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Die Befreiung des roten Vogels

Ein kalter Dezember hatte sich über Gondor gesenkt und Minas Tirith unter einer dicken Decke Schnee in den Winterschlaf geschickt. Das Leben dort war weitestgehend zur Ruhe gekommen, der Neuschnee der letzten Nacht glitzerte nahezu unberührt in der frühen Morgensonne. Unterbrochen wurde die makellose Pracht nur von vereinzelten Fährten der Wildtiere und den Spuren mehrerer Reiter, welche auf die Pelennor-Felder hinaus führten.

Hoch aufgerichtet saß die Frau im Sattel, den Blick konzentriert in die Ferne gerichtet. Die graue Stute hatte die Ohren gespitzt und blickte ebenfalls unbewegt auf die schneebedeckte Weite. Das Haar wogte im leichten Wind, der über die Ebene zog, ansonsten hätten man die zwei auch für eine Statue halten können, derart still standen sie da.

Das Leuchten des roten Umhangs war bestimmt über fünf Meilen weit zu sehen, so sehr hob sich der Farbtupfer von der verschneiten Umgebung ab. Das Pferd scharrte einmal ungeduldig mit dem Huf, doch ein knappes Schnalzen ihrer Herrin brachte die graue Stute dazu, wieder unbewegt dazustehen.

Die Prinzessin war ohne Frage schön, gar hinreißend, mit ihrem kohlrabenschwarzen Haar, welches ihr zu einem dicken Zopf geflochten über die Schulter hing. Der rote Mantel, eine Spur kräftiger als ein guter Rotwein sein sollte, betonte den Kontrast ihrer hellen Haut zu dem dunklen Haar hervorragend. Ganz genau, wie es das Ballkleid am Vorabend vermocht hatte, seine Trägerin aus der Masse der adeligen Damen herausstechen zu lassen.

Lothíriel war ganz die vornehme Tochter des Fürsten von Dol Amroth, wie man es von einer Frau ihres Standes erwarten konnte. Ihr Benehmen war allzeit tadellos, sie besaß perfekte Manieren und hatte sich im Umgang mit anderen Adelshäusern als ausgesprochen diplomatisch erwiesen. An fähigen Heiratskandidaten mangelte es der Dame gewiss nicht.

Der König Rohans war sich bewusst, dass auch er in absehbarer Zeit eine Braut würde wählen müssen, um seinen Pflichten als König gerecht zu werden. Es war jedoch nicht alleine die Verpflichtung einen Thronfolger zu zeugen, sondern auch ein tief in ihm wurzelnder Wunsch, nicht länger alleine zu sein.

Seit seine Schwester Éowyn mit dem Truchsess von Gondor vermählt und nach Ithilien gezogen war, sein Onkel Théoden und sein Vetter Théodred den Tod gefunden hatten, fühlte Edoras sich leer an. Der neue Stand als König hatte sein Übriges getan und ihm auch noch der Augenhöhe seiner Freunde beraubt.

So wenig es Éomer auch behagte und so wenig er selbst es wollte, der Titel hatte eine Distanz mit sich gebracht, die größer war als die Erinnerung an all die Abende, die sie gemeinsam ums Feuer gesessen und Geschichten ausgetauscht hatten. Zudem ritten seine Éored nun unter dem Kommando eines anderen Marschall, während er selbst viel Zeit in Edoras verbrachte.

Eine Frau an seiner Seite würde endlich wieder Leben und Freunde in sein Leben bringen, hoffte Éomer. Sie würde die Pflichten der Königin übernehmen und ihn abends mit offenen Armen willkommen heißen, wenn er müde heim kehrte. In ihrem Schoß würde er Trost finden, in ihrem Arme Wärme, die das Herz berührt.

Es sollte aus Liebe geschehen, da war sich der König sicher. Eine Ehe aus Liebe geboren war das einzig Richtige. Sein Onkel hatte nur ein einziges Mal geheiratet und dies obwohl seine Frau bereits in jungen Jahren im Kindbett gestorben war. Auch Éomers Mutter hatte in ihrem Mann die große Liebe gefunden und war seinem Vater sogar in den Tod gefolgt.

Selbst seine kleine Schwester hatte diese Liebe entdeckt und jedes Mal, wenn Éomer sie auch nur an Faramir denken sah, strahlten ihre Augen wie die aufgehende Sonne. Éomer freute sich für Éowyn. Sie hatte es sich nach den Jahren der Bedrückung und Sorge um ihren kranken Onkel wahrlich verdient. Doch wünschte der Rohir sich auch selbst solch Glück, jemanden lieben zu dürfen.

Mittelerde Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt