ich, dass sich verlieren gut anfühlte. Obwohl ich es hasste. Mein Herz wusste es schon längst, mein Verstand wollte es nur nicht wahrhaben.
»...das ist dir hoffentlich bewusst, mein Schatz.«
»Was ist mir bewusst?« Ich blinzelte mehrere Male. Wenn ich weiter in meinen Tagträumen versank, dann ertrank ich bald in den ganzen Erinnerungsschnipseln.
»Heute ist Donnerstag, Hailey. Morgen ist wieder Schule, bleib nicht zu lang weg, okay?« Ihre Augen blitzten auf, als sie von dem Auflauf, den sie in der Küche zubereitete, zu mir aufsah.
»Na gut.«
»Ist Liam auch dort?«
»Ja, ist er.« Ich schmunzelte.
»Gut, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen.« Sie hob wissend ihre Augenbrauen und ich kaute verlegen auf meiner Unterlippe herum. Sie spielte mehr als nur offensichtlich auf den Abend des ersten Schultages an, als mein Freund mich eigentlich nur nach Hause bringen wollte. Und nur einen Wimpernschlag später schon in unserer Küche gefangen war, weil Mom ihn unbedingt von ihren Kochkünsten überzeugen wollte. Und das tat sie auch. Haushoch.
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LAST SUMMER
Teen Fiction❝ Es war nicht der letzte Sommer, bevor sich alles änderte - das tat es schon längst. Ich war gefangen in einem Netz aus Gefühlen, das mein Herz kaum ertrug.❞ Die 17-jährige Hailey Brooks bewältigte die alltäglichen Probleme, die einen Teenager im t...