Samstag, 05. Dezember 2020

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"Musst du so hetzen?" Ich schnaufe hinter meiner Mutter die Treppenstufen in die Höhe, wobei meine Lunge sich anfühlt als würde sie gleich ihren Geist aufgeben

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"Musst du so hetzen?" Ich schnaufe hinter meiner Mutter die Treppenstufen in die Höhe, wobei meine Lunge sich anfühlt als würde sie gleich ihren Geist aufgeben. In meiner Brust sticht und zieht es, während meine Luftröhre sich unangenehmen verengt. Wenn wir im fünften Stock angekommen sind, brauche ich vermutlich erstmal ein Beatmungsgerät. Vielleicht ist Doktor Haller so freundlich und leiht mir seins ja aus.

Eine Antwort bekomme ich von meiner Mutter nicht, doch Michael hinter mir stimmt mir ebenso schwer schnaufen zu.

Gut ich gebe zu, ich verstehe die Hektik meiner Mutter, aber ich habe trotzdem keine Lust mir die Lunge zu ruinieren. Wir sind zu spät, das sollte vielleicht noch gesagt sein. Genau 10 Minuten zu spät, für meine Mutter jedoch Grund genug die Treppen bis in den fünften Stock in einer abartigen Geschwindigkeit nach oben zu stürmen.

Als wir den vierten Stock erreichen, brennen die Muskeln in meinem Oberschenkeln wie nach einem Workout und ich nehme mir heimlich vor, während des Urlaubs mein Sportprogramm durchzuziehen. Sonst werde ich niemals fitter.

Eigentlich sollte man meinen, dass ein Hausarzt der im fünften Stock mitten in Stuttgart seine Praxis hat, einen Aufzug besitzt. Naja, das tut Doktor Haller eigentlich ja auch. Dumm nur, dass eben jener Aufzug, der sich in der Mitte des Treppenhauses nach oben kämpft, heute wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb gesetzt ist.

Als ich das Schild unten direkt hinter dem Glaseingang gesehen habe, wäre ich am liebsten wieder umgedreht. Allerdings war die eisige Kälte draußen genauso wenig verlockend wie die Treppen. Und da ich diesen verdammten Test für die Reise brauche, bleibt mir gar keine andere Wahl als hinter meiner Mutter herzulaufen.

Endlich erreichen wir den vorletzten Stock des Hauses, wo sich auch die Praxis unseres Hausarztes befindet. Micha hinter mir erreicht gerade erst die oberste Treppenstufe, da drückt Mama vor mir bereits auf die Klingel.

Meine Lunge zerbröselt mir gefühlt in meinem Brustkorb, als bereits das Surren des Türöffners ertönt und Mama den Durchgang zum unangenehmsten Test der Welt öffnet. In meinen ganzen 21 Jahren musste ich mich noch nie irgendwelchen gesundheitlichen Test stellen. Das einzige das mir das Leben erschwert hatte, waren die Mathe-Tests - und in denen war ich wirklich nie gut.

"Wir sind da!" Es beruhigt mich, dass auch meine Mutter nach Luft hächelt, während sie halbwegs anmutig vor den Tresen der Arzthelferin tritt. "Wir sind da."

Mein Stiefvater und ich schleppen uns mit letzter Kraft durch die Tür und schließen sie wieder brav hinter uns. Ich schätze, Michael brennen die Oberschenkel noch mehr als mir, denn ich mache immerhin jeden zweiten Tag ein Workout. Der einzige Sport meines Stiefvaters ist das regelmäßige Aufstehen an seinem Schreibtisch.

"Ach Sonja, wie geht es euch?"

Die Stimme der Arzthelferin kommt mir wage bekannt vor und so schiele ich an der dicken Winterjacke meiner Mutter vorbei, während ich meinen grauen Mantel öffne. Hinter dem Tresen und der Plexiglas-Scheibe sitzt eine dunkelblonde Frau, deren halbes Gesicht von einem einmal Mundschutz verdeckt ist. Trotzdem erkenne ich sie sofort.

Polarlicht [ III - 2020 ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt