Zwietracht II

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Mit Kyrats Wegweisung gelangten die beiden durch den Berg und an ihr Ziel. Der Elf hatte alle Mühe sich selbst auf den Beinen zu halten, schließlich musste er sich auf seinen Gehstock stützen, während er selbst dem Jungen eine Stütze war.

Die Tür, zu der Kyrat ihn führte, war unweit des Eispalastes und wirkte schlicht, aber als er die Klinke herunterdrückte, erkannte er, dass diese Einfachheit nur täuschte.

Dahinter befand sich nämlich kein kleines Zimmerchen, viel eher war es eine riesige Bibliothek. Die Bücherregale streckten sich bis zu der hohen Decke. Einige Bücher stapelten sich ungeordnet neben ihnen. Es roch nach Papier und Pergament, aber nicht staubig. Jemand achtete akribisch genau darauf, dass diese Bücher stets in ihrem bestmöglichen Zustand waren.

Er entdeckte Regale mit Schriftrollen, wie sie im Imperium verwendet wurden, und ein anderes mit Kodizes, die noch mit der Hand geschrieben waren. Schwere, aber prunkvoll verzierte Schlösser hielten die Seiten zusammen und sorgten gleichzeitig dafür, dass kein Unbefugter einen Blick in sie werfen konnte.

Diese Bibliothek war nichts anderes als eine Sammlung von größtenteils ältesten und seltensten Schriften. Ein Regal stach dabei besonders heraus. Nicht weil die Einbände schmuckvoller waren oder die Schriften noch älter wirkten, sondern weil es gefüllt war mit Büchern, die allesamt einen schlichten schwarzen Rücken hatten.

Er vermutete, dass es sich hierbei um Notizbücher handelte. „Schreibt Ihr?", fragte er, aber Kyrat winkte nur ab als Zeichen, dass er jetzt nicht darüber sprechen wollte. Stattdessen deutete er ihm an, in welche Richtung er nun gehen sollte und in welches Zimmer er gebracht werden wollte.

Während Lloyd durch die Regale ging, entdeckte er auf einer Ablage, inmitten der Bücher ein Horn, ähnlich dem eines Stieres und aufgestellt wie eine Trophäe.

Vor der Tür, zu der Kyrat gedeutet hatte, ließ der Junge ihn los und legte seine Hand an die Klinke.

„Falls Ihr noch Hilfe benötigt, dann zögert nicht, mich zu Euch zu rufen", sagte Lloyd.

Kyrat nickte nur als Antwort, öffnete dann die Tür und verschwand in dem Raum dahinter.

Lloyd wandte sich ab und machte sich auf den Weg, die Bibliothek zu verlassen. Doch, ehe er an dem Ausgang angekommen war, fiel sein Blick noch einmal auf das Regal mit den Notizbüchern. Er wusste, es stand ihm nicht zu in Kyrats Privatsachen herumzuwühlen, aber seine Neugier siegte.

Auf den Gehstock gestützt humpelte er zu dem Regal, zog wahllos ein Buch heraus und schlug es auf. Nicht am Anfang oder am Ende, sondern willkürlich in der Mitte. Doch das, was er dort las, ließ es ihm kalt den Rücken herunterlaufen. In klarer sauberer Handschrift stand dort:

Die Gestalt lag einige Meter neben ihm. Die Kapuze war ihr vom Kopf gerutscht und entblößte rote Locken. Ihr Gesicht war von einer Schnabelmaske verhüllt. Sie sprang schneller wieder auf die Beine als Lloyd und rannte sofort weiter, ohne dem Elfen einen Blick zuzuwerfen. Lloyd hörte die schweren Stiefel der Templer. Sie kamen näher.

Hastig rappelte er sich auf und lief in eine Gasse und versteckte sich dort in einer Nische, die so eng war, dass er sich kaum bewegen konnte. Er hielt seinen Atem an, als er das nahende Poltern der Templer hörte.

Entsetzt sah er auf. Was hatte das zu bedeuten? Was war das für ein Buch und warum stand sein Name dort?

Er wollte einen weiteren Blick auf die Seite werfen, aber hinter ihm streckte jemand seine Hand aus, klappte das Buch zu und nahm es ihm weg.

„Das, Sweetie", säuselte es ihm ins Ohr, „würde ich an Eurer Stelle lieber sein lassen."

Er wirbelte herum und drückte sich mit dem Rücken gegen das Regal, um einen möglichst großen Abstand zwischen sich und Murasaki zu schaffen. Unter dem goldenen Blick machte er sich kleiner und zog den Kopf ein.

A King's TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt