Wer die Hand in Blut badet, muß sie mit Tränen waschen

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Als Lloyd das Haus betrat, hörte er eine tiefe Stimme, die ihm die Nackenhaare aufstehen ließen. Leise schloss er die Tür hinter sich, aber er machte sich keine Hoffnung, dass er unbemerkt geblieben war.

„Und nun stand das Mädchen auf dem Gipfel der Welt", hörte er Kematian sagen. Er ging der Stimme nach und fand ihn im Wohnzimmer auf der Couch. Als er den Elfen sah, legte er einen Finger an die eigenen Lippen, denn Ava hatte ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt und die Augen geschlossen. Falls sie noch nicht schlief, so würde sie es bald.

Lloyd schlich zu dem Sessel und setzte sich. Er wollte dem Raben seinen Entschluss mitteilen, ihn zu verlassen und da Ava im Haus war, hatte er die Hoffnung, dass er das Gespräch überleben würde.

Kematian fuhr mit der Geschichte fort, während er seiner Tochter sanft über die blonden Löckchen strich: „Hier dachte sie nun über ihre Reise nach und über all die Freunde, die sie auf ihrem Weg gefunden hatte. Aber vor allem dachte sie an den Stern, den sie die ganze Zeit über bei sich getragen hatte, um ihn nun wieder zu seiner Familie zu bringen. Von hier aus, vom Gipfel der Welt, konnte sie seine Verwandten schon fast rufen hören und sehen, wie sie ihn zu sich winkten. Und so entließ sie den Stern aus ihren Händen und ließ ihn hoch an das Himmelsgewölbe steigen. Dort empfingen ihn alle freudig. Zum Dank schenkten sie dem Mädchen ihren Sternenstaub, mit dem sie heimkehrte und ihre Mutter von der Krankheit befreite. Sie lebte ein langes und glückliches Leben, denn ihr Stern wachte von diesem Augenblick an über sie."

Kematian warf einen Blick auf seine Tochter. Sie regte sich kaum mehr. Nur ihr Oberkörper hob und senkte sich leicht. Er hob sie an und ging die Treppe hoch, um sie in ihr Zimmer zu bringen.

Keine Minute später war er zurückgekehrt. „Ihr seid spät", sagte er und setzte sich wieder auf das Sofa. Alle Wärme wich der Kälte.

„Ich..." Lloyd räusperte sich, als er bemerkte, dass seine Stimme nicht besonders fest klang. „Ich hätte nicht erwartet, dass es Euch stört." Er verzichtete darauf, Kematian in Erinnerung zu rufen, dass er doch derjenige war, der ihn hinausgeworfen hatte.

„Es stört mich nicht", antwortete der Rabe in seinem gewohnt unterkühlten Ton. „Aber ich habe herausgefunden, dass die Templer auf der Suche nach Euch sind."

Lloyd nickte. „Das ist mir aufgefallen."

„Wisst Ihr, weshalb sie Euch suchen?"

„Nicht wirklich", gab er zu. „Der Herzog von Kastolat sucht wohl nach mir, aber ich weiß nicht warum."

„Dann lasst mich Euch erleuchten." Der Ton verriet, dass Kematian noch immer schlechte Laune hatte. Vor seiner Tochter mochte er es verheimlicht haben, aber nun zeigte sich die Kälte in ihrer reinsten Form. „Im Norden werdet Ihr als Hochverräter gejagt, weil Euch nachgesagt wird, Ihr hättet die ehemalige Herzogsfamilie ausgelöscht."

Lloyd schluckte. Die Gedanken an jene besagte Nacht blitzten auf. „I-ich weiß", antwortete er.

Kematian schnaubte belustigt. „Aber Ihr wisst nicht, dass Kestrel selbst dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat."

Lloyd erstarrte. „Das glaube ich Euch nicht", sagte er. Für einen kurzen Moment war die Angst vor dem Raben vergessen. „Tavaren würde so etwas nicht tun." Bei ihrer letzten Begegnung hatte er ihm schließlich gesagt, dass er dem Gerücht ein Ende setzen wollte.

„Es ist nicht verwunderlich, dass Ihr mir nicht glaubt", sagte Kematian. „Aber die Wahrheit lässt sich nicht leugnen. Nicht einmal von Euch. Ihr kennt Kestrel kaum, wisst nicht um die Geheimnisse, die jeder Adelige verbirgt."

„Und Ihr wollt ihn besser kennen?", gab Lloyd zurück.

„Vielleicht nicht besser, aber anders", sagte Kematian. „Schließlich war ich es, der damals den Auftrag von Kestrel bekam, um den ehemaligen Herzog zu töten."

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