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Krachend versenke ich meine Zähne in dem Apfel.
Alex nervt. Punkt.
Kann der seine Sorgen nicht für sich behalten?
Bitte?
Das würden sowohl seine als auch meine Nerven schonen.
Glücklicherweise hat er heute Nachtschicht. Sehr gut.
Also hab ich endlich mal Ruhe vor seiner übervorsorglichkeit.
Meine Gedanken wandern zu Mama.
Was würden wir jetzt machen, wenn sie nicht im Koma wäre?
Hätte sie ihr Alkoholproblem inzwischen im Griff?
Was wenn nicht?
Würden wir jetzt gemütlich zuhause sitzen und sie würde mit mir lernen?

Ich vermisse sie.
Ich will zu ihr.
Ich brauche sie.
Jetzt. Hier. Sofort.

Meine Armbanduhr zeigt an das es erst 14:34 Uhr ist.
Noch genug Zeit um meine Aufgaben zu machen und Mama zu besuchen.
Das einzige was ich an Hausaufgaben habe ist was in Wirtschaftsinformatik kurz Winf.
Irgend so ne Wiederholung vom Binärsytem.
Langweilig und unnötig.
Gezwungener weiße mache ich es dann schlussendlich. Spaß hats keinen gemacht.
Musste aber sein, ich hab eh schon viel zu viele Fehlstunden dieses Jahr, da sollte ich wenigstens meine Noten einigermaßen akzeptabel halten.

Leise schleiche ich mich aus dem Haus.
Eigentlich unnötig.
Es ist nur Oli zuhause und den kümmerts net was ich mache.
Mit dem Bus fahre ich dann in die Klink am Südring.
Der Aufzug bringt mich dann auf die Intensiv, dort werde ich direkt in die Hygieneschleuse geschickt.
Händewaschen, Haare zusammenbinden und so einen gelben Overall anziehen.
Dann darf ich zu Mama.
Nur noch die Tür trennt uns.

Ich schlucke schwer.
Diesen Anblick habe ich mir schon öfters in den letzten Monaten angekuckt und jedesmal ist es schlimmer.
Es fühlt sich einfach falsch sie nur anzustarren und nichts tun zu können.
Warum kann ich nicht sowas wie Wunderheilung oder so?
Oder einer dieser Heilungszauber aus Harry Potter?
Würde ihr eine Phönixträne helfen?
Hoffentlich.

Durch den Beatmungschlauch wird in regelmäßigen Abständen Luft in ihre Lungen gepresst.
Dadurch hebt und senkt sich ihr Brustkorb.
Es vermittelt wenigstens den Anschein das sie noch richtig lebt.
Auf dem Monitor zeichnet die neongrüne Linie ihre Kurven, immer schön im Rhythmus.
Ihre Augen sind mit Pflasterstreifen zu geklebt.
Ich greife nach ihrer Hand, sie ist eiskalt.
Die Haut leichenblass.
Am Handgelenk spüre ich ihren Puls.
Sie lebt.
Auch wenn es nicht so aussieht.

In einer Ecke steht noch ein Stuhl, zitternd ziehe ich ihn mir ran.
Dann fange ich an zu erzählen.
Alles was mir gerade in den Sinn kommt, was gerade so los ist auf der Welt, wie es in der Schule läuft.
Auch über Luna erzähle ich ihr alles.
Wie Luna gesagt hat, es tut gut sich es von der Seele zu reden.
Jetzt tue ich das, so wie über Lenia vor gut anderthalb Monaten.
Auch von Josh erzähle ich ihr.
Der hat sich im übrigen schon ewig nicht mehr gemeldet.
Warum auch. Wirklich Kontakt konnte man das ja nie nennen.
Unsere Chats bestehen wenn überhaupt aus 'Hey' und den Standart Sachen: 'Wie geht's' ,' Was machst du?' usw.
Er hat mich zwar ganze zweimal in der Klink besucht aber da hat er sich entweder ausgeheult oder wir waren beide am Handy.
Beim Telefonieren habe ich ihm meistens nur beim Zocken zugehört.

"Kira?"
Ich schrecke hoch.
"Hm?"
Vor mir steht Linda, einer der Intensivschwestern mit der ich mich einigermaßen gut verstanden habe während meinem letzten Intensivaufenthalt.
"Die Besuchszeit ist leider vorbei, ich müsste dich bitten zu gehen"
Ich nicke leicht und stehe auf.

Zurück in der Hygieneschleuse wird mir der Overall wieder abgenommen.
Sofort begebe ich mich wieder zur Bushaltestelle.
Als dann zehn Minuten später der Linienbus um die Ecke biegt, sehe ich direkt das er dezent überfüllt ist.
Och nö. Bitte nicht.
Leider doch.
Also quetsche ich mich umständlich an mehreren Leuten vorbei zu einem noch freien Sitzplatz.
Wundert mich eigentlich das der noch frei ist.
Kurz bevor ich mich draufsetzen kann, bemerke ich warum da niemand sitzt.
Er ist komplett mit Kotze bedeckt.
Angewidert ziehe ich die Nase hoch.
Bäh.
Warum hat das noch niemand weggemacht?!
Schlagartig wird auch mir schlecht.
Mit Blut oder so habe ich sonst kein Problem, nur mit Erbrochenem.
Da kommt es mir auch hoch.
Also doch stehen.
Supi.
Nebem dem unerträglichen Gestank kommt jetzt auch Alkohol dazu.
Ausgehend von dem Mann neben mir.
Auch als 'medizinisch Ungeschulte' Person sehe ich sofort das der komplett dicht ist.
Hat der da etwas hingekotzt?

Ich weiß schon warum ich den ÖPNV hasse.

Als ich zuhause ankomme sind nur Oli und Jacky da, der Rest arbeitet.
Besagte sitzen zusammen im Esszimmer jeweils vor ihren Laptops, auf dem Tisch sind unzählige Ordner und Blätter verteilt.
"Reste stehen im Kühlschrank, packs einfach in die Mikrowelle", brummt Oli ohne von seiner Arbeit aufzusehen.
Hunger hab ich tatsächlich, scheint aber irgewas griechisches zu sein. Eher nicht so mein Geschmack.
Egal.
Ich hab Hunger.

Hinter mir stöhnt Jacky auf einmal auf.
Erschrocken drehe ich mich um.
Oli mustert sie nur belustigt.
"Sei froh das du noch nicht in dem Alter bist wo man sich mit so Sachen wie Steuererklärung rumschlagen muss", seuftzt sie zu mir.
Jo da könnt sie Recht haben.
Mama hat das auch nie gern gemacht.

Da meldet sich die Mikrowelle mit einem  Pling.
Den dampfenden Teller stelle ich auf einen Untersetzer, angel mir Besteck aus der Schublade und setze mich damit an den Tisch.
Die Unterlagen schiebe ich ein Stück zur Seite.


Asds FF//Im Schatten des LichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt