Kapitel 4

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Zuhause angekommen schloss ich die Tür auf und legte den Schlüssel so unvorsichtig auf die Küchentheke ab, dass dieser schließlich herunterfiel und meine Familie ihre Augen auf mich gerichtet hatte. Meine Mom hatte das Geschehen kaum beachtet, mein Dad jedoch legte seinen Kopf schief und hatte einen Gesichtsausdruck aufgelegt, den ich nicht wirklich deuten konnte.

Meine Schwester dagegen lachte nur. »Hailey, wie siehst du denn aus?«
Sie kam auf mich zu und wollte mir die Haare richten, die der Wind ein wenig durcheinandergewirbelt hatte, während ich sie von mir wegschob. »Lasst mich bitte einfach in Ruhe«, gab ich schlecht gelaunt von mir und oh bitte, als wäre es ein Wunder, hatte meine Familie keine Widerworte oder sonstigen Bemerkungen übrig, die mich nur noch mehr zum Kochen gebracht hätten.

Ein paar Minuten später hatte meine Mutter das Mittagessen aufgetischt und wir saßen wenig später gemeinsam am Küchentisch, um den leckeraussehenden Eintopf zu verspeisen. Ich bemerkte erst jetzt, dass ich schon den ganzen Tag Hunger verspürte, Niemandem war so richtig nach sprechen zumute, und ob ich wirklich schuld daran war, sei mal dahingestellt. Na gut, vielleicht lag es tatsächlich zum größten Teil daran, dass ich die gekippte Stimmung wider Willen verursacht hatte.

Als ich meinen Teller und das Besteck in die Spüle stellte, murmelte ich meiner Mom zu, dass ihr Essen wirklich köstlich schmeckte. Ich lobte ihre Gerichte immer in den Himmel, denn obwohl sie so beschäftigt war mit ihrem Job, kochte sie ausgesprochen gut und nahm sich immer extra viel Zeit dafür, dass wir uns nicht unnötig oft mit Fast Food vollstopften. Dafür erhielt ich ein kleines Lächeln von ihr, welches ich nur von der Seite wahrnahm, da sie nicht aufschaute und stillschweigend ein kleines Stück Brot in der Mitte brach, um es meinem Dad zu reichen.

Ich trottete die Treppen unseres Flures hoch, um mein Zimmer zu erreichen. Danach schwang ich mich gekonnt auf mein Bett und lag einfach nur da, während ich meine Zimmerdecke begutachtete. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht wirklich, was gerade mit mir los war und wie die plötzliche schlechte Laune ihren Weg zu mir gefunden hatte und sich festsetzte wie ein Kaugummi, dass man mit viel Mühe immer noch nicht vollständig abgekratzt bekam.

Also beschloss ich den Tag Revue passieren zu lassen und spürte selbst, wie mein Körper leicht zusammenzuckte, als meine Gedanken feine Linien in Formen von Kreisen um den Typen aus dem Abschlussjahr mit den dunklen Augen von heute Morgen zogen, und mein Stift nicht annähernd daran dachte, die Miene wieder abzusetzen.

Dieses freche Grinsen und diese leichte Arroganz in seiner Stimme hatten definitiv tiefe und bröckelige Spuren auf den Wegen in meinem Kopf hinterlassen, die ich selbst mit größter Mühe nicht so schnell wegteeren könnte. Und selbst dann würde man mit Sicherheit bemerken, dass die Wege einmal uneben waren und längst nicht so perfekt, wie sie vielleicht schienen.

Eigentlich hätte ich meinen Freunden schon längst davon berichten müssen – na ja, June zumindest, da ich sie schon etwas länger als Louis kannte und gerade er nicht immer jedes kleinste Detail in meinem Leben wissen musste – vor allem, wenn es um das Thema Jungs ging. Ich versuchte verzweifelt das Gedankenchaos in meinem Kopf zu verbannen, doch Pustekuchen.

Mit Schwung setzte ich mich in einen Schneidersitz und stützte meine Hände auf meinem Kinn ab. Es brachte mir doch überhaupt gar nichts weiter über diesen Jungen nachzudenken. Er kannte mich nicht, ich kannte ihn nicht und er machte sich über unsere Begegnung sicher nicht so viele Gedanken wie ich. Wahrscheinlich hatte er nicht eine weitere Sekunde daran verschwendet. Warum auch?

Liam war sein Name. Das fand ich doch heute Morgen zufällig beim Ordnen der Akten von den Seniors heraus. Ich wusste nicht so wirklich, ob ich es vielleicht nicht doch ein klitzekleines Bisschen bereute, nicht für einen winzigen Moment seine Akte einen kleinen Spalt geöffnet zu haben und mir ein Bild von seiner Person zu machen.

Aber würde es nach diesem Abend noch eine Rolle spielen?

Ich kannte doch die Antwort auf meine Frage.

Durch meine rhetorische Frage an mich selbst, gelang es mir schließlich meine Gedanken zumindest ein wenig stillzulegen und ich entschied mich mehr oder weniger freiwillig dazu, mich eine Runde aufs Ohr zu legen. Bis zur Party waren es schließlich noch einige Stunden.

                           ***

Mein Kopf brummte etwas, ich blinzelte ein paar Mal und drehte mich herüber zu meinem Nachttisch, um nach meinem Handy zu greifen.

Moment. Es war schon zehn nach sechs?! Ich schreckte verzweifelt auf. June und Louis waren sicherlich schon außer sich. Gut, vielleicht auch nur meine beste Freundin. Sie würde mich definitiv umbringen.

Schnell wälzte ich mich aus dem Bett und sprang in der nächsten Sekunde unter die Dusche. Ich shampoonierte mich mit meinem Lieblingsshampoo, dass nach Vanille roch, ein und war in den nächsten sieben Minuten schon fertig. So schnell wie heute war ich glaube ich noch nie und meine Schwester würde es sicher gutheißen, wenn ich jedes Mal so schnell wäre und mich nicht andauernd ihrer Meinung nach zu lang unter die Dusche stellen würde.

Zwischenzeitlich suchte ich das Outfit, was ich mir für diesen Tag bereits gestern herausgelegt hatte. Das war natürlich nicht meine Idee gewesen, aber jetzt bin ich doch ganz froh, mir gezwungenermaßen darüber schon vorher Gedanken gemacht zu haben.

Meine Haare waren schnell fertig geföhnt und geglättet, da sie mir nämlich nur circa bis zum Schlüsselbein reichten. Ich trug ein schwarzes Top, was mit kleinen Pailletten bestückt war und eine graue Jeans, die mir bis zu den Knöcheln reichte. Zudem trug ich meine weißen Sneaker und schminkte mich dezent. Es war immerhin nicht meine Abschlussfeier, von daher war es auch kein allzu besonderer Anlass.

Zum Schluss legte ich mir noch ein filigranes Armband um mein Handgelenk und schnappte mir meine Tasche und mein Handy, was ich mir in die Hosentasche stopfte, während ich hastig die Treppen hinunterstieg.

Dass June wohl noch wütender auf mich sein würde, da ich gleich zum Zweiten Mal heute zu spät war?

Eine gute Frage, auf die ich gerade keine Antwort wusste.

Als ich die Tür hinter mir mit viel Schwung zuzog, nahm ich mir mein Handy noch mal zur Hand und sah erst jetzt wie viele Anrufe in Abwesenheit ich von Louis aber vor allem von June hatte. Ich dachte nicht groß darüber nach und wählte Junes Telefonnummer. »Oh man, Hailey, wo bleibst du nur, wir haben dich die ganze Zeit versucht zu erreichen«, brodelte es aus meiner besten Freundin nur so heraus.

»Hast du denn gar nicht auf die Uhr gesehen?«, fragte sie mich zusätzlich und mit einem aufbrausenden Ton in der Stimme.

»Ja...ich-«, und da schaute ich erst auf die Uhr. »Aber June, wir haben doch erst halb sieben, fängt die Party nicht sowieso erst gegen zwanzig Uhr an?«, fragte ich sie verständnislos, bis mir im nächsten Moment von selbst einfiel, was wir noch tun wollten.

»Die Observation! Hast du sie komplett vergessen? Oh Hailey.« Ich hatte sie echt lange nicht mehr so verzweifelt erlebt und musste etwas schmunzeln, da es sich immer noch um diesen einen Typen aus der Zwölf handelte, den sie schon so lange mochte. Auf irgendeine mir noch unbekannte Weise konnte ich sie aber nachvollziehen. Wer weiß, wann sie ihn je wiedersehen würde? Ob sie ihn wiedersehen würde?

Fragen über Fragen. Aber das war mir in dem Moment gleichgültig, da ich schon immer für sie da war. Ich immer für sie da sein würde, was auch passiert. Das hatten wir uns versprochen und ganz sicher wollte ich dieses Versprechen unter keinen Umständen brechen.

So viel stand fest.

»June, bleib einfach bei Louis, ich bin ja gleich da und halt dich bitte auch an mein Wort, er ist nur ein Junge«, sprach ich behutsam auf sie ein und legte ohne mich zu verabschieden auf.

Wenn ich den letzten Teil meines Satzes, den ich ihr gesagt hatte, doch auch auf mein eigenes Leben anwenden würde.

LAST SUMMERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt