Kapitel 9

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Ich saß auf meinem Schreibtischstuhl und drehte mich einmal, um auf die Situation klar zu kommen, auf die ich mich gerade eingelassen hatte. Ein Treffen mit Liam - dem Jungen aus dem Abschlussjahrgang, den ich bis vor zwei Tagen noch gar nicht gekannt hatte.

Einen Rat brauchte ich. Und zwar dringend. Ich schnappte mir in Sekunden eile mein Handy und rief June an. Jemand musste mir Abhilfe schaffen. Zugegeben hatte ich mich noch nie mit jemandem in dieser Art getroffen, es kam nun Mal nie dazu und es hatte mich auch bisher nie besonders gestört gehabt.

Ich wählte die Nummer von meiner besten Freundin und hielt mir den Hörer ans Ohr und wippte währenddessen mit meinem Bein - man war ich durch den Wind.

»Hey Hailey, was gibt's?«, hörte ich sie mich fröhlich begrüßen, woraufhin ich leicht lächelte. »Hi, ich...es ist möglich, dass ich vielleicht Mist gebaut habe«, erklärte ich ihr ohne viel herum zureden, während ich angespannt auf meine Unterlippe biss.

»Moment, DU sollst Mist gebaut haben, das glaube ich nicht«, lachte sie, vermischt mit einem etwas nervösen Unterton. »Na ja, a-also, kannst du vielleicht vorbeikommen? So am Telefon ist das ein bisschen schwierig«, verdeutlichte ich ihr und drehte mich erneut auf meinem Schreibtischstuhl.

»Um was geht's denn?«

Ich sollte ihr das vielleicht noch ein wenig vorenthalten, die Spannung sollte ja nicht fallen. »Es geht eigentlich nicht um etwas, viel eher um jemanden«, betonte ich das letzte Wort etwas stärker und konnte mir ihren Gesichtsausdruck gerade nur viel zu gut vorstellen.
Sie platzte sicherlich schon vor Neugier.
»Du bleibst wo du bist, rühre dich ja nicht weg«, sagte June mit bestimmter Stimme. Ich lachte nur in den Hörer und legte auf.

Es dauerte gar nicht lange, da läutete auch schon die Klingel unseres Hauses und ich sprintete die Treppen hinunter, um June die Tür zu öffnen.
»Hey, du bist allein?«, fragte sie mich und auch ich bemerkte, dass sich keiner in unserem Haus befand, bis meine Mom aus der Gartentür in die Küche spazierte. »Oh, hallo Mrs. Brooks«, begrüßte June meine Mutter. Sie begrüßte sie ebenfalls, schnappte sich einen Löffel und verschwand wieder im Garten.

»Jetzt weiß ich, wo alle sind«, sagte ich und setzte mich mit ihr in unsere Küche. »Tee?«, fragte ich, woraufhin sie zustimmend nickte und ich den Wasserkocher betätigte.
»Ich hoffe, dass ich mir den Weg nicht umsonst gemacht habe. Du sagtest, du hättest Mist gebaut? Es konnte unmöglich etwas Dramatisches sein. Wer ist jetzt überhaupt gemeint?«, sprudelte es aus ihr heraus, während ich schmunzelte und uns beiden einen Kamillentee zubereitete und ihr ihre dampfende Tasse vorsichtig zuschob.

»Okay, aber bleib ruhig«, gab ich ihr zu verstehen, woraufhin sie nickte.
»Es geht um Liam. Ich weiß nicht, an was du dich von gestern Abend noch erinnerst, beziehungsweise wie viel du überhaupt mitbekommen hast.« Ich schaute in ihr Gesicht, sie hörte gespannt zu und wollte, dass ich weiter sprach. »Nachdem wir Alex und Liam gestern, na ja kann man sagen abserviert hatten?-«

»Ja, das war eine Abfuhr, definitiv, mach weiter«, unterbrach sie mich und nippte an ihrem Tee. »Wie dem auch sei, Liam hatte mich wieder angesprochen und...ich hatte ihm nochmal meine Meinung deutlich gemacht und ich dachte wirklich, dass es dann gewesen wäre, doch ich täuschte mich erneut.«

Ich versuchte, kein Detail von gestern auszulassen. Als ich den Teil erzählte, wie er meine Nummer bekam, schaute sie mich mit großen Augen.
»Er bestand scheinbar wirklich darauf«, sagte June und schaute mich verschmitzt und mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Das Beste kommt erst noch, er hatte mich gestern angeschrieben und will sich morgen mit mir treffen.« Ich erschreckte mich, da June sich gerade beinahe an ihrem Tee verschluckte.
»Du hast ja gesagt?«, fragte sie mich, während ich ihr mein Handy übergab und sie sich unseren Chat durchlas.

