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Januar 2018

Angespannt ließ ich meinen Blick durch den kleinen Raum schweifen, der zu einem der Gerichtsgebäuden in Hamburg gehörte. Um mich herum saßen fast ausschließlich mir fremde Menschen. Ich kam mir vollkommen fehl am Platz vor. Die Familie, um die es hier ging, war nicht meine Familie. Und trotzdem war ich vom Gericht geladen worden, denn es ging um das Testament meines verstorbenen Vaters.

‚Vater' war meiner Meinung nach das falsche Wort für diesen Menschen. Letztendlich hatte ich ihn nie persönlich kennengelernt. Er war höchstens mein ‚biologischer Erzeuger'.

Ich war nicht böse auf ihn. Es war immerhin auch meine Entscheidung gewesen, ihn nicht kennenlernen zu wollen. Darüber waren wir uns alle einig gewesen. Meine Mutter hatte zwar nicht auf mich eingeredet, vertrat aber dieselbe Meinung.

Trotz allem hatte er mich rechtlich als seine Tochter anerkannt und war auch namentlich in meiner Geburtsurkunde als mein leiblicher Vater eingetragen.

Statt ihm hatte ich jedoch einen liebevollen Stiefvater gehabt, den Partner meiner Mutter, den ich mein Leben lang Papa genannt habe. Denn genau das war er für mich gewesen, auch wenn er nicht mein biologischer Erzeuger war. Leider verstarb er, als ich gerade mal 13 Jahre alt war. Scheiß Krebs!

Die einzige Person, die mir in meiner jetzigen Situation unterstützend zur Seite stand, war mein Patenonkel Steffen, der genau in diesem Moment neben mir saß. Er war glücklicherweise Anwalt und kannte sich mit dem aus, was hier gerade vor sich ging.

Mein ‚Vater' war im Dezember vergangenen Jahres verstorben, weshalb ich nun hier in Hamburg war und mir anhörte, was der Richter zu verkünden hatte. Zu meiner Überraschung hatte mich mein Vater in seinem Testament genannt und mir stand jetzt dementsprechend ein Erbe zu.

Seine Ehefrau wusste ebenfalls von mir, doch auch sie hatte ich im Vorfeld nie kennengelernt. Wie es aussah hatte ich zwei Halbgeschwister, die, soweit mir bekannt war, bis zum Tod unseres Vaters nichts von mir gewusst hatten. Meine Halbschwester war um einiges älter als ich. Mein Halbbruder war etwa 10-15 Jahre älter als ich. Beide sahen immer wieder zu mir rüber.

Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Das meiste verstand ich sowieso nicht. Oder es betraf mich eben nicht.

„Meine Mandantin Jara Ramona Winter wird das Erbe aus persönlichen Motiven ablehnen.", vernahm ich die Stimme meines Patenonkels neben mir im geschäftliche Anwaltston.

Ich wollte mein Erbe nicht annehmen. Es kam mir nicht richtig vor, Geld von einem Mann zu bekommen, den ich nie kennengelernt hatte. Das Geld sollte an seine Familie gehen, zu der ich mich nun mal nicht dazu zählte. Auch wenn ich das Geld prinzipiell gut gebrauchen konnte, wollte ich mit dem gesamten Thema ‚biologischer Vater' endgültig abschließen.

Überrascht sahen mich sämtliche Leute im Raum an. Der Richter fragte noch einmal an mich gewandt, ob das mein letztes Wort sei. Ich bestätigte die Aussage knapp und mit leiser Stimme. Die ganze Situation überforderte mich schon fast und ich traute mich kaum, vor den anderen Menschen im Raum zu sprechen, deren Blicke immer noch auf mir lagen.

Nach der Testamentsverhandlung musste ich noch einige Formulare und Unterlagen unterschreiben. Steffen half mir dabei und fasste mir immer kurz und verständlich zusammen, worum es überhaupt ging. Ohne ihn wäre ich in diesem Moment verloren gewesen.


Draußen vor dem Gerichtsgebäude lief ich zügig neben Steffen her. Wir wollten direkt zurück nach Frankfurt fahren. Immerhin war es noch eine weite Strecke und der Tag war anstrengend genug gewesen.

Long Long Way (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt