30.

2K 70 2
                                    


Wie bereits befürchtet, bekam ich kein Auge zu. Ich lag seit einer gefühlten Ewigkeit in der Dunkelheit und starrte reglos an die Decke. Es war lieb von Alex, dass ich hier sein durfte. Ich hätte gar nicht gewusst, wo ich im Notfall hingegangen wäre. Marten hing bestimmt bei John rum und von den anderen hatte ich keine Nummern.

Ohne eine Antwort zu erwarten, schrieb ich Yassin und Sima, ob sie noch wach waren. Yassin antwortete nicht, vermutlich schlief er längst. Sima antwortete mir um kurz vor 3 Uhr und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich suchte schnell ihren Kontakt im Telefonbuch raus und rief sie an.

„Was ist los? Ist was passiert?", fragte meine Mitbewohnerin direkt, als sie ranging.

„Schon irgendwie. Heute ist ziemlich viel Mist passiert."

Ich erzählte ihr ausführlich vom heutigen Tag. Obwohl ich nur andeutete, was John Marten weiter erzählt hatte, konnte sich Sima in meine Lage reinversetzen.

„Er hat was zu dir gesagt? Ist er dumm oder so?"

„Keine Ahnung, was ihn da geritten hat. Ich weiß im Nachhinein nicht mal, ob ich es schlimmer finde, dass er meine privatesten Dinge einfach so weitererzählt, oder dass er das alles zu mir gesagt hat. Oder seine ekelhafte Art, diese widerliche Überheblichkeit und das alles. Irgendwie ist es die gesamte Situation."

Ich versuchte möglichst leise zu reden, denn ich wollte keinesfalls versehentlich Alex aufwecken.

„Sag mal, wo bist du jetzt eigentlich? Doch nicht irgendwo auf der Straße, oder?"

Sima klang auf einmal sehr besorgt. Ich hatte ihr bisher nur erzählt, dass ich planlos weggerannt war.

„Nee, keine Sorge. Ich bin bei Alex. Er und Maxwell haben mich aufgelesen und weil ich nicht zu John wollte, hat Alex mich mitgenommen und lässt mich hier schlafen. Er denkt, dass John und ich morgen nochmal reden können."

Ich erzählte Sima außerdem, dass ich mich mit Maxwell vertragen hatte und dass ich mit Alex den gesamten Abend Mario Kart gespielt hatte. Es war ziemlich witzig gewesen und Alex hatte wirklich ein Talent dafür, mich von meinen trübseligen Gedanken abzulenken.

Nach etwa einer Stunde beendeten wir das Telefonat. Sima hatte am nächsten Tag Uni und ich fragte mich ernsthaft, ob sie es morgen früh schaffen würde, rechtzeitig aufzustehen.

Mittlerweile war es kurz nach 4 Uhr. Ich war hellwach und würde mit Sicherheit keine Sekunde mehr schlafen können. Leise schlich ich durch die Wohnung und suchte nach irgendwas, mit dem ich mich die nächsten Stunden beschäftigen konnte. Ich wolle keineswegs in Alex Wohnung rumschnüffeln. Ein gutes Buch oder eine Zeitschrift hätten es schon getan, doch ich wurde leider nicht fündig.

Vor lauter Langeweile fing ich an das schmutzige Geschirr vom Wohnzimmer in die Küche zu räumen und dabei möglichst keinen Mucks von mir zu geben. Ich räumte anschließend noch den Müll vom Tisch und stellte zufrieden fest, dass es schon wesentlich ordentlicher aussah. Danach begab ich mich wieder in die Küche und schloss leise die Tür. Alex hatte zwar eine Spülmaschine, aber ich brauchte eine Beschäftigung, weshalb ich die Sachen schnell mit der Hand spülte und ich die Schränke einsortierte. Nachdem ich die Arbeitsflächen abgewischt hatte, sah auch die Küche wieder benutzbar aus.

Die Zeit verging leider immer noch viel zu langsam. Ich wusste nicht einmal, ob Alex ein Frühaufsteher oder ein Langschläfer war.

Ich setzte mich wieder auf die Couch und kuschelte mich in die Decke ein. Mein Bruder schlief mit Sicherheit schon lange, weshalb ich mich endlich traute, die WhatsApp Nachrichten, die er mir heute dutzendweise geschrieben hatte, anzuschauen. Es waren einige, die ausschließlich beinhalteten, dass es ihm leid täte und dass ich mich melden solle. Marten hatte mir auch einige Nachrichten geschrieben. Anfangs besorgt, später eher drängend. Ich solle mich sofort melden und ihm versichern, dass es mir gut ginge.

Während ich mir Martens Nachrichten durchlas, erschien unter seinem Namen erst ein „online", dann ein „schreibt...". Ich reagierte unglücklicherweise zu spät, denn mein Cousin hatte längst gesehen, dass auch ich online war.

„Wag es ja nicht mich zu ignorieren.", schrieb er mir rasch.

Aus irgendeinem Grund traute ich mich nicht, mein Handy einfach auszuschalten. Zurückschreiben wollte ich allerdings auch nicht.

„Bist du in Ordnung?"

„Warum bist du noch wach?"

„Bist du überhaupt noch bei Alex?"

„Sag schon!"

Bevor ich irgendwie reagieren konnte, begann mein iPhone zu vibrieren und Martens Name erschien auf dem Display. Zögernd nahm ich den Anruf entgegen, sagte jedoch nichts.

„Jara? Verdammt, rede mit mir. Und leg ja nicht auf."

Martens Stimme war aufgebracht und ließ keine Widerrede zu. Seine miese Laune schüchterte mich ein, daher blieb ich weiterhin stumm.

Keine Ahnung, wo Marten sich aufhielt, aber im Hintergrund war es laut und ich konnte Musik und verschiedene Stimmen wahrnehmen. Vermutlich trieb er sich wieder irgendwo auf dem Kiez herum.

„Was soll das, Jara?"

Marten klang langsam wirklich wütend. Kurz überlegte ich, trotz seiner Worte einfach aufzulegen, traute mich letztendlich aber doch nicht.

„Schrei mich nicht an.", war das Einzige, was mir gerade einfiel.

Marten hatte keinen Grund, so mit mir zu reden. So ließ ich nicht mit mir umgehen und da machte ich auch bei ihm keine Ausnahme.

„Dann antworte mir gefälligst."

„Dann rede in einem anderen Ton mit mir."

Ich hörte ihn genervt seufzen und leise fluchen, ehe er sich wieder an mich wandte.

„Okay, dann eben so. Bist du okay? Warum schläfst du nicht?"

Seine Stimme klang gespielt überfreundlich, was mich dazu brachte, meine Augen zu verdrehen.

„Bin nicht müde."

„Warum nicht? Es ist schon spät. Du solltest längst schlafen."

„Und du darfst die Nacht zum Tag machen, oder wie?"

Marten war nüchtern genug, um meinen Sarkasmus rauszuhören. Ich war mir nicht mal sicher, ob er überhaupt getrunken hatte.

„Das ist was anderes, Prinzessin. Ich bin unterwegs. Du ja hoffentlich nicht. Oder?"

Jetzt war es an mir zu seufzen.

„Nein Marten, ich liege bei Alex im Wohnzimmer auf der Couch, wenn du es genau wissen willst."

„Und du kannst nicht schlafen, weil dir zu viele Gedanken im Kopf kreisen und du Angst hast, schlecht zu träumen, richtig?

„Woher...? Man John! Gibt es irgendwas, dass er dir nicht über mich erzählt hat?"

Wütend ballte ich meine freie Hand zur Faust. Das konnte doch nicht wahr sein. Was hatte er Marten bitte noch alles über mich erzählt?

„Das solltet du mit deinem Bruder besprechen, nicht mit mir. Pass auf, ich muss gleich auflegen. Rede mit John, ja? Er macht sich echt Vorwürfe wegen dem ganzen Scheiß. Und Jara, versprech mir, dass es morgen nicht eskaliert, ja?"

„Kann ich nicht.", grummelte ich mies gelaunt.

„Komm schon, eigentlich willst du das doch auch nicht. Meldest du dich wenigstens bei mir, falls du nach Hause fährst und wir uns nicht mehr sehen?"

„Na gut."

Eigentlich mochte ich Marten echt gern und er konnte schließlich nichts für die Aktionen meines Bruders

„Schön. Dann versuch trotzdem noch ein bisschen zu schlafen, ja? Bis hoffentlich morgen!"

Damit hatte Marten aufgelegt und mich genauso ratlos zurückgelassen, wie vor dem Telefonat. Wenigstens war etwas Zeit vergangen und diese schier endlose Nacht würde bald dem nächsten Tag weichen. Was auch immer dieser Tag mit sich bringen würde.

Long Long Way (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt