Kapitel 37

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Für einen kurzen Moment ist die Welt wie erstarrt. Niemand bewegt sich oder gibt auch nur einen Mucks von sich, ich wage es nicht einmal, zu atmen. Kai streckt seine Hand nach der Pistole aus, die er gerade vorher auf den Stuhl gelegt hat, aber Palien richtet sofort die Knarre auf ihn und knurrt:

„Noch eine falsche Bewegung und du bist tot."

Kai nickt und hebt langsam seine Arme. Palien lässt seinen Blick langsam über uns schweifen, die Knarre immer noch erhoben. Ich zittere unkontrolliert und schaue hilfesuchend zu Luke. Er steht gar nicht weit von mir, aber ich habe das Gefühl, als wären wir Meilen voneinander entfernt. Ich will zu ihm gehen, seine Hand halten, aber ich wage es nicht, mich zu bewegen.

„Verdammte Scheiße. Es wäre nur noch eine Aufgabe gewesen, dann hätte ich euch in Ruhe gelassen und alle wären glücklich gewesen! EINE BESCHISSENE AUFGABE UND IHR HÄTTET DAS GANZE HINTER EUCH GEHABT! Aber ihr musstet doch unbedingt eure Nase in fremde Angelegenheiten stecken!"

„Wir werden niemanden davon erzählen, bitte!", fleht Lu mit Tränen in den Augen. Palien lacht kalt auf:

„Darauf kannst du wetten! Ihr werdet nie wieder irgendjemandem irgendetwas erzählen!"

„Das heißt Sie töten uns?", frage ich leise, obwohl es wohl eher eine Feststellung ist. Doch anstatt mir direkt zu antworten stellt er mir eine Gegenfrage:

„Weißt du noch, was meine erste Nachricht an euch alle war? Noch ein Fehler, und ihr werdet den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben. Und das war der größte Fehler eures Lebens. HÄNDE HOCH!"

Genau wie die anderen hebe ich meine zitternden Arme, als mich die kalte Erkenntnis packt. Ich werde hier sterben, in diesem verdreckten, dunklen Loch. Dort wo alles angefangen hat werde ich sterben, ohne noch einmal die Sonne gesehen zu haben.

Und mit mir sterben meine besten Freunde. Luke, Lu und Kai. Ich schiele zu ihnen, sie stehen mit genauso erhobenen Armen da und starren den Erpresser an. Außer Luke, er schaut zu mir. Ob er wohl gerade dasselbe denkt wie ich? Wir werden nie zusammen auf den Abschlussball gehen können. Ist das gerade das letzte Mal, dass ich in seine eisblauen Augen schauen kann?

Und das alles, weil wir uns nicht an die Regeln gehalten haben. Wir hätten von Anfang an nur mitspielen müssen, dann hätten wir nach dieser Aufgabe wieder normal weiterleben dürfen. Aber jetzt ist alles vorbei.

Oder ist es das nicht? Wenn ich in den letzten Wochen eines gelernt habe, dann ist das, dass es immer einen Ausweg gibt. Aber wie soll ich jetzt einen Ausweg finden, ich weiß nicht einmal, wie viel Zeit mir noch bleibt! Zeit... Ja, das ist es!

„Wenn Sie uns schon umbringen wollen, dann erklären Sie uns wenigstens wieso. Wir verdienen es, die Wahrheit zu erfahren.", bitte ich, obwohl es mich zum ersten Mal seit dem Anfang dieser Geschichte nicht interessiert. Palien jedoch lacht auf:

„Ach Minnie, hältst du mich wirklich für so dumm? Ich kenne dich besser als du selbst, ich weiß, was du vorhast. Doch das ist kein schlechter Actionfilm, wo sich all deine Probleme mit Zeit schinden lösen. Frech von dir, vielleicht solltest du zuerst sterben."

Beinahe gleichgültig richtet er die Pistole auf mich und platziert seinen Finger auf dem Abzug. Ich kneife die Augen zusammen und halte meine Arme vors Gesicht- als ob mir das jetzt etwas bringen würde. Quälend langsam warte ich auf den Schuss. Aber er kommt nicht. Stattdessen höre ich Luke rufen:

„Halt!" Ich öffne die Augen und sehe, dass er vor mich hingesprungen ist und die Hände schützend vor uns beide hält. „Betrachten Sie es als letzten Wunsch! Bitte, ein letzter Wunsch von uns allen. Danach können Sie loslegen, von mir aus können Sie mich auch als erstes töten."

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