26

49 9 1
                                    

Das Licht der Hoffnung


Seit Tagen hatte man kein Himmelblau mehr über der Stadt Minas Tirith gesehen, immerzu verdeckte eine dichte graue Wolkendecke die Wintersonne. Draußen war es bitterkalt, doch Bergil saß am wärmenden Kaminfeuer, in welchem die Holzscheite knisterten und knacksten. Eine dicke Wolldecke über dem Schoß blickte er aus dem Fenster auf den kleinen Innenhof hinaus, in dem eine ganze Schar Kinder mit dem frisch gefallenen Schnee spielte, darunter auch seine eigenen Enkel. Ein Lächeln huschte über die Züge des alten Mannes, da er ihren fröhlichen Stimmen lauschte und seine Gedanken in Zeiten, lang vergangen, als er selbst noch so jung gewesen war, wanderten.

Nicht alles dieser Tage war gut gewesen, einige Erinnerungen hätte er gerne vergessen, quälten sie ihn doch auch nach all den Jahren noch in manchen Nächten, da er schweißgebadet aufwachte, das Bild angeschlagener Köpfe, deren Lider ihnen entfernt worden waren, vor Augen. Im Ringkrieg hatten sich schreckliche Dinge ereignet, die ihn, obwohl oder weil er noch ein Kind gewesen war, unverbrüchlich in die Seele eingebrannt hatten.

Mit Schaudern schob Bergil diese unschönen Gedanken beiseite, doch blieb er mit seinen Erinnerungen noch immer in der Zeit des Ringkrieges. Denn die im Schnee tobenden Kinder erinnerten ihn aufgrund ihrer Körpergröße und des fröhlichen Gemütes an den Halbling, welchen er damals getroffen hatte. Peregrin Tuk war ihm damals am alten Gästehaus begegnet und es hatte nur wenig Zeit bedurft, da hatten sie sich bereits angefreundet. Noch heute dachte Bergil wohlwollend an den Hobbit.

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als die Tür mit einem Mal aufgerissen wurde und Bergils Enkelkinder herein stürmten, einen kalten Windstoß und Schneeflocken mit sich hereinbringend. Erschrocken fuhr der alte Mann zusammen, war er doch tief in seiner Erinnerung versunken gewesen. Unter lautem Geschwätz streiften die Kinder ihre nassen Stiefel und schneebedeckten Mäntel ab, um sie vor dem Kamin zum Trocknen aufzuhängen. Dabei blieben kleine Wasserpfützen auf dem Boden zurück, die Bergils Frau Marilla gewiss mit einem Tadel bedacht hätte, doch diese war noch außer Haus und kaufte auf dem Markt die himmlischen Gewürze, die es bloß zur Winterzeit in Minas Tirith gab, wenn Händler aus Harad gekommen waren. Noch eine Errungenschaft, die der Ringkrieg mit sich gebracht hatte, überlegte der alte Mann, denn zuvor waren die Handelsbeziehungen Gondors in die südlichen Regionen äußerst schwierig gewesen und er selbst hatte in seiner Jugend nie etwas wie "Schokade" oder "Citroen" zu essen bekommen.

„Was macht ihr nur wieder für einen Lärm?", tadelte Bergil, doch war er nicht wirklich böse auf die Kinder. Steif erhob sich der frühere Soldat und packte den jüngsten seiner Enkel, um diesen über seine Schulter zu werfen, was mit einem lauten Glucksen beantwortet wurde.

„Soll euer Großvater mal in der Küche nachsehen, ob er etwas Milch findet? Wenn eure Großmutter zurück kehrt, kann sie dann ihre himmlischen Gewürze hineinmischen." Er musste laut sprechen, damit man seine Stimme unter dem Lachen des Jüngsten noch hören konnte. Bei der Vorstellung an eine heiße Schokade lief auch ihm selbst das Wasser im Munde zusammen.

Ein vielstimmiges "Ja!" erhob sich und mit einem nachsichtigen Lächeln im Gesicht stellte der Mann seinen Enkel wieder auf die Füße, bevor er in Richtung Küche ging, wo seine Schwiegertochter bereits das Abendessen zubereitete. Ein wunderbarer Geruch nach geschmorter Gans und Klößen aus Kartoffeln durchzog bereits die Küche, das Festtagsessen würde gewiss himmlisch!

Seine vier Enkel und drei ihrer Freunde strömten plappernd hinterdrein, erzählten laut durcheinander redend etwas von Schneemännern und einer wilden Schneeballschlacht mit den Nachbarskindern.

Bergil warf der Mutter der Kinder ein warmes Lächeln zu und begann, Töpfe zurecht zu rücken. Schließlich fand er die Milch und hängte diese hoch oben übers Feuer, um sie langsam und schonend zu erhitzen. Der Mann wandte sich zu der Kinderschar um.

Mittelerde Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt