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Ein Festschmaus für alle

Am Vortag der Wintersonnenwende zog ein solch köstlicher Duft durch den Beutelhaldenweg, dass manch ein Vorbeiziehender trotz klirrender Kälte kurz verharrte, den Ursprung der Verlockung zu erforschen.

Tief verschneit lag das Auenland da, die sanften Hügel glitzerten in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne. Wer nicht unbedingt vor die Tür musste, verblieb in der Behaglichkeit seines Heimes, doch der morgige Tag versprach ein reges Treiben zwischen den Bewohnern von Hobbingen mit sich zu bringen. Wie jedes Jahr würde inmitten von Familie und Freunden die längste Nacht des ganzen Jahres gebührlich willkommen geheißen werden, markierte sie doch den Wendepunkt, da es wieder stetig auf das Frühjahr zugehen würde.

Versunken stand Sam am Fenster und starrte in die weiße Pracht hinaus. Ein prasselndes Kaminfeuer wärmte die große Küche, Herzstück der gemütlichen Höhle gleich unterhalb von Beutelsend. Den alten Ohm plagte wieder einmal die Gicht, die Frau Mutter hingegen hatte bereits fleißig die zahlreichen Gänge des Festmahls bereitet, das sich morgen von früh bis spät ziehen würde.

Wie üblich hatten die Gamdschies Kinder und Kindeskinder geladen, gemeinsam die mit reichlich Speis und Trank erfüllten Feierlichkeiten zu begehen. Der Schnee jedoch war ungerührt vom Himmel gefallen und hatte so manch eine Planung zerschlagen. Die Brandyweinbrücke war kaum mehr zu passieren, so dass die Zahl der Gäste sich deutlich verringert hatte. Der Vielfalt an Speisen sollte dies jedoch keinen Abbruch tun, und Sam hatte sich bereits an vielen Stellen davonüberzeugen können, dass eine jede aufs Trefflichste gelungen war.

Die größte Freude, ein gewaltiger Kuchen der köstlichsten Art, stand nun einzig noch aus, und zu Sams Entzücken war dessen Zubereitung in seine Hände gefallen.

Die gute Frau Mutter war gemeinsam mit Goldblume, der jüngsten Tochter der Gamdschies, der von Grippe geplagten Familie einer Freundin zur Hilfe geeilt und hatte ihren jüngsten Sohn gebeten, sich des Kuchens anzunehmen. Lieber noch wäre dieser den Hang hinauf geeilt, den Herrn Frodo zu besuchen, der seit dem rätselhaften Verschwinden des alten Meister Beutlins alleine in Beutelsend über verbliebene Schätze herrschte. Vermutlich wäre er dort auf Merry und Pippin gestoßen, die in vergnüglicher Runde zusammen mit Frodo die Feierlichkeiten auf ihre Weisebegehen würden.

Das festliche Gebäck war jedoch ein trefflicher Ersatz für jede Gesellschaft, und Sam wurde nicht müde, den süßen Teig auf seinen Geschmack zu prüfen. Nüsse und getrocknete Früchte aller Art, feinste Gewürze und seine Hingabe ließen ein Meisterwerk entstehen, bei dessen Anblick der Hobbit beinahe wieder schwach geworden wäre.

„Morgen", mahnte er sich streng und zog seine Hand rasch wieder zurück.

Ein zartes Pochen vom Fenster her ließ ihn aufblicken. Da war sie wieder, die freche Bande von Spatzen, die vor wenigen Tagen erst den köstlichen Nusskuchen der Frau Mutter ruiniert hatte, den sie leichtsinniger Weise auf dem Fenstersims zum Abkühlen aus den Augen gelassen hatte. So hatten sie zum Tee mit einfachem Brot Vorlieb nehmen müssen, was Sam ganz und gar gegen den Strich gegangen war.

Munter zwitschernd tummelten sich die braunfleckigen Federbälle vor der mit feinen Eisblumen geschmückten Scheibe, wirbelten den Schnee auf und spähten immer wieder mit kleinen, schwarzen Knopfaugen in die warme Stube hinein.

"Glaubt nur nicht, dass dies für euch bestimmt ist", brummte der Hobbit und schob sein kostbares Backwerk aus dem Blickfeld der gierigen Tierchen.

Seit dem Tag, da der erste Schnee vom Himmel gefallen war, war er nicht geizig gewesen mit den goldenen Garben, von denen er stets einige für den Winter bewahrte, einzig den Vögeln als Freude gedacht. Ihr fröhliches Zwitschern war ihm seit jeher wie Musik, wenn sie eifrig durch die dünnen Halme turnten und geschickt die Körner aus den Spelzen pickten.

Warum ihnen dies nun nicht mehr gereichte und sie plündernd über das feine Gebäck herfallen mussten, war dem guten Sam ein Rätsel. Vielleicht hatte er es übertrieben, hatte ungewollt Maßlosigkeit in den Tierchen erweckt. Nun, morgen würden auch sie wieder ihre Körner erhalten, damit musste es aber auch gut sein.

Eisig kalt zog die Nacht durch das Auenland, wich nur zögernd dem klaren Morgen.

Als Sam in die bereits festlich geschmückte Küche trat, fiel ihm sogleich voller Stolz sein duftendes Werk ins Auge. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, und wieder war die Versuchung groß. Da fiel sein Blick auf den Fenstersims. Zahlreiche kleine Krallen hatten ihre Spuren in den Schnee gegraben, doch einer der Spatzen saß immer noch dort.

„Wie hartnäckig sie doch sind", dachte Sam bei sich und wollte das aufdringliche Tier durch ein Klopfen an der vereisten Scheibe vertreiben. Es regte sich jedoch nicht, und nach einer Weile ging ihm dann auf, dass der kleine Vogel des Nachts erfroren war. Stumm starrte Sam auf das fedrige Knäuel hinab. Auf dem Gartenzaun hielten die anderen Spatzen Wacht, dicht aneinander gedrängt und die Federn geplustert.

Bald saßen die Gäste versammelt zu Tisch, die Kinder vor Wonne laut jauchzend. Ein Gang folgte auf den nächsten, dass ein jeder auf seine Kosten kam. Bis zur Teezeit zog sich die Mahlzeit, und kaum dampfte das feine Gebräu in den Tassen, da die Frau Mutter sich Sam zuwandte, der ungewohnt schweigsam auf seinem Platz verweilte, ein heimliches Lächeln in seinem Gesicht.

„Nun, Sam, willst du nicht dein Backwerk auftragen?"

Da zog er ein verdrießliches Gesicht.

"Verunglückt ist mir das gute Stück, fragt nur nicht, wie dies vonstatten ging!"

So gab es zum Tee nur schlichten Kuchen, was der Vergnüglichkeit jedoch keinen Abbruch tat.

Verstohlen blickte Sam zum Fenster hinaus. Gutverborgen am äußersten Rand des Gartens tobten die Spatzen, und ihreaufgeregten Stimmen verstummten erst dann, als sich langsam die lange Nachtüber die Lande senkte.

geschrieben von LaraniEleyja

Mittelerde Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt