Kapitel 31

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Bewegungslos stehe ich hinter dem Baum und starre mit weit aufgerissenen Augen das Haus an, in dem Lu gerade verschwunden ist. Ich will zu ihr rennen, aber ich kann vor Panik keinen Finger rühren.

Lu ist weg, Cooper hat sie.

Lu ist weg, Cooper hat sie.

Lu ist weg, Cooper hat sie.

Langsam realisiere ich, was gerade vor sich geht. Unbewusst krallen sich meine Finger in die Rinde des Baumes, während ich mich in meinen Gedanken selbst anschreie. Wieso tue ich denn nichts? Sie ist meine beste Freundin, der erste Mensch, dem ich alles über mich anvertrauen kann! Und nun ist sie in diesem Haus gefangen, in Lebensgefahr, und ich tue nicht mehr als hier zu stehen und Löcher in die Luft zu starren.

Die Straße ist komplett leer geräumt und nur ein paar alte Straßenlaternen beleuchten die Gegend. In den Wohnhäusern um mich herum ist auch alles dunkel, wahrscheinlich wegen der Uhrzeit. Jetzt, wo ich mir auch Coopers Zuhause genauer ansehen kann, fällt mir auf, dass nirgendwo Licht brennt und alle Vorhänge zugezogen sind. Verdammt, das hätte uns schon vorher verdächtig vorkommen sollen! Cooper hat das alles genau so geplant und wir haben ihr perfekt in die Hände gespielt!

Als mir das bewusst wird, kann ich mich endlich von dem Baum wegstoßen und quer über die Straße rennen. Ich muss Lu retten und zwar sofort. Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren, als ich den dunklen Holzzaun erreicht habe und mich darüber schwingen will.

Doch kurz bevor ich zum Sprung ansetze, fällt mir etwas auf. Ich werde meiner besten Freundin keine Hilfe sein, wenn ich hirnlos in dieses Haus stürme. Eher bewirke ich das Gegenteil und bringe sie noch mehr in Gefahr. Deshalb schnappe ich mir mein Handy und drücke auf den ersten Kontakt, der mir angezeigt wird. Kai.

Es piepst. Unwohl verlagere ich ein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und bete, dass er abhebt.

Es piepst weiter. Ich kneife vor Spannung meine Augen zusammen. Bitte, bitte, bitte Kai geh' ran!

Es dauert mir zu lange und ich beschließe, es mit Luke zu versuchen. Ich will schon auf den roten Knopf drücken, da unterbricht mich Kais Stimme und ich halte in der Bewegung inne.

„Minnie, was gibt's?"

Erleichtert atme ich aus, ehe ich wieder Luft hole und ins Telefon rufe:

„Sie hat Lu! Bitte komm sofort hierher!"

Kurz antwortet Kai gar nichts. Im Hintergrund höre ich das Klirren von Besteck und Menschenstimmen, er ist also immer noch mit seinen Müttern essen. Ich will ihn schon durch das Handy anbrüllen und ihm das Ganze noch einmal sagen, da antwortet er. Zum Glück hat er den Ernst der Lage sofort begriffen und stellt keine weiteren Fragen.

„Verstanden, ich bin gleich da."

„Gut, beeil dich!"

Wieder will ich auflegen und über den Gartenzaun klettern, da sagt Kai, als hätte er meine Gedanken gelesen:

„Mina, egal was passiert, warte auf mich, okay? Geh' da nicht allein rein, du würdest alles noch schlimmer machen. Warte auf mich."

„Na gut.", meine ich widerwillig und trete sicherheitshalber einen Schritt von dem Zaun zurück. Das Warten wird aber nach ein paar Sekunden schon unerträglich, also gehe ich mit schnellen Schritten auf die dunkle Straße auf und ab. Kurz stelle ich mich auf die Zehenspitzen und schiele zu Lukes Haus hinüber, in dem aber kein Licht brennt und auch kein Auto davor steht. Sie sind wohl immer noch nicht zurückgekommen. Wie konnten wir nur so dumm sein und wieder hierher kommen? Für einen Moment spiele ich mit dem Gedanke, auch ihn anzurufen, aber meine Hände sind so zittrig, dass ich nicht einmal mein Handy richtig halten kann. Das wird Kai schon machen.

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