Kapitel 20

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„Geht es dir gut?", will Kai von mir wissen, doch er sieht mich nicht an. Sein Blick haftet auf Thymon, sein Finger am Abzug der Knarre.

„Alles bestens.", gebe ich ihm als Antwort, doch meine Stimme zittert.

Thymon sitzt verdutzt auf seinem Sessel und sieht Kai mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. Ich kann nur ahnen, was gerade in ihm vorgeht. Und dann verstehe ich es: Für einen kurzen Moment huschen seine Augen zu seiner eigenen Waffe am Schreibtisch. Er darf sie nicht kriegen. Reflexartig beuge ich mich nach vorne und schnappe mir die Pistole, bevor er es tun kann. Der Blick, den er mir darauf zuwirft, jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken.

Kai lacht auf:

„Du kleines Arschloch."

Ich stehe langsam von meinem Stuhl auf und drehe mich um: Gerade in diesem Moment betreten Luke und Lu den Raum. Beide atmen erleichtert aus, als sie mich sehen. Ich muss der Versuchung widerstehen, die drei sofort vor Erleichterung zu umarmen. Thymon darf nicht mitbekommen, wie weich wir eigentlich sind. Und doch kann ich nicht anders, als die beiden warm anzulächeln: Dank ihnen und vor allem Kai lebe ich noch.

Ich blicke wieder zu Thymon. Dessen dunkle Augen mustern Kai durchdringlich und er überlegt:

„Dich kenne ich doch."

Kai seufzt und lässt sich locker auf den Stuhl gegenüber von dem Gangboss fallen. Luke lehnt sich währenddessen an die Wand, direkt neben das Einschussloch, und verschränkt die Arme vor der Brust. Lu schließt die Tür, damit niemand Thymon hört, sollte er nach Hilfe rufen. Doch mein Mitleid für ihn hält sich eindeutig in Grenzen. Das hat er sich verdorben, als er mich töten wollte.

„Ach, tust du das?"

„Du hast doch einmal auf der Straße gelebt, oder nicht? Was ist nur aus dir geworden?"

Kai zuckt mit den Schultern, die Pistole ist immer noch auf Thymon gerichtet. Ich sehe, wie angespannt er ist.

„Etwas Besseres als aus dir."

„Das wage ich zu bezweifeln."

„Mutig, Anbetracht der Tatsache, dass ich dich gerade abknallen könnte." Demonstrativ platziert Kai seinen Finger am Abzug.

„Also sind zumindest unsere Moralvorstellung gleich."

„Und das wage ich zu bezweifeln. Ich lasse keine Minderjährigen für mich dealen." Noch nie hat sich Kais Stimme so kalt angehört.

Der Austausch zwischen den beiden verläuft so schnell, dass ich verwirrt blinzeln muss. Denn Thymon klingt so ruhig, als würden die beiden sich bei einer Tasse Tee unterhalten. Kais Stimme hingegen trieft nur so von Verachtung, dass ich wirklich befürchte, dass er Thymon heute noch umbringt.

Thymon hebt unbeeindruckt die Augenbrauen und ignoriert Kais Aussage. Seine Stimme nimmt einen geschäftsmäßigen Klang an, als er die Hände auf dem Tisch faltet und er fragt:

„Wer ist euer Auftraggeber und was will er? Wenn er wollte, dass ihr mich tötet, wäre das schon längst passiert."

„Stimmt, er will nicht, dass wir dich persönlich umbringen. Er will, dass sich das von selbst erledigt, nachdem du gestanden hast."

Thymon lacht dreckig. Er nimmt uns nicht ernst und das macht mich so wütend, dass ich meine Hände zu Fäusten balle.

„Na schön, dann spiele ich einmal mit: Und was soll ich bitte gestehen?"

Kais Mundwinkel zucken nach oben, als er sich vorlehnt und die Pistole nur noch ein paar Zentimeter von Thymon entfernt ist:

„Du sollst gestehen, dass du deine Schwester ermordet hast."

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