Kapitel 1

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Harry POV

Ich erwachte am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen. Ein Dauerzustand der nicht dem Alkohol geschuldet war, denn ich trank schon seit Monaten keinen einzigen Tropfen mehr.

Früher war ich kein Kind von Traurigkeit gewesen, was diese Art des Genussmittels anging. Auch leichtere Drogen hatte ich probiert. Gerade in Bezug auf die Schreiberei neuer Songs hatten wir ein bisschen herum experimentiert, denn so ein Rausch konnte tatsächlich inspirierend sein.

Nachdem ich mir aber unter Einfluss von halluzinogenen Pilzen die Zungenspitze abgebissen hatte, beschloss ich das Drogen doch nichts für mich waren und ließ fortan die Finger davon.

Inzwischen war Sport, vor allem das Laufen, meine Droge. Jeden Tag lief ich mehr und immer wieder und wieder durfte ich mir anhören, dass es zwar gut war Sport zu machen, ich es aber übertreiben würde.

Mein Handy piepste und ich sah auf die Nachricht die eingegangen war.

- Ich meinte das gestern Abend ernst, Harry! Wir machen uns alle Sorgen um dich. Bitte, wenn du nicht mit uns sprechen willst, sprich mit deiner Familie oder den Jungs von 1 D. Wir können es uns nicht weiter ansehen, wie du uns und allen anderen den glücklichen Harry vorspielst, den es aber gar nicht gibt. Haben dich lieb, Mitch und Sarah-

Für einen Moment schloss ich die Augen, musste mich sammeln. Eigentlich hatte ich gedacht meine Fassade inzwischen so perfektioniert zu haben, dass mir auch meine engsten Freunde nicht dahinter schauen konnten. Leider war mein Gitarrist jedoch unglaublich empathisch und schien die Mauer gar nicht wahrzunehmen, die ich um mich herum errichtet hatte.

Ich entsperrte den Bildschirm, überlegte was ich darauf antworten sollte. Ich fuhr mir einmal mit der Hand durch mein Gesicht, wischte die Überreste des Schlafs aus meinen Augenwinkeln, ehe ich ein paar Worte eintippte.

- Es ist unglaublich süß, wie viel Gedanken ihr euch über mich macht, aber das ist wirklich nicht nötig. Vielleicht bin ich im Moment nicht so gut drauf, aber das geht vorüber. Ich möchte, dass ihr euer Glück genießt und nicht an mich denkt. Ich komme klar, versprochen. Eine Umarmung für Euch Harry-

XXX

Den Tag verbrachte ich mehrheitlich damit mich erst beim Joggen und danach in meinem Fitnessstudio auszupowern. Ich hatte heute keine Termine und genoss den Schmerz, den meine überbeanspruchten Muskeln aussandten, als ich meine 150 Situps hinter mich gebracht hatte.

Schnaufend setzte ich mich auf, wischte mir mit meinem Handtuch den Schweiß von der Stirn, als ich meine Haustürklingel hörte.

Mit einem leisen Stöhnen erhob ich mich, ging die Stufen aus dem Keller nach oben um kurz danach in das grinsende Gesicht von Liam zu schauen.

„Was willst du denn hier?", fragte ich erstaunt, doch er antwortete gar nicht und schob sich einfach an mir vorbei.

„Ich war gerade in der Gegend und dachte ich komme mal vorbei.", murmelte er und ließ sich im Wohnzimmer auf die Couch fallen.

„Meinst du nicht, dass du es mit deinem Fitnesswahn etwas übertreibst?", er deutete auf meinen freien Oberkörper, der noch immer leicht mit Schweiß überzogen war und die Muskeln zeigte, die ich in den vergangenen Monaten aufgebaut hatte.

„Nein, ich übertreibe nicht. Der Sport tut mir gut.", gab ich nur kurz zurück, bevor ich mir mit dem Handtuch über das Gesicht wischte.

„Du kennst dich ja aus, nimm dir was zu trinken aus dem Kühlschrank oder der Bar. Ich geh erst einmal duschen.", sagte ich noch immer kopfschüttelnd, über den plötzlichen Besuch und verschwand.

XXX

Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, saß Liam mit seinem Handy in der Hand da, legte es jedoch sofort weg, als ich mich gegenüber fallen ließ.

„Was verschafft mir nun die Ehre?", fragte ich mit zusammen gekniffenen Augen und musterte mein ehemaliges Bandmitglied genau. Er war noch nie einfach so ohne Ankündigung vorbei gekommen und sein ertappter Gesichtsausdruck sprach ebenfalls Bände.

„Na ja, ich konnte ja gestern nicht dabei sein, bei deiner Premiere und da dachte ich...", begann er, doch ich lachte nur leise auf.

„Die Wahrheit, Liam. Du warst noch nie gut im Lügen.", gab ich zurück und seine Wangen färbten sich leicht rosa, ehe er sich räusperte.

„Es stimmt schon, ich wollte nach dir sehen. Na ja und vielleicht hat mich Mitch angerufen und gebeten...", die letzten Worte waren ganz leise und ich schnaufte einmal tief durch.

„Warum zum Geier könnt ihr nicht alle kapieren, dass ich weder eure Hilfe will, noch sie brauche?", meine Stimme klang garstiger als ich wollte und Liam seufzte.

„Harry, wir machen uns doch nur Sorgen.", gab er zurück, ganz der Banddaddy von früher.

„Das ist ja auch lieb und ich find es auch toll, aber es ändert nichts. Nichts wird an der Situation was ändern können. Nicht du, nicht Mitch oder Sarah, niemand kann das.", ich merkte wie ich mich in Rage geredet hatte und in meine Haare griff.

Liam sah mich aufmerksam an, sagte erst einmal gar nichts.

Ich schüttelte nur den Kopf, zuckte dann mit den Schultern. „Es ist wie es ist."

Die braunen Augen schlossen sich einen Moment, ehe er etwas sagte, was mir eine Gänsehaut verschaffte.

„Es ist schlimm sehen zu müssen, dass du dich selbst verloren hast und keiner von uns etwas dagegen getan hat. Du glaubst nicht, welche Vorwürfe ich mir deswegen mache."

XXX

Nach diesen Worten hatten wir lange dagesessen und geschwiegen. Wir hingen beide unseren Gedanken nach und es tat mir weh, dass er sich verantwortlich fühlte. Das er meinte, etwas an der Situation hätte ändern zu können.

„Liam, bitte.", sagte ich irgendwann und er sah auf. „Keiner hätte es verhindern können. Nachdem, du weißt schon passiert ist, ging es ganz schnell. Niemand hätte die Macht dazu gehabt, es aufzuhalten, es war einfach die Konsequenz aus den Vorkommnissen. Ich funktioniere, so wie es alle wollen. Ich bin der, den alle sehen wollen. Mein Herz interessiert doch niemanden, nicht Den den es interessieren sollte. Er hat es raus gerissen und mitgenommen. Nie wieder werde ich jemandem vertrauen können. Ich habe vertraut, so sehr und ich habe alles verloren. Liam, soll ich ehrlich sein?", ich wusste nicht woher mein Redefluss kam, warum ich auf einmal das Bedürfnis hatte all meine Gefühle offen zu legen. Vielleicht tatsächlich, weil ich solange alles nur in mich rein gefressen hatte.

„Natürlich, Harry.", sagte er und lächelte mich aufmunternd an.

„Wenn ich ehrlich bin stand mein Leben mehr als einmal auf der Kippe. Ich konnte einfach nicht mehr danach. Aber ich hatte nie den Mut es durchzuziehen."

Ich blickte nach oben, sah wie sich Tränen in den Augen meines Gegenübers gebildet hatten.

„Es tut mir leid, Liam. Ich hoffe ich habe dich nicht zu sehr geschockt. Aber ich werde es auch nicht noch einmal versuchen. Das Leben ist wie es ist. Ich ziehe es durch und irgendwann wird es dann vorbei sein. Was ist das Glück eines Einzigen wie mir wert, gegen alle da draußen die glücklich sind, wenn ich funktioniere?", ich sah auf meine Schuhe und hörte ein leises Schluchzen.

Als ich aufsah konnte ich den Körper mir gegenüber beben sehen und so stand ich auf, setzte mich neben ihn und drückte den kleineren Körper an mich.

„Es ist in Ordnung. Ich habe mich damit arrangiert, Payno. Wirklich, mach dir keine Gedanken. Lass mich einfach so weiter machen."

Escape Room (L.S.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt