Doch auch nach drei Tagen war Lloyd noch gefesselt mit der Gruppe unterwegs. Er zwang sich, den Menschen nicht allzu böswillig zu begegnen. Schließlich gaben sie ihm jeden Tag ein eigenes Zelt und banden ihn nicht einfach an einem Baum an, an dem er dann von allen angestarrt werden konnte.
Lloyd öffnete seine Augen als er Schritte hörte. Wie jeden Abend kam Tavaren zu ihm und verlangte nach Antworten, die er von dem Elfen nicht bekam.
Doch diesmal setzte er sich auf einen Stuhl vor Lloyd und begnügte sich damit, ihn aus seinen düsteren Augen zu betrachten. Lloyd selbst hielt es nicht für notwendig, ein Gespräch anzufangen. So verstrichen einige Minuten, ohne, dass einer der beiden sprach.
Doch nach gefühlten Stunden ergriff Tavaren endlich das Wort: „Ihr habt eine Frage, also fragt."
„Würdet Ihr mir meine Frage beantworten?", gab Lloyd zurück.
„Das entscheide ich, wenn Ihr sie gestellt habt."
Kurz schwieg Lloyd und überlegte, ob es dabei einen Haken gab. Schlussendlich fragte er: „Was werdet Ihr mit mir machen?"
Tavaren legte seinen Kopf leicht schief. Er lächelte, sodass Grübchen in seinen Wangen entstanden. „Wie Ihr sicherlich schon bemerkt habt, werde ich Euch nach Kastolat bringen. Dort wird man herausfinden, wer Ihr wirklich seid und für wie wichtig Leandras Euch hält. Je nachdem werdet Ihr gegen einige Bedingungen an ihn übergeben. Oder aber Ihr werdet hingerichtet oder gefoltert oder ausgefragt, um an Informationen zu gelangen. Solltet Ihr aber, wider meine Erwartung, kein Elfenspion sein und gar nichts mit dem Krieg zu tun haben, dann werdet Ihr freigelassen und ich kann selbstverständlich alles mit Euch machen, was Ihr wollt."
Tavarens Lächeln wurde eine Spur breiter. Er beobachtete erwartungsvoll, wie Lloyds Gehirn arbeitete.
Als der Elf das Gesagte verstanden hatte, schoben sich seine Brauen zusammen. Er presste die Lippen aufeinander und entgegnete nichts.
Das brachte Tavaren jedoch nur dazu, noch breiter zu grinsen. Er streckte seine Hand aus und legte zwei Finger zwischen Lloyds Augenbrauen, um die Furche, die vom Stirnrunzeln entstanden war, glattzustreichen.
„Das ist eine furchtbare Eigenschaft", sagte er. „Davon bekommt Ihr schreckliche Falten."
„Was kümmert Euch mein Gesicht?", antwortete Lloyd und zog seinen Kopf weg.
„Es wäre schade drum. Euer Gesicht ist hübsch."
„Ich weiß, aber zurück zu meiner Frage: Was kümmert Euch mein Gesicht?"
Einige Augenblicke schwieg Tavaren. Kein passender Konter wollte ihm einfallen. Um das Thema zu wechseln, fragte er: „Wollt Ihr etwas essen?" Der Elf hatte seit drei Tagen schon nichts mehr gegessen. Tavaren war davon ausgegangen, dass die anderen ihm etwas gegeben hatten, aber heute hatte er von ihnen erfahren müssen, dass Lloyd nicht gefragt und deshalb nichts bekommen hatte.
Ohne auf eine Antwort zu warten, holte Tavaren ein mit Pilzen gefülltes Brötchen hervor und hielt es ihm vor den Mund. Da Lloyds Hände nämlich noch immer hinter seinem Rücken gefesselt waren, konnte er es nicht selbst ergreifen.
Kurz zögerte Lloyd. „Welchen Haken hat das?", fragte er.
„Keinen", sagte Tavaren. „Es wäre nur sehr bedauerlich, wenn Ihr sterben würdet, ehe wir in Kastolat ankommen. Also esst schon."
Immer noch zögerlich machte Lloyd den ersten Bissen. Tavaren zuckte leicht zusammen. So leicht, dass nicht einmal der Elf es bemerkte. Ihn erinnerte dieses Bild an den Moment, als Lloyd ihm in den Daumen gebissen hatte. Vor einigen Tagen hatte der Elf nicht mit voller Kraft zugebissen, denn ansonsten hätte Tavaren seinen Finger verloren. Doch er wusste nicht, was sich Lloyd in der Zwischenzeit erdacht haben könnte.
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A King's Tale
FantasyAls der Halbelf Lloyd für einen Auftrag in den Norden geschickt wird, ahnt er noch nicht, was er damit lostritt und welche Reise er bestreiten muss. Die Menschen sind die Bösen und die Elfen die Guten, so hatte er es gelernt, seit er ein Kind war. D...