20.

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„Du hast was?", lachte ich laut, während mir mein Handy fast aus der Hand rutschte.

„Ja normal. Wenn der so 'ne Scheiße reden, lächle ich das doch nicht einfach so weg.", rechtfertigte sich Sima, ebenfalls lachend.

„Echt man, verschreck die Typen doch nicht immer gleich so. Lass mal deine Fachvorträge weg.", konnte ich Yassin im Hintergrund hören.

„Hör nicht auf Yassin. Hast alles richtig gemacht."

Sima hatte mir gerade von ihrem gestrigen Date erzählt. Der Typ, dessen Name mir schon wieder entfallen war, hatte sich als ekelhafter Macho entpuppt und einen sexistischen Spruch nach dem anderen rausgehauen. Sima hatte daraufhin gekontert und ihm mitten in der Bar lautstark einen Vortrag über Sexismus gehalten. Voll in ihrem Element, war das Ganze wohl etwas ausgeartet und Sima hatte dem Kerl letztendlich ihr Getränk ins Gesicht geschüttet und war aus der Bar gestürmt.

„Passiert halt. Aber erzähl lieber mal, wie's dir so geht."

„Gut soweit. Ach ja, ich hab übrigens auch noch einen Cousin hier in Hamburg. Marten. Ist auch ein riesiger, muskulöser, tätowiertet Typ. Macht 'nen recht gefährlichen Eindruck und was ich so mitbekommen hab, hängt der ganz schön tief in illegalen Sachen drinnen. Zu mir war er aber nett. Hat gleich gesagt, dass ich immer zu ihm kommen kann und so, weil er und John so was wie Brüder sind."

„Süß.", säuselte Dilan und klang dabei mehr als entzückt. „Schon 'n bisschen lustig die Vorstellung. Du zwischen einem Haufen riesiger, tätowierter, kleinkrimineller Gangsterrapper."

„Und sonst so? Behandeln die dich alle gut?" Yassin ließ den Beschützer raushängen, aber es war ihm nicht zu verübeln. Immerhin tat er das schon unser gesamtes Leben lang.

„Ja, eigentlich schon. Mit Jonas und Alex kam ich bis jetzt gut klar. Anton hab ich nur einmal kurz gesehen. Nur Maxwell war ziemlich distanziert. Den kann ich noch nicht so ganz einschätzen. Aber ich hatte heute schon meine erste seltsame Begegnung mit Fans."

Kurz erzählte ich mein heutiges Erlebnis und berichtete meinen Freunden auch, wie mein Bruder und die anderen reagiert haben.

„Ekelhaft, wie die sich an die Jungs ranschmeißen." Sima klang ziemlich angewidert.

„Echt so. Denen ist wirklich nichts zu schade. Wie billig die sich zum Teil darstellen, nur um ihren Idolen nahe zu kommen.", pflichtete auch Dilan bei.

Durch die geschlossene Tür konnte ich hören, wie mein Bruder meinen Namen rief. Ich hatte mich zum Telefonieren ins Schlafzimmer verzogen, während John und Alex im Wohnzimmer zockten.

„Leute, ich mach mal Schluss. John ruft mich."

„In Ordnung. Meld dich, ja?"

„Mache ich. Tschau. Und vergesst nicht, Adorno von mir zu kuscheln."

„Wie könnten wir das vergessen. Hast du ja nur so 100 mal erwähnt. Bis dann Jara."

Mein Kater fehlte mir tatsächlich fast genauso sehr, wie meine Freunde. Skittlez war für mich einfach kein Ersatz für mein graues Schmusekätzchen.


Die beiden Männer hatten es sich auf der Couch gemütlich gemacht und das Wohnzimmer wurde nur noch vom Flimmern des Fernsehers beleuchtet. Keine Ahnung, was die beiden da spielten. Vermutlich GTA oder so.

„Was ist?", fragte ich meinen Bruder, der konzentriert auf den Bildschirm starrte.

„Marten fragt, ob wir noch mal rumkommen wollen. Sind noch 'n paar Freunde da."

Sein Augenmerk lag immer noch auf dem Fernseher. Alex neben ihm schaute genauso starr nach vorne. Es roch nach Gras und beide Männer hatten irgendetwas alkoholisches auf dem Tisch vor sich stehen.

„Von mir aus.", antwortete ich, denn mir war es tatsächlich egal. Es war gerade mal 21 Uhr und müde war ich noch lange nicht.


Etwa eine halbe Stunde später saßen wir wieder in Alex Wagen und waren auf dem Weg zu Marten. Ich bezweifelte stark, dass Alex noch fahren durfte, aber das schien keinen so wirklich zu interessieren.

Martens Wohnung war... interessant. Schon fast ein bisschen extravagant. Vor allem das Wohnzimmer. Hätte ich ihm auf jeden Fall nicht zugetraut. Die Wand hinter der großen grauen Eckcouch zierte eine goldene, gemusterte Tapete. Direkt über der Couch hing ein großer Spiegel. Die Decke war kunstvoll mit einem Himmel bemalt, an einer Wand war ein riesiges ‚Hells Angels' Logo gemalt und an den Wänden hingen seltsame ‚Dekoartikel', wie beispielsweise Waffen. Natürlich keine echten. Hoffte ich zumindest. Am seltsamsten war jedoch die Poledancestange, die mitten im Raum angebracht war.

Auf der Couch saßen mehrere Männer, von denen ich nur Jonas und Maxwell kannte. Alle starrten uns an, als wir den Raum betraten. Auf dem Couchtisch stand eine Shisha und mehrere der Männer hatten einen dazugehörigen Schlauch in der Hand.

„Hey Zwerg.", rief mir Jonas alles andere als nüchtern zu.

Sofort erschien ein Lächeln auf meinen Lippen.

„Jara, das sind Carlos, Steven und Tomasz. Jungs, das ist meine neue kleine Cousine. Seid nett, sie ist jetzt Familie.", stellte mich Marten den anderen vor.

Die drei Männer nickten mir alle zu. Carlos war ein breit gebauter, dunkelhaariger Typ mit Bart und düsterem Blick. Steven hatte kurze blonde Haare, viele Tattoos und trug ein Hells Angels T-Shirt. Tomasz war stark tätowiert und hatte sogar im Gesicht Tattoos. Er hatte braune, kurze Haare und Bart, war übertrieben breit gebaut und hatte einen noch düsteren Blick drauf, als Carlos.

Eingeschüchtert setzte ich mich neben Jonas, der sofort einen Arm hinter mich auf die Lehne platzierte und mir somit ein bisschen Vertrautheit vermittelte. Die Männer fanden schnell wieder ein Gesprächsthema. Es ging um Autos. Ich verstand rein gar nichts, aber das war nicht schlimm. Vermutlich hätte ich bei so vielen fremden Männern, die auf den ersten Blick nicht unbedingt vertrauenswürdig aussahen, sowieso keinen Ton rausbekommen. Alex hatte sich auf meine andere Seite gesetzt, weshalb ich mich einigermaßen wohl fühlte. Ich vertraute ihm noch mit am meisten, denn er schien meine Mauer am ehesten zu durchschauen.

Je später es wurde, desto mehr Alkohol floss und desto ungezügelter wurden die Gespräche der Männer. Ich blieb beim Bier und war mit Abstand am nüchternsten. Wobei Marten auch noch recht klar wirkte. Mittlerweile saß ich neben ihm und traute mich endlich, ihn zu fragen, was es mit dieser Inneneinrichtung auf sich hatte. Marten lachte kurz auf und versuchte sich ein dreckiges Grinsen zu verkneifen.

„Steh ich halt drauf. Wenn 'ne Frau sowas kann, bombe. Hat vielleicht auch bisschen was mit meiner... ähm Arbeit zu tun."

Ich fragte nicht weiter nach, denn so ganz genau wollte ich es vielleicht gar nicht wissen.

„Und die Wände und die Decke? Wie kommt man auf sowas?"

Marten zuckte amüsiert mit den Schultern.

„Gefällt mir halt."

Maxwell saß auf Martens anderer Seite. Er hatte unser Gespräch verfolgt und mischte sich nun anzüglich grinsend ein.

„Kannst die Stange gerne mal ausprobieren und für uns tanzen."

Angewidert starrte ich Maxwell an. War das sein Ernst? Marten hatte sich blitzschnell zu ihm gedreht und schirmte mich nun mit seinem breiten Rücken von Maxwell ab.

„Alter, was soll die Scheiße?"

„Digga, das war Spaß."

Ich drückte mich etwas unbeholfen an Marten vorbei, um Maxwell wieder direkt anzusehen.

„Wo ist eigentlich dein Problem?"

Maxwell winkte ab, wollte so tun, als wäre alles ein Spaß.

„Reiß dich zusammen oder verpiss dich.", sprach Marten nun das letzte Wort.

„Chill mal, ist doch alles gut." Besänftigend klopfte Maxwell Marten auf die Schulter. Für ihn war dieses Gespräch beendet, aber ich bemerkte durchaus die Blicke, die er mir den restlichen Abend noch zuwarf.

Long Long Way (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt