Kapitel 9

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Die Villa ist fast so groß wie die von Lu. Ich lege den Kopf schief und lasse meinen Blick noch ein paar Mal von dem Plan auf das eigentliche Haus schweifen.

„Das kriegen wir doch nie hin.", spricht Luke das aus, was wir uns alle denken und beißt noch einmal von seinem Schokoriegel ab. Ich sehe ihn neidisch an: Wieso hatte ich nicht die Idee, etwas zu Essen mitzunehmen? In diesem Moment dreht sich Kai vom Fahrersitz zu uns um und fragt:

„Habt ihr da hinten irgendwelche Ideen?"

Ich schüttle den Kopf und lehne mich müde zurück. Wir sitzen schon geschlagene zwei Stunden in diesem Wagen und starren aus sicherer Entfernung Edwards' Villa an. Und das alles ohne Erfolg, denn wir haben immer noch keinen Plan davon, wie wir einbrechen werden. Geschweige denn den Safe finden und ihn öffnen.

Die Stimmung ist im Keller. Wie sollen wir so etwas jemals schaffen? Wir sind doch nur vier Teenager mit ein paar Traumata, die gerne ihr Leben leben würden! Wieso hat sich der Erpresser keine Profis ausgesucht, die das für ihn erledigen?

„Der Zaun sollte nicht das Problem sein, weiter hinten ist eine Stelle, die nicht so hoch ist, da können wir drüber klettern.", überlegt Lu und schielt auch zu Lukes Schokoriegel, den er inzwischen zwischen mir und ihm auf die Rückbank gelegt hat.

„Und wie machen wir dann weiter? Wie kommen wir in das Haus?", frage ich und schaue ratlos in die Runde:

Kai zuckt müde mit den Schultern und legt seinen Kopf verzweifelt gegen das Lenkrad. Er sieht demotiviert und erschöpft aus. Einen Einbruch in die Schule zu organisieren war für ihn die eine Sache, aber die Villa der reichsten Frau der Stadt? Das würde doch nicht einmal ein richtiger Verbrecher schaffen! Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und jammere:

„Wir haben nur noch eine Woche Zeit und nicht einmal ansatzweise einen Plan!"

„Wie wär's mit einer Pause?", wirft Luke hoffnungsvoll ein.

Kai sieht vom Lenkrad auf und funkelt ihn wütend an. Wenn Blicke töten könnten, wäre Luke jetzt von uns gegangen.

„Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Luke.", beginnt er gefährlich ruhig klingend. „Aber ich persönlich habe keinen Bock darauf, dass jemand den anderen alles über meine Vergangenheit erzählt oder mich sogar umbringt."

„Du glaubst doch nicht, dass der uns ernsthaft tötet.", meint Luke ungläubig.

Ich schaue ihn stirnrunzelnd an, ehe ich ihm gereizt erkläre:

„Dieser Typ weiß unsere größten Geheimnisse, er ist also krank genug, dass er uns schon seit Jahren stalkt."

„Das bedeutet immer noch nicht, dass er wirklich fähig wäre, uns zu töten."

„Wirklich nicht? Dann stand in dem Brief für den Direktor also nur die freundliche Bitte, dass er doch so nett wäre, seinen Job zu kündigen und in eine andere Stadt zu ziehen. Nein, er hat dem Direktor gedroht, ihn gestalkt und erpresst! Genau wie bei uns und bei Edwards!" Ich halte den Zettel mit möglichen Zahlenkombinationen für ihren Safe in die Luft. „Er hat kein Problem damit, Leben zu zerstören! Er will sogar genau das."

Es tut gut, meine Gedanken, die mir schon so lange über den Erpresser im Kopf herumschwirren, mit den anderen zu teilen. Auch, wenn ich dafür Luke anschreien muss. Dieser antwortet darauf lange nichts. Es ist so, als würde er gerade erst realisieren, in was für einer Lage wir gerade wirklich sind. Nach einiger Zeit murmelt er:

„Aber hier jetzt noch ewig im Auto sitzen bringt doch nichts."

„IST DAS DEIN SCHEIß ERNST?", brüllt Kai plötzlich so unerwartet, dass Lu und ich erschrocken zusammenzucken. „Muss ich mich wirklich noch einmal wiederholen? Wir haben nur noch fünf Tage! Wir haben seit mehr als einer Woche nichts gemacht, uns läuft langsam die Zeit davon!"

„Okay, Entschuldigung.", murmelt Luke augenverdrehend, worauf Kai wieder etwas sagen will, doch Lu fällt ihm ins Wort:

„Haltet alle einmal eure Klappe und beruhigt euch! Wir fahren jetzt ins Diner und machen eine Pause, denn offensichtlich seid ihr gerade nicht in der Lage, klar zu denken!"

Irritiert über Lus kleinen Ausbruch dreht sich Kai wieder von Luke weg. Damit, dass genau sie das Machtwort spricht, hat wohl niemand gerechnet. Wortlos tritt Kai ins Gas, um uns hier wegzufahren.

Die dicke Luft zwischen uns allen ist sofort verflogen, als wir das wohlriechende Diner betreten. Vielleicht waren wir tatsächlich wegen dem Hunger so schlecht drauf. Wir setzen uns auf den Platz, auf dem Luna und ich vor ein paar Wochen gesessen sind und bestellen uns Burger.

Ich muss mir ein Grinsen verkneifen, als ich die verwirrten Blicke unserer Mitschüler sehe, die auch im Diner sind. Der Freak, das reiche Mädchen, der Neue und der Footballspieler. Mit dieser Kombination haben wir wohl selbst nicht gerechnet. Während ich mir über die drei Gedanken mache, fällt mir am anderen Ende des Raumes ein blonder Haarschopf auf:

„War das da hinten nicht Jake?", frage ich Lu schmunzelnd.

Ihr schießt sofort rote Farbe in den Kopf und sie sieht mich vorwurfsvoll an:

„Minnie, ich hab dir das in Vertrauen erzählt!", meint sie aufgebracht.

Kai runzelt belustigt die Stirn und sagt:

„Ernsthaft, Lu? Hemsworth?"

Peinlich berührt spielt sie mit dem Strohhalm in ihrer Cola und nickt verlegen. Vor ein paar Tagen hat mir Lu draußen am Schulhof beim Mittagessen von ihrem neuen Schwarm erzählt. Jake Hemsworth. Ich finde, sie würden gut zusammenpassen. Jake ist ein netter Junge, er spielt sogar im Schulorchester und hilft am Wochenende den Obdachlosen. Leider scheint er nun mal gar nicht an Lu interessiert, aber das kriegen wir schon noch hin.

„Er wohnt in derselben Straße wie ich, wir sitzen manchmal im Bus zusammen. Vielleicht kann ich dich mal zufällig erwähnen.", schlägt Luke schmunzelnd vor. Lu sieht ihn hoffnungsvoll an und nickt, aber die Situation ist für sie sichtlich unangenehm.

In den nächsten Minuten wirft sie immer wieder ein paar heimliche Blicke auf Jake, bis er mit seinen Freunden nach draußen geht. Verträumt sieht sie ihm hinterher. Als die Burger kommen sprechen wir alle nur noch wenig und wenden uns unserem Essen zu. Über was sollen wir schon sprechen, wenn wir gerade eben noch einen Einbruch geplant haben? Doch plötzlich ruft Lu:

„Ich hab's!"

Sie war so laut, dass sich ein paar Leute zu uns umdrehen und ich mich an meinem Burger verschlucke. Erst, als Luke mir fest auf den Rücken klopft, kann ich wieder atmen. Lu macht vor Scharm große Augen und wirft ihnen entschuldigende Blicke zu, da will Kai leise wissen:

„Was hast du?"

„Eine Idee, wie wir in das Haus kommen."

„Wie?", fragen Luke, Kai und ich synchron. Sofort lehnen wir uns alle weiter an den Tisch, damit uns niemand hören kann. Erst, als Lu sich darüber zu hundert Prozent sicher ist, erklärt sie leise:

„Ich kenne Edwards ja persönlich. Was, wenn ich in den nächsten Tagen einmal bei ihr anklopfe und sie um ein kurzes Gespräch bitte?"

„Sprich weiter.", sagt Kai interessiert und lehnt sich noch weiter nach vorne. Auch Luke und ich tauschen vielsagende Blicke. Wenn ihr Plan gut ist, kann ich vielleicht das erste Mal seit Tagen wieder gut schlafen.

„Ich könnte für uns dann unauffällig ein Fenster öffnen, wo ihr dann reinklettert. In der Nacht, wenn alle schlafen, schnappen wir uns die Dokumente, vervielfältigen sie und schicken sie an die nächstbeste Polizeistation und Zeitung."

„Das ist eine gute Idee.", gibt Kai zu.

Ich schaue Lu begeistert an und nicke zustimmend. Als wir das Diner verlassen, geht es uns allen schon deutlich besser als beim Betreten. Nach mehr als einer Woche haben wir endlich einen Plan, wir müssen ihn nur noch in die Tat umsetzen.

Lasst das Spiel beginnen!

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