Kapitel 36

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„Ihr Arschlöcher... Ihr Idioten... Ihr Arschlöcher..."

„Er macht das jetzt schon seit einer halben Stunde! Sogar Luke würden inzwischen kreativere Schimpfwörter einfallen!", jammert Kai genervt und lässt seinen Blick über Tyler gleiten. Dieser sitzt gefesselt auf seinem Stuhl und murmelt schon die ganze Zeit Beschimpfungen für uns- aber vor allem für Luke und mich- vor sich hin.

Als wir vor ein paar Tagen die Idee hatten, Tyler zu entführen, haben wir sofort die Mienen nach einem guten Versteck abgesucht. Der Erpresser hatte Recht, überall waren gut isolierte Räume, durch deren dicke Betonwände kein Mucks durchdringen konnte. So fanden wir auch dieses Zimmer, das schon mehr in dem Berg als davor war.

„Ist er jetzt ansprechbar oder nicht?", wendet sich Lu an Luke. Dieser zuckt mit den Schultern:

„Ich weiß es nicht. Ich habe eigentlich nie so fest zugeschlagen, dass er ohnmächtig wird."

Das stimmt, eigentlich hätte ihn Luke nur „transportfähig" machen sollen. Ein dickes blaues Auge und eine Blutkruste zieren dennoch Tylers Gesicht. Wohl verdient, wenn man mich fragt.

„Er wäre schon ein ziemliches Weichei, wenn er nach den drei Schlägen bewusstlos wird.", merkt Kai an. Trotzdem stößt er sich von der Wand ab, an der er vorher noch gelehnt ist, geht auf den gefesselten Tyler zu und rüttelt grob an seiner Schulter. „Bist du wach?" Tatsächlich reagiert Tyler kurz, indem er zu Kai aufschaut und mit halb geöffneten Augen weiter Beschimpfungen vor sich hin murmelt. Kai runzelt die Stirn. „Nicht eindeutig genug. Hat jemand Wasser?"

„Ja, ich!", rufe ich und halte meine Wasserflasche in die Luft. Kai mustert die Glasflasche mit den pinken Blümchen darauf kritisch und weiß offenbar nicht, ob er sie lustig oder traurig finden soll, nickt dann aber doch. Motiviert gehe ich zu Tyler und lasse das kalte Wasser zufrieden über sein Gesicht rinnen. Tatsächlich funktioniert es, denn der Schwarzhaarige reißt die Augen weit auf, will mit dem Kopf ausweichen und hustet kräftig.

„Guten Morgen!", begrüßt ihn Luke und strahlt ihn förmlich an. Ich muss grinsen, eine halbe Stunde zuvor hat er ihn noch verprügelt. Er scheint genauso eine Wut auf Tyler zu haben wie ich, und irgendwie macht mich das glücklich. Ein kleiner Teil von mir hofft, dass er ihn so hasst, wegen den Dingen, die er mir angetan hat.

Tylers Blick gleitet durch den schwach beleuchteten Raum. Hier ist es nicht so schmutzig wie in dem Zimmer, in dem wir sonst immer sind- Vermutlich, weil sich soweit sonst keiner in die Ruine traut und sie so niemand verdreckt.

„Ihr seid doch krank.", ist das erste, was er nach seiner Trance von sich gibt.

„Hey, du hast mit der Scheiße angefangen!", kontert Kai.

„Und wir lassen dich auch sofort wieder frei, wenn du uns gibst, was wir brauchen.", beschwichtigt ihm Lu. Tyler grinst nur gequält und deutet ein Kopfschütteln an:

„Was auch immer es ist, vergesst es. Ihr seid nur Teenager, niemand von euch hat schon mal jemanden verhört."

Kai zischt: „Stimmt, hoffentlich schießen wir dir nicht versehentlich das Bein weg, wenn wir doch so unerfahren sind."

„Außerdem haben wir so viel Zeit wie wir brauchen, hier findet dich niemand. Nicht, dass dich jemand suchen würde." Luke spielt mit der Knarre in seiner Hand. Tyler hebt die Augenbrauen:

„Ich weiß genau, dass ihr keine Zeit mehr habt. Hat nicht eure letzte Aufgabe schon angefangen?"

Für einen Moment sagt niemand etwas. Die Jungs wirken wütend, aber eigentlich hat Tyler mit seiner Aussage für uns nur bestätigt, dass er etwas weiß. Also lächle ich selbstsicher und lehne mich nach vorne zu ihm:

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