»Kaum zu glauben, er gehört doch zu der Gruppe der Angesagten aus der 12. So viele werden diesen Jahrgang vermissen, da bin ich mir ziemlich sicher.«

»June, ich kenne ihn gar nicht, was soll das hier werden?«, fragte ich sie verzweifelt nach einem Rat.
»Oh man, Hailey, wenn du wüsstest, wie viele Mädchen gerne deinen Platz einnehmen würden und direkt auf ihn angesprungen wären.« Sie schüttelte ihren Kopf, sah aber keineswegs sauer aus, sondern hatte einen Blick drauf, den ich nicht genau deuten konnte.

»Einfach nicht zu glauben, du hast ihn eigentlich schon zwei Mal abserviert.«
June lachte sichtlich amüsiert, ich musste auch zugeben, das war eventuell etwas hart gewesen.
»Also, gibt es da irgendwas Bestimmtes zu wissen?«
June überlegte kurz, trank den letzten Schluck ihres Tees aus und schob die Teetasse zur Seite.

»Um ehrlich zu sein...nicht wirklich. Er ist auch im Lacrosse-Team wie Alex und ein paar der Anderen aus seinem Jahrgang aber sonst...ich bin überrascht, ich weiß tatsächlich nicht so viel über ihn. Ich hätte dir über jeden mehr erzählen können, ehrlich. Über Alex, Isaac, James. Die Liste ist echt endlos. Aber über Liam - er war immer etwas zurückhaltender, wenn ich so darüber nachdachte. Zumindest, das Ganze letzte Jahr über.«

Was bedeutete denn, das ganze letzte Jahr?

Ich schaute beeindruckt. Aber das musste lange nichts heißen.
»Um ehrlich zu sein bin ich mir nicht einmal sicher, ob er schon eine Freundin hatte«, fügte sie noch hinzu - ich hingegen war total sprachlos.
»Wenn du willst, finde ich was heraus, ich kenne da ein paar Menschen, die mir sobald es etwas Interessantes zu Wissen gibt, mich im Hand umdrehen informieren können.«

Ich fuhr mir durch die Haare und überlegte. Eigentlich keine schlechte Idee. »Das würdest du tun?«, fragte ich sie und schaute sie etwas bedrückt an. »Aber klar würde ich das«, entgegnete sie mir beruhigt und schloss mich in eine Umarmung. Die Gartentür knarrte und wir lösten uns aus der Umarmung.

»Oh, ich wollte euch nicht dazwischenkommen«, entschuldigte sich meine Mom, wir winkten allerdings beide ab.
»Wir wollten sowieso hoch, ihr könnt gerne reinkommen, wenn ihr mögt«, entgegnete ich meiner Mutter gewandt, dicht gefolgt von Lili, die uns beiden ein Lächeln schenkte und June begrüßte.

***

Mittlerweile war der nächste Tag angebrochen. Es war bereits nach 15 Uhr geworden, während ich mich mit June über mein Handy über den Abschlussjahrgang unterhielt. Ich hatte ein Outfit im Kopf, dass ich mir herauslegte. Nervös bereitete ich mich für das Treffen vor.

Ich entschied mich für ein gestreiftes, rotes Top und eine dunkelgraue Hose. Es würden wieder die weißen Sneaker werden, welche ich auch auf der Abschlussparty trug. Meine dunkelbraunen Haare, welche mir sowieso nur bis knapp unter mein Schlüsselbein reichten, waren schnell geglättet.

Schminke trug ich relativ dezent auf, denn es war lediglich nur ein Treffen, über das ich mir nicht große Gedanken machen sollte. Schließlich griff ich nach einer kleinen Tasche und packte mein Handy, meine Kopfhörer, etwas Geld und meinen Schlüssel ein.

Kurz bevor ich das Haus verließ, hinterließ ich einen kleinen Zettel mit der Nachricht, dass ich rausgehen würde - mehr Information hielt ich nicht für nötig und befestigte diesen mit einem Magneten am Kühlschrank.

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