»Moment...jetzt gleich?«, fragte ich verwirrt nach, denn darauf war ich gar nicht vorbereitet. »Ja, natürlich, ich begleite dich zum Raum und schließe ihn dir auf«, erklärte mir Mrs Roberts knapp, während ich ihr weiterhin folgte. Es stellte sich heraus, dass sich der Raum hinter dem Sekretariat befand und somit in wenigen Minuten erreicht war.
»So Hailey, ich vertraue dir den Schlüssel an. Den behältst du und schließt die Tür bitte wieder ab, sobald du fertig bist«, sagte Mrs Roberts in einem bestimmten Ton. »Gut, das mache ich«, erwiderte ich. Sie verschwand mit einem Lächeln aus der Tür und zog diese hinter sich zu.
Der Raum war nicht besonders groß. Es stand ein etwas größerer, weißer Tisch, ein Schreibtischstuhl und eine große Lampe im Raum. Ich streifte mit meiner Hand einmal über den Tisch und lief auf das Fenster zu, um etwas frische Luft hineinzulassen, da die stickige Luft vermuten ließ, dass das eine ganze Weile schon jemand nicht mehr tat.
Als ich es mir auf dem Stuhl bequem machte, hängte ich meine Tasche um den Stuhl und die Mappen stachen mir sofort ins Auge, da sie sorgfältig in einem Ordner zusammengelegt wurden. Glücklicherweise lag eine Stufenliste dabei, da ich somit nicht verzweifelt alles selber heraussuchen musste, sondern zumindest ein paar wenige Anhaltspunkte hatte, mit denen ich arbeiten konnte und die mir die Arbeit erleichterten.
Ich blätterte ein wenig durch den großen Ordner und stellte fest, dass neben dem Namen und der Akte auch ein Bild mit einer Büroklammer befestigt worden war. Zusätzlich standen viele Einträge zu jeder Person geschrieben und zwar vom Beginn der High School, bis zum aller letzten Schultag. Heute. Bei dem Gedanken wurde mir tatsächlich etwas mulmig zumute. Nächstes Jahr war unsere Stufe an der Reihe und ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass ich mich in genau einem Jahr in der exakt selben Situation vorfinden würde.
Es kam mir vollkommen surreal vor.
Ich trödelte nicht länger und begann kurze Hand später schon mit der Arbeit. Es war keine Meisterleistung, die ich vollbrachte, doch es hatte manchmal Ewigkeiten gedauert, bis man diese eine Person gefunden hatte, die an eine bestimmte Stelle des Alphabets zuzuordnen war. Ein anderer Schüler lag nämlich wieder wo komplett anders und ehrlich gesagt regte mich die Sortierarbeit so dermaßen auf, dass ich regelmäßig eine Pause einlegen musste, um mich davon abzuregen. Eigentlich war ich eine ruhige Person, doch diese Vorbereitungen für den Abschluss raubte mir den allerletzten Nerv. Andererseits war es ziemlich spannend zu sehen, wie die ganzen Leute hießen, die ich auf unseren Schulfluren und in der Mensa ab und an zu Gesicht bekam. Die Liste ging querbeet von den Nerds, den äußerst beliebten Mädchen, die ihr Gesicht jeden Morgen mit Tonnen von Make-up ummantelten, den beliebten Jungs des Lacrosse-Teams, bis hin zu den ganz normalen Schülerinnen und Schülern, zu denen ich mich zählen würde, wenn ich zurzeit ein Senior gewesen wäre. All diese Leute kannte ich ziemlich gut vom Sehen, manche etwas besser, als andere.
Plötzlich sah ich ein mir wirklich bekanntes Gesicht an einer Schulakte geheftet, weshalb ich sofort anfangen musste darauf zu starren und leicht zu schmunzeln. Der Junge mit den haselnussbraunen Augen hieß wohl Liam. Liam Baker. Und vor mir lag seine komplette Schullaufbahn der High School.
Ich könnte ja vielleicht...
»Nein«, sagte ich zu mir selbst, um meinen hinterlistigen Gedanken nicht weiter auszuführen. Was sollte es mir denn bitte auch bringen, einen Blick in seine Mappe zu riskieren? Ihn würde ich genau wie alle anderen aus dieser Stufe nach dem heutigen Tag nie wiedersehen. Und das war sicherlich auch gut und richtig so. Außerdem konnte ich mir vorstellen, was er für ein Typ war: Beliebt, ziemlich wohlhabend, Spieler des Lacrosse-Teams und schrieb relativ gute Noten und lebte für Partys und all die anderen beliebten Mädchen. Das hörte sich zwar wirklich klischeehaft an, traf aber beinahe immer zu.
Ich schüttelte nur meinen Kopf und war nach einer weiteren ganzen Stunde endlich fertig und atmete erleichtert aus. Das Fenster hatte ich wieder geschlossen und ich schnappte mir daraufhin den Schlüssel und meine Tasche, um den Raum schnellstmöglich wieder zu verlassen.
Den Schlüssel gab ich Mrs Roberts zurück, welche sich großzügig bei mir bedankte. Es war tatsächlich mehr Zeit vergangen, als ich gedacht hatte. Der letzte Schultag war nicht besonders lang, da so viel Wert auf die heutige Abschlussfeier gelegt wurde. Fand ich um ehrlich zu sein etwas unnötig. Ich machte mich also wie alle anderen Schülerinnen und Schüler auf den Heimweg und erwischte noch Louis und June, die sich angeregt über etwas unterhielten.
»Oh Louis, schau mal, da lässt sich doch noch jemand blicken«, hörte ich June sarkastisch lachend, während sie Louis mit ihrem Lachen ansteckte und sie stehenblieben.
»Ihr Blick sieht aber gar nicht gut aus«, mischte sich nun Louis ein, der mich stirnrunzelnd betrachtete. »Leute, wenn ihr wüsstet«, sagte ich atemlos und genervt woraufhin mich die beiden verwirrt anschauten. »Ihr glaubt gar nicht, wofür Mrs Roberts mich länger dabehalten wollte«, erklärte ich, woraufhin die Verwirrtheit in ihren Gesichtern nur noch größer wurde.
»Also, wenn das jetzt Nachsitzen war für das Zuspätkommen, dann weiß ich auch nicht weiter. Mrs Roberts ist eigentlich cool drauf, lässt sich nichts sagen und kann ganz anders werden, wenn jemand ihre Autorität in Frage stellt.«
»Diese Lehrerin ist doch der Hammer. Jeder mag sie.«
»Ist ja auch bei euch Jungs klar. Was auch immer für Fantasien ihr habt. Die Seniors fahren doch voll auf die ab.« June rollte mit ihren Augen und schaute auf ihre Schuhspitze.
»Bei uns Juniors ist das doch nicht anders, June. Ich kenne keinen Typen, der sie nicht heiß findet.«
»Leute«, sagte ich und musste bei Louis' Bemerkung etwas lachen, da June ihm einen Stoß in die Rippen verpasste.
»Was denn, ich war nur ehrlich«, verteidigte er sich und zuckte mit den Schultern.
Okay, Hailey, sie konnte dich niemals fürs Zuspätkommen nachsitzen lassen. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wann du jemals zu spät gekommen bist und zweitens heute ist doch-«
»Nein, nein, Nachsitzen musste ich tatsächlich nicht«, unterbrach ich Junes Redeschwall.
»Angeblich war wohl niemand besonders geeignet dafür gewesen, einen bestimmten Ordner mit allen Akten vom Abschlussjahrgang alphabetisch zu sortieren, weshalb ich das tun sollte«, erklärte ich den beiden und stellte währenddessen fest, dass sich das vollkommen bescheuert anhören musste. Die Arbeit war zwar mühselig, aber sie war zu bewältigen. Ein Blick auf die beiden zeigte mir, dass sie ähnlich wie ich dachten und komisch dreinschauten, als ich selbst darüber nachdachte, wie komisch das gewesen war
»Wie auch immer, wir sollten uns schleunichst auf den Weg machen, denn die Abschlussparty findet doch schon in vier Stunden statt! Euch ist hoffentlich klar, dass das DIE Party wird. Jeder wird darüber noch sprechen. Wer weiß, was sich alles ergibt, sobald die Eltern der Seniors sich verabschieden und die richtige Party beginnt...«
June war ganz außer sich und hatte uns bei ihrer Schwärmerei schon fast wieder vergessen. Louis und ich schauten uns an - eindeutig nicht vorbereitet auf diesen Redeschwall, der den gesamten Nachhauseweg nicht nachlassen würde. Meine beste Freundin stand schon lange auf einen Jungen aus der zwölften Klasse, der – natürlich, was auch sonst – beliebt war, im Lacrosse-Team spielte und nicht so schlecht aussah, zugegeben. Wie schon erwähnt, war ich nie besonders familiär mit dem Jahrgang über mir, doch ihren Schwarm kannte ich etwas besser, da ich mir andauernd anhören musste, dass er ein recht guter Lacrosse-Spieler war und natürlich ›verdammt gutaussehend‹ er war.
Mich ließ jedoch ein ganz ungewohntes und unruhiges Gefühl nicht los, dass ich nicht nur ihren Schwarm ein wenig besser kannte als alle anderen Zwölfklässler. Ein anderer Junge hatte seit heute Morgen auch einen gewissen Bekanntheitsgrad bei mir gewonnen.
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LAST SUMMER
Teen Fiction❝ Es war nicht der letzte Sommer, bevor sich alles änderte - das tat es schon längst. Ich war gefangen in einem Netz aus Gefühlen, das mein Herz kaum ertrug.❞ Die 17-jährige Hailey Brooks bewältigte die alltäglichen Probleme, die einen Teenager im t...