6.

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„Boah, warum ist es hier denn so kalt?", fluchte ich missmutig, als der eisige Wind durch meine Kleidung wehte und meine Haare durcheinander brachte.

„Willkommen in Hamburg." Lachend legte Yassin einen Arm um meine Schultern und zog mir spielerisch die Kapuze meiner Jacke über den Kopf.

„Echt jetzt?", brummelte ich und schubste ihn leicht, kicherte aber im nächsten Moment auf, als er mir wie ein Kleinkind die Zunge rausstreckte.

„Idiot."

„Selber"

„Leeeeute, schaut mal lieber geradeaus." Sima quetschte sich an uns vorbei und rief im nächsten Augenblick „Da ist es. Endlich.".

Wir hatten uns ein Hostel auf St. Pauli gebucht. Sima war schon mehrere Male hier gewesen, daher hatten wir nicht groß nach Alternativen gesucht. Erst im Nachhinein hatten wir herausgefunden, dass das 187 Ink nur etwa 5 Minuten zu Fuß entfernt lag. Meine mögliche Anlaufstelle, auf der Suche nach meinem Bruder.

Die gesamte Bahnfahrt lang hatten wir vier einen Plan erstellt, wie ich das Ganze angehen könnte. Wir hatten genau überlegt, was ich ihm am besten alles erzählen sollte und was mögliche Szenarien unseres Aufeinandertreffens sein könnten. Ich fühlte mich vorbereitet und das gab mir Mut und Sicherheit.

Wir teilten uns zu viert ein Zimmer. Viel schlafen würden wir vermutlich sowieso nicht. Bereits am frühen Morgen waren wir in Frankfurt losgefahren, damit wir noch etwas vom Tag in Hamburg hatten. Es war jetzt gerade mal früher Mittag, weshalb wir beschlossen, nur schnell unsere Sachen abzustellen und etwas essen zu gehen.


„Wollen wir dann gleich mal beim Tattoostudio vorbeilaufen?"

Alle stimmten Dilan zu, weshalb es direkt beschlossene Sache war. So ganz geheuer war mir der Vorschlag nicht, doch ich willigte trotzdem ein.

„Aber lasst uns bitte erst mal essen gehen. Sonst schaffe ich es vor Aufregung vielleicht doch nicht.", warf ich verunsichert ein.

Mein Magen knurrte schon seit einiger Zeit und dies trug nicht unbedingt zur Besserung meiner Anspannung bei. Glücklicherweise fanden wir in unmittelbarer Nähe ein Kebaphaus und konnten uns einen der wenigen Tisch im Inneren des Ladens sichern. Wir teilten uns eine große vegetarische Platte, die vermutlich auch für 8 Leute gereicht hätte.

„Mega! Kann man sich für die nächsten Tage echt mal merken." Yassin streichelte sich demonstrativ über den Bauch und hing mehr in seinem Stuhl, als dass er aufrecht saß.

„Fühlst du jetzt bereit?", fragte Sima ziemlich direkt und auch Dilans und Yassins Blicke lagen auf mir.

„Passt schon. Aber ihr wisst schon, dass er wahrscheinlich gar nicht da ist. Er hängt wohl kaum den gesamten Tag da ab."

Einstimmiges Nicken. Wir hatten uns alle leicht überfressen, was sich an unserem Schweigen deutlich zeigte. Die Bahnfahrt und das viele Essen hatten mich müde gemacht und ich fühlte mich träge bei dem Gedanken, gleich wieder an die kalte Luft zu müssen.

„Lasst aber mal bitte noch 'n paar Minuten sitzen bleiben. Ich kann mich noch nicht bewegen."

„Ja, bitte.", stimmte auch Sima murmelnd zu, weshalb wir noch eine Weile im Laden sitzen blieben.


Wenige Meter vor dem Tattoostudio begann mein Herz wieder unnatürlich schnell zu schlagen. Meine Knie wurden weich, aber ich lief entschlossen weiter. Panik brachte mir in diesem Moment auch nichts, daher versuchte ich sie möglichst zu überwinden.

Long Long Way (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt