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Ein Gast im Winter

„Tom Bom, dongelong, Tombidom!"

Lautes Trällern durchbrach die winterliche Stille des alten Waldes. Die Stimme scholl zwischen schneebedeckten Bäumen, Büschen und Gestrüpp hindurch, weithin hörbar für jedes Tierchen, dass dem Winterschlaf trotzte.

Auf einer Lichtung am Gipfel eines kleinen Berges hatten bis eben ein paar wenige Vögel, Rotkehlchen, Spatzen, Amseln und einige Meisen, unter dem Schnee nach ein paar Körnern gesucht. Eine karge Kost war alles, was sie in diesen kalten Zeiten, voller Schneestürme, Stille und kalter Winde finden konnten. „Dongelong!", rief es wieder durch den Wald und die Vögel stoben davon und suchten Zuflucht in den umliegenden Bäumen. Nur ein Einziges von ihnen blieb sitzen, ein kleines Rotkehlchen, aufgeplustert und zitternd, zu müde in der Kälte, um zu fliegen.

Ein Mann erschien zwischen den Bäumen, stapfte munter und schnaufend den Hang zur Lichtung empor. Auf dem Hut wippte eine blaue Feder fröhlich im Takt der hüpfenden Schritte. Tiefe Spuren hinterließen die hellgelben Stiefel in der hoch liegenden weißen Decke.

Auf der Lichtung angekommen, stemmte er die Hände in die Hüften und verschnaufte etwas. Sein rötlicher Bart, bedeckt mit Eiskristallen, zitterte beim Heben und Senken des Brustkorbes. Er sah sich um und lachte laut auf. „Ach, ihr kleinen Vöglein, kommt ruhig wieder her! Der alte Tom macht euch doch nichts, lasst seine Lieder euch nicht stören. Tom genießt nur den Hall des Waldes, wenn er seine Rufe hören lässt.", rief er mit dröhnend dunkler Stimme.

Ein paar der Vögel kamen wieder herunter geflattert und nahmen ihre Suche nach Nahrung wieder auf. Doch manche beobachteten das Ganze lieber aus der sicheren Entfernung ihrer vereisten Zweige. Tom stapfte zu den Vögeln und ließ sich schnaufend auf einen Stein fallen. „Kommt schon herunter!", forderte die Zauderer auf. „Tom verschnauft nur ein wenig. Bald ist es Abend, dann fällt Dunkelheit über den Wald und das Tal der Weidenwinde und Tom muss sich sputen, heim zu kommen, zu seiner Frau, seiner Goldbeere."

Tom verfiel in Schweigen und beobachtete die pickenden Vögel. Goldbeere, seine hübsche schöne Frau, Tochter der Flussfrau... Wie sehr er sich jeden Tag freute von seinen Wanderungen durch sein Reich zu ihr zurück zu kehren. Doch war im Frühling und Sommer die Freude doch immer am größten, brachte er ihr dann doch jeden Tag Blumen mit, meist Wasserlilien, die sie so liebte. Doch nun, nun im Winter gab es keine Geschenke für Goldbeere. Seine Liebste freute sich so sehr auf den Frühling. Der Winter wurde ihr immer lang, wenn der Bach unter seiner Eisdecke schlief und keine Blumen blühten, sie zu erfreuen.

Er seufzte, ein äußerst seltener Laut aus Toms Mund. Dann lachte er gleich auf. „Ach, Tom ist ein alter Narr, meine Lieben!", sagte er zu den Vögeln. Eine Kohlmeise hob den Kopf und sah ihn an. „Tom will Blumen für seine Goldbeere! Aber wo soll er nun im Winter Blumen finden?", erklärte er dem Vogel, „Kein Geschenk kann er heute seiner Liebsten bringen... Oder kannst du mir da helfen, mein fedriger Freund?"

Der Vogel antwortete nicht. Sicher, anderes beschäftigt einen Vogel im Winter als Blumen und Geschenke. Tom sah bedrückt auf seine Stiefel. Da fiel ihm ein gewisses frierendes Rotkehlchen ins Auge. „Na nu!", rief er aus, „Wer bist denn du, mein Freund?" Seine Hand griff hinab und umschloss das kleine Federbällchen, das bereits erste Eiskristalle ansetzte.

„Willst du denn nicht mit den anderen fröhlich picken?", fragte er, „Ist dir etwa zu kalt?" Einen Moment dachte er nach, betrachtete das kleine Bündel in seiner Hand, zitternd vor Elend. Da kam ihm eine Idee. „Du sollst mit mir nach Hause kommen!", verkündete er, „Hier, in meiner Mantelfalte ist ein Platz für dich, da kannst du dich wärmen. Goldbeere wird dich gesund pflegen und vielleicht singst du ja ein wenig für sie, wenn es dir besser geht."

Vorsichtig barg er den Vogel in seinem Mantel, meinte noch, ein zustimmendes „Tschilp!" zu hören.

Tom stand auf und klopfte sich sachte den Schnee von den Kleidern. „Passt auf euch auf, meine Lieben!", sagte er den Vögeln, „Esst ausreichend und habt einen sicheren Ort zum Schlafen!" Dann wandte er sich zum Gehen, leise vor sich hin summend und vorsichtig auftretend, um seine kostbare Fracht nicht zu verschrecken.

Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Tom Bombadil das Tal der Weidenwinde verließ und die Kuppe zu seinem Haus empor stieg. Licht von Kerzen und Herdfeuer schien flackernd durch die Fenster, von denen heute ein seltsamer Glanz ausging. Rasch hatte er die Tür erreicht und öffnete sie sachte. Drinnen im Raum stand seine Goldbeere, in ein weißgrünes Kleid gekleidet, die blonden Haare zu einem langen Zopf zusammengefasst und deckte eben den Tisch für die Abendmahlzeit. Leises Singen erfüllte die Stube und vermischte sich mit dem knisternden Feuer.

„Dunkel wird es über Wald und Fluss und siehe da, Tom Bombadil kehrt heim.", sprach Goldbeere leise und drehte sich zu ihm um. Mit ein paar Schritten war Tom bei ihr. „Meine liebe Goldbeere.", grüßte er sie sanft. Ihre hellen Augen leuchteten warm. „Eine Überraschung habe ich heute für dich.", sagte sie und wies an die Fenster, deren Glitzern Tom vorher bereits aufgefallen war. Neugierig trat er näher und lachte freudig auf.

Wunderschön und filigran rankten sich Blumen aus feinstem Eis an den Scheiben entlang, bedeckten die Fenster mit ihren zarten Mustern und funkelten im Licht der Kerzen. „So oft brachtest du mir schon Blumen, nun schenke ich dir welche, dich zu erfreuen. Denn bin ich nicht Kind der Wasserfrau und habe Macht über Wasser und damit auch Eis?", erklärte Goldbeere. Sie trat neben ihn und legte einen schlanken Finger an die Scheibe, wo sogleich eine weitere Blume erblühte.

Tom lachte erneut. „Wahrlich, sie sind wunderschön und freuen mich umso mehr, da ich heute schon daran dachte, dir im Winter keine Blumen bringen zu können..." Vorsichtig griff er in seine Mantelfalte und holte das zerzauste Rotkehlchen hervor. „Auch ich habe etwas mitgebracht, einen kleinen Freund. Ganz kalt war ihm und ich glaube, er ist krank... Also habe ich ihn mitgebracht, dass er in deiner Pflege wieder zu Kräften kommen soll."

Sacht streckte sie dieHände aus und nahm den Vogel entgegen. Fröhlich lachend betrachtete Goldbeereihn. „So sei denn willkommener Gast in Toms Haus, lieber Vogel! Komm, wir habenreichlich Körner und Wasser und Honig, um dich zu stärken, und bleiben darfstdu solange du willst."

Geschrieben von Varda_92

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