10.

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Als ich auf das Auto zuging, sah ich, wie das Fenster auf der Beifahrerseite runtergelassen wurde. Ich erkannte John, der zu meiner Überraschung dort, statt auf der Fahrerseite, saß. Wortlos stieg ich hinten ein. Auf dem Fahrersitz saß der große Typ von heute Mittag.

„Hey.", begrüßte mich mein Bruder und drehte sich zu mir um.

„Sorry, hab vergessen zu erwähnen, dass ich zur Zeit keinen Führerschein habe.", erklärte John die Situation, da er meinen eingeschüchterten Blick gesehen hatte, den ich dem Mann neben ihm zugeworfen hatte.

„Ist aber trotzdem mein Auto. Krass, oder?"

Hilflos sah ich mich im Auto um. Ich hatte nicht einmal darauf geachtet, welche Automarke es war. Alles, worauf ich geachtet hatte, war die Farbe des Autos.

„Ich hab ehrlich gesagt null Ahnung von Autos.", gab ich zu.

„Keine Ahnung oder kein Interesse?", hakte John aufmerksam nach.

„Ähm... beides?" Meine Antwort hörte sich eher an, wie eine Frage. Ich wollte nicht, dass John mich gleich deswegen als langweilig abstempelte, da er augenscheinlich ein großes Interesse an Autos hatte. „Ich hab zwar 'nen Führerschein, aber hab nie ein eigenes Auto besessen. Autofahren ist in Frankfurt auch eher Horror als Spaß. Mir reicht es schon, mit den Dienstwagen fahren zu müssen."

„Also kann ich dich nicht mit meinem neuen Mercedes beeindrucken?"

Allein im Innenraum sah das Auto sündhaft teuer aus. Trotzdem legte ich auf so etwas allgemein wenig Wert.

„Eher nicht so. Ich achte bei Autos eigentlich nur auf die Farbe."

Der Typ neben meinem Bruder lachte leise auf. John schien zu bemerken, dass ich mich noch immer fragte, wer der Mann eigentlich war.

„Das ist übrigens Marten. Du hast echt keinen Plan von 187, oder?"

„Nein. Yassin musste mir gestern sogar erklären, was es mit diesen Palmen auf sich hat."

Mein Bruder wirkte verblüfft. Anscheinend begegnete er selten Menschen, die so gut wie gar nichts über ihn oder seine Musik wussten.

„Heftig. Dann kennst du auch sonst keinen von den Jungs?"

Ich schüttelte nur den Kopf.

„Nee, ist echt nicht meine Musik."

Dieser Marten schmunzelte weiter vor sich hin. Ihn schien es unglaublich zu amüsieren, wie verblüfft John war.

„Egal, heute soll es ja nicht um die Jungs gehen, sondern um uns. Was willst du eigentlich essen? Döner? Pizza?"

Ich überlegte kurz. Hunger hatte ich definitiv und im Moment würde ich vermutlich alles essen.

„Pizza fänd ich gut. Döner hatte ich diese Woche schon ein paar Mal."

„Perfekt, dann bestell ich gleich was. Wird dann geliefert."

Er tippte kurz auf seinem iPhone rum und hielt es mir schließlich unter die Nase.

„Such dir mal was aus."

Ich überflog schnell die Karte und entschied mich für eine Pizza Mozzarella.


Wir hielten vor einem Mehrfamilienhaus in Altona. Marten blieb sitzen und ich verabschiedete mich daher kurz von ihm.

„Ich bin zwar Millionär, aber meine Wohnung ist eher so auf Studenten-Niveau."

John hätte sich vermutlich locker ein eigenes Haus leisten können und ich fragte mich, warum er so viel Geld in Autos investierte, anstatt sich eine größere Wohnung zu leisten.

„Bin nicht so oft hier, daher reicht mir das.", klärte mich John auf, als hätte er meine Gedanken gelesen.

„Du hast keine Angst vor Hunden, oder?"

Erschrocken blieb ich mitten auf der Treppe stehen, was John erst merkte, als er einige Schritte weiter gelaufen war.

„Oh, hab ich auch vergessen zu erwähnen."

Ich hatte so ein typisches Kindheitstrauma mit einem Hund erlebt. Als 6-Jährige wurde ich von einem Kampfhund ziemlich heftig in den Arm gebissen, den ich mir gerade noch so schützend vor mein Gesicht halten konnte, als der große Hund mich ansprang. Die Wunde musste damals im Krankenhaus genäht werden. Noch heute sah man die Narbe deutlich auf meinem Unterarm. Seitdem ging ich jeglichen Hunden großzügig aus dem Weg, wechselte sogar die Straßenseite, wenn es sein musste.

„Skittlez ist ein ganz Lieber, der macht dir schon nichts."

Ich war nicht gerade überzeugt, stieg die Treppe aber trotzdem langsam weiter nach oben. Vielleicht war dieser Skittlez ja irgendein kleiner süßer Kuschelhund, was ich insgeheim jedoch stark bezweifelte. Wäre irgendwie schon lustig, wenn John so eine kleine flauschige Fußhupe hätte.

Als John seine Wohnungstür aufschloss, hörte ich schon die Pfoten auf dem Laminat, die immer näher kamen. Auf uns kam kein kleines Hündchen zugelaufen, sondern ein mittelgroßer Kampfhund. Mit Hunden kannte ich mich im Übrigen ungefähr genauso gut aus, wie mit Autos. Also gar nicht.

Ich spürte, wie mir bei diesem Anblick der Schweiß auf die Stirn trat und vermutlich war ich gerade leichenblass. Meine Beine waren wie festgewachsen und als der Hund anfing, an mir zu schnüffeln und an meinen Beinen hochzuspringen, entwich mir ein panisches Geräusch, das John zum Glück richtig interpretierte.

„Skittlez aus! Aus! Komm, zurück in dein Körbchen." John brachte den Hund zurück in sein Schlafzimmer und schloss die Tür.

„Alles gut? Wohl doch mehr als 'n bisschen Angst, hm?"

Erst als sein Gesicht nahe vor meinem erschien, erwachte ich aus meiner Starre. Ich war immer noch nicht fähig, einen Ton rauszubringen.

„Sorry, wusste nicht, dass du so 'ne Panik hast."

Ich nickte leicht und sammelte mich kurz.

„Schon okay, woher hättest du das auch wissen können."

John und ich hingen unsere Jacken an die überfüllte Garderobe und zogen unsere Schuhe aus. Als ich die ganzen Schuhe sah, fragte ich mich erstmals, ob John hier eigentlich alleine wohnte. Im Flur standen einige Schuhkartons rum und insgesamt schien mein Bruder nicht der ordentlichste Typ zu sein.

John zeigte mir kurz die Wohnung, die wirklich als Studentenbude hätte durchgehen können. Die Küche war einigermaßen geräumig. Ich konnte nicht einschätzen, ob John überhaupt kochen konnte, aber die Küche schien gut ausgestattet zu sein. Sogar ein Esstisch mit vier Stühlen hatte in dem Raum Platz gefunden. Das Wohnzimmer war vollgestellt mit Kartons, Auszeichnungen und anderem Kram. Trotzdem wirkte es gemütlich, was vor allem an der großen Eckcouch lag. Ein großer Fernseher prangte an der gegenüberliegenden Wand, inklusiver einiger Spielekonsolen. Der kleine Tisch vor der Couch war vollgestellt mit benutzten Gläsern, einem überfüllten Aschenbecher, leeren Bierflaschen und leeren Chipstüten. Es standen noch ein paar Schränke und Regale im Raum, ansonsten wirkte es schon fast karg eingerichtet. Am Wohnzimmer grenzte ein kleiner Balkon, auf dem ein Tisch und zwei Stühle standen. Das Bad war ganz normal, also nicht gerade erwähnenswert, außer, dass es neben einer Dusche auch eine Badewanne gab. Das Schlafzimmer ließ John bei seiner Führung aus, da er eine weitere Begegnung mit seinem Hund in so kurzer Zeit lieber vermeiden wollte.

„Die Jungs waren gestern Abend hier, daher die Unordnung. Warte, ich räum das kurz weg. Kannst dich schon mal setzen. Die Pizza sollte auch gleich kommen."

In Windeseile räumte John den Couchtisch leer und setzte sich anschließend zu mir. Er hatte uns Sprite mitgebracht, die er nun in zwei Gläser einschenkte.

Langsam entspannte ich mich, denn John gab sich wirklich Mühe, dass ich mich wohlfühlte.

Long Long Way (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt