Polarlicht [ III - 2020 ]

Mittwoch, 09. Dezember 2020

"Hätten wir nicht schon längst an einer Raststelle vorbeikommen sollen?" Meine Frage klingt genervter als ich eigentlich beabsichtig habe, aber ich muss wahnsinnig dringend auf die Toilette und da kann ich meinen Tonfall einfach nicht unter Kontrolle halten.

Den gestrigen Tag haben wir uns ausgeruht und vor allem geschlafen. Nicht nur unsere Fahrer waren vollkommen fertig von der Fahrt, sondern auch Mama und ich. Obwohl wir beide nur als Beifahrer in den Auto's saßen, können wir beide einfach nicht gut genug abschalten um zu schlafen. Zum Glück hat Carlotta - alias Nick's Mutter - da bessere Chancen, immerhin musste sie heute die beiden jüngeren Geschwister von Nick betreuen. 

Jetzt, wo die Dunkelheit wieder über uns liegt und wir über die Autobahn fahren, bin ich hellwach. Naja, zumindest nachdem ich bereits eingenickt war und die erste Pinkelpause unserer Fahrt verschlafen habe. Und genau das wird mir jetzt wohl zum Verhängnis, denn meine Blase drückt bereits seit geraumer Zeit. 

"Tut mir leid für alle die niemals angekommen sind, weil sie mich nach dem Weg gefragt haben." 

Ich habe Nick bereits vor über einer Stunde darum geben, am nächsten Rasthof herauszufahren und mir eine Toilettenpause zu gönnen. Und im Gegensatz zu gestern hat er mir sogar beinahe sofort zustimmt, nachdem ich meinen vorgetäuschten Besuch von Tante Rosa nochmals angedeutet habe. 

Und dennoch fahren wir noch immer gerade aus, vorbei an beschneiten Wiesen die sich neben der Autobahn befinden. Mein linkes Auge zuckt und ich kann die blubbernde Wut unter meiner Haut spüren. 

Es sind nur wenige Worte, ein dummer und vielleicht auch sarkastischer Kommentar, und doch steckt so viel mehr dahinter.

"Die Autobahn führt nur gerade aus, du musst nicht einmal abbiegen oder den verdammten Fahrsteifen wechseln. Das einzige was du tun musst, ist am nächsten Rasthof herauszufahren und mich verflucht nochmal auf die Toilette zu lassen.", brumme ich in Richtung meines Taxifahrers und kneife die Augen zusammen. Um Nick's Lippen spielt ein sadistisches Lächeln und in seinen Augen kann ich es trotz der schlechten Lichtverhältnisse blitzen sehen. 

Ich hatte es bereits geahnt, noch ehe mich die Erkenntnis trifft. Ich wusste es tief in mir bereits, als er seine Worte ausgesprochen hatte. Und dennoch macht mich seine Mimik so unfassbar wütend. 

"Du!", stoße ich anklagend hervor. "Du bist mit Absicht an der letzten Raststätte vorbeigefahren!"

Ein heißeres Lachen dringt aus Nick's Kehle hervor und er legt den Kopf ein kleines bisschen in den Nacken, während er den Blick weiterhin auf die dunkle Straße gerichtet hält. "Ach was, ich doch nicht."

Seine Worte triefen nur so vor Ironie und ich kann mich nicht zurückhalten. Ehe ich weiter darüber nachdenken kann, hole ich aus und ramme meinem Nebensitzer den Ellbogen gegen den Arm. Nick jault auf und wir fahren für einen Moment Schlangenlinien, ehe er das Lenkrad wieder fester umfasst und den Mercedes in der Spur hält.