Kapitel 16

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Da heute mein freier Tag war, war ich wie geplant noch zur Lichtung geritten und hatte dort noch ein wenig mit Bogen und den Dolchen geübt. Allmählich wurde es immer dunkler. Die letzten Sonnenstrahlen erhellten noch die Lichtung, doch in einigen Minuten würde diese auch in Dunkelheit getaucht werden. Ich würde erst nachts wieder zurückreiten, da ich hoffte, hier Micheal zu treffen. Ich konnte mir nicht sicher sein, dass er zur Lichtung kommen würde, aber ich hatte so ein komisches Gefühl, dass das der richtige Ort war.

Gerade als ich mich hinsetzten und den Geräuschen des Waldes lauschen wollte, erklang eine allzu bekannte Stimme. ,,Woher weißt du von der Lichtung?", fragte ich Micheal schmunzelnd. Keine fünf Sekunden später stand er auch schon vor mir. Er trug dieses Mal aber eine Uniform und ein Schwert an seiner Seite, doch das Wappen darauf hatte ich noch nie gesehen..... Oder doch? Langsam dämmerte es mir.... Es war dieselbe Feder wie auf einem meiner Dolche. Aber wieso? Das war wohl noch eine Frage, die ich mir nicht beantworten konnte. Micheal sah in seiner Rüstung aus wie ein gefürchteter Krieger! ,,Ich bin hier schon des Öfteren vorbeigekommen. Außerdem war ich gerade in der Nähe und habe dich gehört.", sagte er frech grinsend, was ihm etwas Kindliches verlieh. Er sah sehr streng und ernst aus, doch diese Kleinigkeiten ließen ihn freundlicher und offener wirken. Seine weißen Flügel hatte er hinter seinem Rücken zusammengefaltet, weshalb man sie nur begrenzt sehen konnte. ,,Ich schätze mal, dass du Fragen hast.", meinte Michael, während er sich vor mir auf das Gras sinken ließ.

,,Ja. Als erstes möchte ich wissen, woher du kommst? Ich habe noch nie von Seraphim in einem der zwei Königreiche gehört.", sagte ich neugierig. Lächelnd sah mich Michael an. ,,Das liegt daran, dass wir nicht in euren Königreichen leben sondern in unserem. Du hast doch bestimmt schon einmal vom dritten Reich gehört. Amina. Dort leben wir.", erzählte er mich mit sanfter Stimme. Schockiert sah ich ihn an. Sie lebten dort, wo niemand mehr zurückkam.... ,,Wie kann das sein? Es haben schon viele versucht, nach Amina zu kommen. Doch sie sind nie zurückgekehrt.", fragte ich stotternd. ,,Das stimmt. Die Menschen, die versuchen in unser Land zu kommen, müssen erst einen Wald durchqueren, in welchem viele gefährliche Kreaturen wandeln. Bis jetzt hat es keiner deiner Leute lebend hindurch geschafft.", offenbarte mir Micheal verbittert. ,,Was sind das denn für gefährliche Tiere?", wollte ich interessiert wissen. ,,Alles Mögliche. Von Trollen und Kobolden bis zu Sirenen und Basilisken.", zählte er ernst auf. Ungläubig blickte ich ihn an. Von solchen Tieren hatte ich nur in Märchen oder Legenden gehört. ,,Wenn es solche Tiere bei euch gibt, wieso hat dann noch nie jemand in den anderen Reichen solche Tiere gesehen.", fragte ich ehrlich verwirrt, immerhin ging ich davon aus, dass diese Wesen dann auch in die anderen beiden Reiche vordringen konnten. ,,Vor vielen Jahren wurde eine Art magisches Feld erschaffen, die magische Wesen davon abhält, über die Grenze des Reiches zu gehen. Genauso wie es eigentlich meinem Volk verboten ist, in die anderen Reiche zu gehen.", erklärte er mir sachlich. Wäre er kein Seraph sondern ein ganz normaler Mensch, hätte ich ihn für verrückt gehalten. So absurd wie das klang, was er sagte, glaubte ich ihm. Doch eine Sache verwirrte mich. ,,Wieso ist es euch untersagt, unsere Reiche zu betreten?"

,,Um euch das zu erklären, muss ich euch etwas aus der Geschichte meines Volkes erzählen. Vor ungefähr 200 Jahren brach eine schreckliche Krankheit aus, woran fast mehr als die Hälfte des gesamten Volkes starb. Unsere damalige Königin machte sich heimlich auf eine gefährliche Reise, um ein Heilmittel zu finden. Als sie zurückkam hatte sie zwar kein Heilmittel, aber sie hatte eine Lösung, um die Krankheit auszurotten. Sie brachte ein Opfer, um ihr Volk zu retten. Sie gab ihr Leben, damit ihr Reich weiterleben konnte. Durch ihr Opfer, verschwand die Krankheit. Doch der König war so verletzt, dass er uns verbot jemals wieder mit den anderen Reichen Kontakt aufzunehmen, da er vermutete, dass die Krankheit von den anderen Königreichen kam.", erzählte mir Michael. Fasziniert folgte ich seinen Worten.

,,Du hast ja zugegeben, dass du mich damals verfolgt hast. Warum?", stellte ich meine nächste Frage, nachdem er geendet hatte. ,,Du sahst einer Freundin sehr ähnlich. Sie lebte mit ihrer Familie in der Hauptstadt und wir waren gute Freunde seit Kindheitstagen. Eines Tages jedoch verschwand sie und kehrte erst nach zwei Jahren wieder zurück. Nur war sie nicht allein mehr sondern hatte ein kleines Baby und dessen Vater mit dabei. Eine Woche, nachdem sie zurückgekehrt war, wurden sie überfallen, dabei kamen alle ums Leben. Jedenfalls glaubte ich das bis heute.", sagte er mit geheimnisvollem Unterton. ,,Und was hat deine Meinung geändert?", fragte ich wissbegierig. ,,Du bist der Grund. Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten und diese Augen würde ich überall wieder erkennen. Du bist Shaias Tochter.", sagte Michael erfreut. ,,Das kann nicht sein...", murmelte ich vor mich hin. Ich konnte nicht die Tochter einer Seraphim sein.... Wie war ich dann zum Waisenhaus gekommen? Lauter Fragen prasselten auf mich ein und schienen mich zu zerreißen. War ich auch eine Seraphim? Hatte ich Verwandte in Amina? War das wirklich möglich? Die Fragen schienen mir meine Luft zu nehmen. Taumelnd machte ich einen Schritt zurück und stütze mich an meiner Stute ab. Ich musste hier einfach weg. Mit tränenerfüllten Augen stieg ich auf und hörte nicht auf das, was Michael sagte.

Der Wind peitschte in mein Gesicht, während Tränen meine Wange hinunter liefen. Fragen wirbelten durch meinen Kopf und ließen mich nicht klar denken. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich mein Pferd zügelte und letztendlich abstieg. Aber es musste mindestens eine Stunde vergangen sein. Ohne es zu wissen war ich zum Schloss zurückgeritten bis zum Strand. Leise schluchzend ließ ich mich in den Sand sinken und schaute zum Mond hinauf, der mich mit seinem silbernen Licht trösten wollte. Müdigkeit bahnte sich einen Weg durch meinen Körper, ließ mich langsam die Augen schließen und für einen kurzen Moment alle Fragen vergessen.

Fluch der Engel - GebanntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt