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Nach knapp einer Woche Quarantäne auf der Arbeit, melde ich mich zurück 😅 Ich sag's euch, sechs Tage ununterbrochen mit 8 Mädels zwischen 13 und 17 Jahren, die kurz vor einem Lagerkoller stehen, dagegen ist das ganze Drama hier Pipifax!

Wir begleiten von unserer Einrichtung aus auch noch junge Erwachsene im betreuten Wohnen, von denen die meisten vorher bei uns in Wohngruppen gelebt haben, und haben zu vielen von ihnen auch noch lange danach Kontakt. Diese ganzen Themen wie Vertrauen, Stresstoleranz, Probleme der Emotionsregulation und Impulskontrolle, Bindungs-/Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen etc. ziehen sich bei einem Großteil der Jugendlichen noch lange bis ins Erwachsenenalter und verschwinden nicht von heute auf morgen. Selbst mit langjähriger Therapie kommen solche Erfahrungen und Erinnerungen immer wieder hoch und lassen sich nicht einfach so verdrängen. Für Außenstehende sind entsprechende Verhaltens- und Handlungsweisen oft nicht verständlich oder nachvollziehbar, aber die Betroffenen können mit bestimmten Situationen meist nicht anders umgehen. Nur so als Info zum vergangenen Kapitel und für die nächsten Kapitel ✌️



Weglaufen war vermutlich die schlechteste Option, die ich hätte wählen können. Ich hatte zwar eine gute Kondition, aber einen unglaublich schlechten Orientierungssinn. Den Park hatte ich schon lange hinter mir gelassen. Keine Ahnung, in welchem Stadtteil ich mich überhaupt befand.

Klar, ich hätte einfach bei Google Maps nachschauen können, aber wo sollte ich jetzt überhaupt hin? Ich kannte hier in Hamburg nur meinen Bruder und dessen Freunde. Zudem war ich viel zu stolz, um irgendwen um Hilfe zu bitten.

Wirklich alles war mir hier fremd. Trotzdem kehrte ich nicht um, sondern lief einfach weiter, ohne ein genaues Ziel vor Augen zu haben. Ich durchquerte mehrere Wohngebiete, ging an den verschiedensten Läden vorbei und landete letztendlich an der Elbe. Keine Ahnung, wie lange ich insgesamt gelaufen war. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und konnte nicht einschätzen, ob es sich um Minuten oder um Stunden handelte.

Da ich nicht wusste, was ich nun tun sollte, ging ich stets weiter an der Elbe entlang. Immer weiter. Mein Handy war schon lange ausgeschaltet. John hatte mehrmals versucht, mich anzurufen, aber ich wollte nicht mit ihm sprechen. Mir war mittlerweile klar, dass ich vermutlich überreagiert hatte, dennoch könnte ich dies niemals zugeben. Dafür war ich schlichtweg zu stur.

Ich war immer noch wütend und enttäuscht. Auf John und auch auf mich. Es ärgerte mich alles ungemein und ich stellte erstmals meine Entscheidung in Frage, länger in Hamburg geblieben zu sein.

Meine Füße schmerzten und ich hatte irgendwann keine Energie mehr, daher musste ich mehrere Pausen einlegen. Ich setzte mich entlang der Elbe an die verschiedensten Stellen und beobachtete all die Leute, die an mir vorbeigingen. Familien, Pärchen, alte Leute, Jogger, Radfahrer. Dank des guten Wetters waren heute recht viele Menschen unterwegs.

Mir war es fast schon egal, dass John sich wahrscheinlich Sorgen machte und dass er mich suchen könnte. Immerhin war er selbst schuld an all dem. Irgendwie zumindest. Redete ich mir wenigstens ein. Eigene Konfliktbewältigung hatte ich noch nie gut beherrscht. Wenn es um andere ging, fiel es mir meist leicht, Konflikte zu klären, aber sobald ich selbst involviert war, schaltete mein Verstand ab. Natürlich hatte ich mir über die Jahre verschiede Konfliktbewältigungsstrategien angeeignet, aber in der Situation selbst war mein Kopf dann plötzlich wie leergefegt.

Nach einer halben Ewigkeit des Laufens kam ich schließlich an den Palmen aus Plastik an. Immerhin wusste ich jetzt, wo ich mich ungefähr befand. Kurz überlegte ich, einfach weiterzugehen. Hier lungerten oft Bekannte meines Bruders herum und ich wollte gerade keinem von ihnen begegnen. Ich wollte für mich bleiben. Meine Laune war aufgrund der letzte Stunden im Keller.

Long Long Way (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt