Der Anbruch der ewigen Nacht

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Lloyd kam erst wieder völlig zu sich, als er schon fast den Rand des Großen Waldes erreicht hatte. Fünf Wachen eskortierten ihn, um sicherzustellen, dass er das Königreich verließ. Shyani stützte ihn noch immer, einen Arm um seine Taille geschlungen. Argon war nicht länger bei ihnen, aber Lloyd hatte nicht bemerkt, wann oder weshalb er gegangen war.

Der Wind jaulte in den Blättern, sang ein leises Abschiedslied für den Königssohn, doch er lauschte nicht. Er verschloss seine Ohren vor den Worten, die der Wald ihm zuflüsterte, denn er fürchtete sich vor noch mehr Anschuldigungen. Vor Anklage und Beschimpfungen.

„Dank Argon von mir", flüsterte er Shyani zu.

Als Antwort nickte sie nur stumm und knuffte ihm leicht in einer vertrauten Geste in die Seite. Er legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich heran.

„Weißt du, ob er es geschafft hat?" Lloyd sprach nach wie vor leise. Nicht weil er nicht lauter sprechen wollte, sondern weil er glaubte, seine Stimme versage ihren Dienst.

„Ich weiß es nicht", antwortete Shyani.

Lloyd biss sich auf die Lippe, um ihr leichtes Beben zu unterdrücken. Er würde nicht glauben, dass jemand wie Tavaren in den Tiefen des Waldes zugrunde gegangen war. Dies konnte er nicht glauben. Und er nahm es als gutes Zeichen, dass weder Pferd noch Reiter am Wegesrand lagen.

Er wischte sich die letzten Reste der Tränen aus den Augen, aber unaufhörlich sickerte Blut aus dem Schnitt in seiner Wange.

Am Ende des Weges sah er bereits den Waldrand und dahinter das Niemandsland. Von nun an die Grenze, die er niemals mehr überschreiten würde. Er holte tief Luft und löste sich von Shyani. Seine Knie zitterten zwar noch, aber er konnte allein gehen.

Er atmete einmal tief ein. Das letzte Mal die vertraute Waldluft. Das letzte Mal die Brise der Heimat. Immer mit einer Note Holz versetzt, mit dem Grün der Blätter, den dem leichten Geruch der Tiere, die im Dickicht Schutz suchten und sich nun hinauswagten, um den Prinzen zu verabschieden. Jedoch trauten sie sich nicht ganz zu ihm. Aus ihren Unterschlüpfen steckten sie ihre Köpfe, doch näher kamen sie nicht. Denn der Prinz war nicht ihr König. Und der König hatte jeden Kontakt zu seinem Sohn verboten.

Lloyd hob seinen Kopf an, das Kinn ein Stück zu hoch. Er strich sich die schweißnassen Haare aus seinem Gesicht. Dabei streiften seine Fingerspitzen sein Ohr. Nur leicht, kaum bemerkbar, doch greller Schmerz durchzuckte ihn. Er biss die Zähne zusammen, um sich nichts anmerken zu lassen.

Viel zu schnell war er am Ende des Pfades angekommen. Die Bäume wichen vor ihm, ließen ihn austreten.

Lloyd schluckte. Dann war dies nun das Ende. Der Abschied. Das ‚Auf Nimmerwiedersehen'.

Die Wache vor ihm trat zur Seite und gab die Sicht auf das Niemandsland frei. Wortlos ging Lloyd an dem Elfen vorbei. Erhobenen Hauptes, doch mit zitternden Knien. Mit geröteten Augen, zerzausten Haaren und dem Schnitt auf der Wange als Brandmal seines Vaters Zorns.

Endlos langsam schienen die Bäume an ihm vorüberzuziehen, doch viel zu schnell stand er außerhalb des Waldes. Der Pfad hinter ihm schloss sich. Nun wäre er erst wieder willkommen, wenn er die Aufgaben erfüllt hatte.

Die Rose aus Eis.

Den Stein aus Feuer.

Und die Feder eines Engels.

Ein Abschied, der auf ewig währen würde.

Lloyd ließ seine Schultern hängen. Er seufzte leise und machte sich auf den Weg. Wohin auch immer...

„Ihr wirkt verloren." Die Stimme, die plötzlich neben ihm ertönte, ließ ihn einen Satz zur Seite machen. Eine dunkle Gestalt war neben ihm aufgetaucht, die Arme vor der Brust verschränkt.

A King's TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt